Der Bericht «Crushing humanity: the abuse of solitary confinement in Egypt’s prisons» (PDF, 56 Seiten englisch) deckt auf, dass Dutzende inhaftierter Menschenrechtsaktivistinnen, Journalisten und Angehörige der Opposition in Isolationshaft entsetzlichen körperlichen Misshandlungen ausgesetzt sind, zum Beispiel Schläge durch die Gefängniswärter oder das wiederholte Eintauchen ihres Kopfes in einen Eimer mit Exkrementen. Das ihnen absichtlich zugefügte seelische und körperliche Leid führt zu Panikattacken, Paranoia, Überempfindlichkeit bei Aussenreizen sowie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen.
«Im Völkerrecht ist geregelt, dass Isolationshaft nur dann eingesetzt werden darf, wenn keine andere Disziplinarmassnahme mehr zur Verfügung steht, doch die ägyptischen Behörden setzen sie als ‚Extrastrafe‘ für politische Gefangene ein – grausam und willkürlich – mit dem Ziel, ihre Menschlichkeit und ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu zerstören», beschrieb es Najia Bounaim, die Amnesty Kampagnenleiterin für Nordafrika.
«Die Haftbedingungen in Ägypten sind immer schlecht gewesen, doch die bewusste Grausamkeit dieser Behandlung zeigt, wie sehr die ägyptischen Behörden die Menschenrechte und die Menschenwürde verachten.»
Von der Aussenwelt isoliert und misshandelt
Amnesty International hat 36 Fälle von Gefangenen in verlängerter oder unbefristeter Isolationshaft dokumentiert. Sechs dieser Menschen werden seit 2013 von der Aussenwelt isoliert. Ehemalige Häftlinge, die Amnesty International interviewt hat, gaben an, von den Wärtern erst über lange Zeiträume geschlagen und dann auf engem Raum wochenlang allein eingesperrt worden zu sein.
Die Gefangenen erhalten zudem nicht genug Nahrung und Wasser und müssen unangemessene Sanitäranlagen und Schlafgelegenheiten ertragen. Ehemalige Insassen, die lange Zeit in Einzelhaft verbrachten, berichteten Amnesty International, dass diese Erfahrung folgenschwere Auswirkungen auf ihre Psyche hatte. Wenn sie wieder in den Normalvollzug kamen, litten sie an Depressionen, Schlaflosigkeit und einem Widerwillen, sich mit anderen Menschen zu umgeben und mit ihnen zu sprechen.
Betroffen von der Isolationshaft sind auch Mitglieder einer Reihe von Oppositionsparteien und -bewegungen, wie die Muslimbruderschaft und die Jugendbewegung 6. April.
Alle dokumentierten Fälle folgten einem Muster: Mehr als 22 Stunden Einschluss und nur 30 Minuten bis zu einer Stunde Bewegung täglich. Kontakt mit anderen Gefangenen war untersagt, den Gefangenen wurden regelmässige Familienbesuche verweigert. Ihnen wurde auch nicht mitgeteilt, wann ihre Isolationshaft endet.
Erzwungene Geständnisse
«Die Isolationshaft wird rechtswidrig als Mittel eingesetzt, um Andersdenkende auf Linie zu bringen oder angebliches Fehlverhalten von Gefangenen, die ohnehin unter vagen Anschuldigungen in Haft genommen wurden, zu sanktionieren», sagt Najia Bounaim.
In den meisten Fällen hat Amnesty International festgestellt, das Gruppen von Gefangenen nur aufgrund ihres früheren politischen Aktivismus unbegrenzt in Isolationshaft gehalten werden. Die Isolationshaft wird zudem eingesetzt, um Geständnisse von Personen zu erzwingen, die aufgrund konstruierter Anklagen in Haft sind oder aber als Disziplinarmassnahme gegen Gefangene, die sich über Misshandlungen beschweren.
Amnesty International hat 91 Interviews mit neun ehemaligen Gefangenen und mit den Familienangehörigen von 27 aktuell Inhaftierten geführt. Die Interviews wurden zwischen März 2017 und April 2018 geführt.
«Zum ersten Mal habe ich Hisham Gaafar im Spital wiedergesehen. Er beschrieb mir seine Einzelzelle. Er konnte im Dunkeln der Zelle nichts sehen. Ihm fiel das Atmen schwer, da es weder ein Fenster noch irgendeine andere Frischluftquelle gab. Er sagte, er habe sich gefühlt wie lebendig begraben. Als ihn die Gefängniswärter schliesslich aus dieser Zelle holten, war es für ihn wie eine Wiedergeburt. Doch nach wenigen Monaten im Gefängniskrankenhaus kam er wieder in Isolationshaft», erzählt Manr el-Tantawie, seine Ehefrau.
Hisham Gaafar sitzt im Al-Aqrab-Gefängnis in Isolationshaft.
Aufgrund der Schwere der Erkenntnisse reichte Amnesty International am 16. April eine Denkschrift mit einer Zusammenfassung der Recherche bei den ägyptischen Behörden ein. Eine Reaktion gab es bislang nicht darauf.
Zehntausende politische Gegner weggesperrt
Seit der Ablösung von Präsident Mohammed Mursi am 3. Juli 2013 durch Präsident Abdelfattah al-Sisi, der inzwischen die zweite Amtszeit begonnen hat, haben die ägyptischen Behörden Zehntausende Personen aufgrund politisch motivierter Anklagen eingesperrt.
14 Gefängnisse in sieben ägyptischen Gouvernements wurden in diesem Bericht untersucht, dazu gehörten das Liman-Tora-Gefängnis, das Tora-Ermittlungsgefängnis und das Tora-Hochsicherheitsgefängnis Nr. 1 (besser bekannt unter dem Namen Al-Aqrab oder Skorpiongefängnis). 20 der 36 in diesem Bericht vorgestellten Gefangenen wurden in verlängerter Isolationshaft im Tora Gefängniskomplex festgehalten.