«Das Justizsystem in Belarus hat bei der strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen für die Folter an Hunderten von Protestierenden auf der ganzen Linie versagt. Opfer und Augenzeugen der Repression werden weiter drangsaliert, während die Polizei völlige Straflosigkeit geniesst. Kein einziges Verfahren wurde bislang gegen die Sicherheitskräfte eröffnet», sagte Lisa Salza, Länderverantwortliche für Osteuropa bei Amnesty International Schweiz.
«Kein einziges Verfahren wurde bislang gegen die Sicherheitskräfte eröffnet.» Lisa Salza, Länderverantwortliche für Osteuropa bei Amnesty International Schweiz
«Nun muss die internationale Gemeinschaft für Gerechtigkeit sorgen. Regierungen sowie internationale und regionale Organisationen sollten all ihren Einfluss geltend machen, um die Behörden in Belarus dazu zu bringen, diesem Angriff auf die Menschenrechte ein Ende zu setzen. Wir appellieren eindringlich auch an das Schweizer Aussendepartement EDA alle verfügbaren Massnahmen einzusetzen und sich für Gerechtigkeit in Belarus einzusetzen», so Lisa Salza.
Willkürliche Inhaftierung und Folter friedlicher Protestierender
Der neue Amnesty-Bericht Belarus: «You are not Human Beings» enthält erschütternde Berichte über Massenfestnahmen und Folterungen von friedlich Protestierenden. Die Betroffenen wurden gezwungen sich auszuziehen, mussten brutale Schläge ertragen und über lange Zeit in Stresspositionen verharren. Ausserdem erhielten sie oft tagelang keine Nahrung, kein Trinkwasser und keine medizinische Versorgung.
Die genaue Anzahl der Protestierenden, die in der berüchtigten Hafteinrichtung Akrestsina in Minsk oder in anderen Gefängnissen willkürlich inhaftiert wurden, ist bisher nicht bekannt. Anfang Dezember 2020 waren es laut Angaben des Uno-Hochkommissariats für Menschenrechte jedoch bereits mehr als 27‘000 Personen. Und immer noch nehmen die Sicherheitskräfte willkürlich Menschen fest.
Straflosigkeit, Repressalien und Einschüchterung
Die belarussischen Behörden haben eingeräumt, mehr als 900 Anzeigen über Menschenrechtsverletzungen durch Ordnungskräfte während der Demonstrationen erhalten zu haben. Nichtsdestotrotz wurde kein einziges strafrechtliches Verfahren eingeleitet. Die Personen, die Anzeige erstatteten, wurden drangsaliert und mit bürokratischen Hürden, Verzögerungstaktiken und anderen Hindernissen konfrontiert, während sie versuchten, sich in einem System zurechtzufinden, das dazu ausgelegt ist, sie zu entmutigen und einzuschüchtern und ihre Anzeigen und die eingereichten Beweise zu entkräften.
Statt für die Strafverfolgung derjenigen zu sorgen, denen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft am 28. Oktober 2020, dass 657 Strafverfahren gegen Protestierende eingeleitet worden seien; mehr als 200 Personen seien bereits wegen mutmasslicher Massenunruhen und Gewalt gegen Polizeikräfte angeklagt worden. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen friedliche Protestierende auf der Grundlage politisch motivierter und konstruierter Anklagen vor Gericht gestellt wurden.
Zivilgesellschaftliche Organisationen haben zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen friedliche Protestierende auf der Grundlage politisch motivierter und konstruierter Anklagen vor Gericht gestellt wurden.
Dazu gehört auch der Fall der schweizerisch-belarussischen Doppelbürgerin Natallia Hersche. Sie war am 7. Dezember zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, weil sie sich der Festnahme widersetzt und einem Polizisten die Sturmhabe entfernt haben soll. Amnesty International ruft die belarussischen Behörden dazu auf, Natallia Hersche freizulassen.
Appell für internationale Strafverfolgung
Belarus ist auf der Grundlage des Völkerrechts verpflichtet, die Menschenrechte aller Personen innerhalb des Landes zu achten. Dies bedeutet auch, dass das absolute Folterverbot aufrechterhalten und Folter entsprechend untersucht und bestraft werden muss.
«Das beispiellose Ausmass der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen sowie die absolute Straflosigkeit der Verantwortlichen erfordert die Durchsetzung internationaler Mechanismen zur Untersuchung und Strafverfolgung dieser Menschenrechtsverstösse», so Lisa Salza: «Die internationale Gemeinschaft darf nicht tatenlos zusehen.»