Musaad Abu Fagr.
© AI
Amnesty International: Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Lage in Ägypten seit Anfang 2011, und was halten Sie von den Leuten, die aktuell an der Macht sind?
Musaad Abu Fagr: Das Problem ist, dass wir ein politisches System brauchen, das sich der revolutionären Bewegung anpassen kann. Es gibt drei unterschiedliche politische Kräfte. Auf der einen Seite stehen die Militärs und die religiösen Kräfte. Beide sind verbündet gegen die Revolution und versperren den Weg zum Fortschritt. Auf der anderen Seite sind die Kräfte, die die Revolution vorangetrieben haben. Die Revolution ist sehr tief verankert. Die Politiker haben das aber noch nicht verstanden. Sie müssten eine politische Führung schaffen, die sich mit der Revolution vereinen lässt.
In den letzten zwölf Monaten habe ich eine Veränderung im politischen Diskurs festgestellt. Vor der Revolution vom 25. Januar waren die religiösen Kräfte nicht im Einklang mit der Demokratie. Nun aber fangen sie an, sich auf sie einzulassen.
Momentan gehen wir durch eine schwierige Phase. Das ist sehr schmerzhaft. Aber es geht in die richtige Richtung, hin zum Fortschritt.
Was denken Sie über die Wahlen? Was bringen sie dem Land?
Das, was man sieht, widerspiegelt nicht die realen Verhältnisse. Die Wahlen waren nicht frei von Beeinflussung. Es gibt grundlegende Fehler, die das ganze Ergebnis der Wahlen wertlos machen.
Derzeit sind wir in Kairo im Kriegszustand. Das Volk will das Risiko völliger Unsicherheit nicht auf sich nehmen. Also wenden sich die Leute der Religion zu. Die islamistischen Politiker haben die Wahlen gewonnen, weil sie bekannt und seit langem präsent sind und weil sie viel Geld haben. Die kandidierenden Revolutionäre wurden nicht gewählt, weil sie nicht organisiert waren und ihnen die Zeit gefehlt hat. Die Zivilgesellschaft war nicht wirklich politisch repräsentiert.
Die Eliten haben das Volk verraten, als Blut floss auf dem Tahrir-Platz. Die Leute, die jetzt an der Macht sind, verlieren langsam ihre Glaubwürdigkeit. Ich hoffe, dass sich die Lage am symbolischen Datum des 25. Januars 2012 verändert.
2007 haben Sie sich gegen die Vertreibung von Beduinen aus dem Sinai eingesetzt. Das brachte Ihnen drei Jahre Gefängnis ein. Wie steht es heute um Ihr Engagement für die Menschenrechte?
Zu Zeiten von Mubarak war mein Ziel, die Beduinen in den Kampf gegen Mubarak einzuschliessen. Heute ist mein Ziel, die Beduinen in eine progressive Politik zu integrieren.
Hintergrundinformationen
Musaad Abu Fagr wurde am 26. Dezember 2007 verhaftet, weil er gegen die Zerstörung Tausender Beduinen-Unterkünfte auf der Sinai-Halbinsel protestiert hatte. Im Februar 2008 ordnete das Appellationsgericht von Ismailia seine Freilassung an. Doch der ägyptische Innenminister widersetzte sich dieser Entscheidung und hielt Musaad Abu Fagr von Februar 2008 bis Juli 2010 in sogenannter Administrativhaft fest. Am 12. Juli 2010 kam der Blogger und Schriftsteller frei.
Amnesty International setzte sich am Briefmarathon 2009 für Musaad Abu Fagrs Freilassung ein.