Die drei verhafteten Mitarbeiter der Organisation EIPR. © Amnesty International  / EIPR
Die drei verhafteten Mitarbeiter der Organisation EIPR. © Amnesty International / EIPR

Ägypten Vergeltungsmassnahmen gegen Menschenrechtsorganisation einstellen

23. November 2020
Die ägyptischen Behörden müssen die harten Vergeltungsmassnahmen gegen die Menschenrechtsorganisation «Ägyptische Initiative für persönliche Rechte» (EIPR) beenden und drei willkürlich inhaftierte Mitarbeiter umgehend und bedingungslos freilassen, fordert Amnesty International.

Die Organisation EIPR wurde ins Visier genommen, nachdem sich einige MitarbeiterInnen am 3. November mit 13 DiplomatInnen aus westlichen Ländern getroffen und über Menschenrechtsthemen gesprochen hatten. Gasser Abdel-Razek, der Geschäftsführer der EIPR und ein langjähriger Menschenrechtsverteidiger, ist der dritte leitende Mitarbeiter der Organisation, der innerhalb von fünf Tagen festgenommen wurde.

Amnesty International appelliert an die Länder, deren VertreterInnen an dem Treffen teilnahmen, ihr Schweigen zu brechen und Ägypten öffentlich aufzufordern, die MenschenrechtlerInnen freizulassen und die schonungslose Unterdrückung von MenschenrechtsverteidigerInnen im Land zu beenden.

«Mit ihrer zögerlichen Reaktion riskiert die internationale Gemeinschaft, die ägyptischen Behörden noch weiter anzuspornen und der Zivilgesellschaft zu vermitteln, dass Menschenrechtsarbeit nicht toleriert wird.» Philip Luther, Direktor für Research und Lobbyarbeit im Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

«Dies sind beispiellose Repressalien, die weit über die EIPR hinweg auch die wenigen anderen verbliebenen Organisationen betreffen könnten, die sich in Ägypten mutig für die Menschenrechte einsetzen. Mit ihrer zögerlichen Reaktion riskiert die internationale Gemeinschaft, die ägyptischen Behörden noch weiter anzuspornen und der Zivilgesellschaft zu vermitteln, dass Menschenrechtsarbeit nicht toleriert wird», so Philip Luther, Direktor für Research und Lobbyarbeit im Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

«Diese Festnahmen, die Verleumdungskampagne gegen die Organisation sowie die haltlose Behauptung der Regierung, dass die EIPR illegal operiere, deuten auf eine geplante und abgestimmte Attacke hin. Die Anschuldigung, die EIPR-Angestellten seien ‚einer terroristischen Gruppe beigetreten‘, ist ein Schlag ins Gesicht für die Organisation und die menschenrechtlichen Werte, für die sie steht.»

Die Vergeltungsaktionen begannen nach einem Treffen mit DiplomatInnen im Büro der EIPR am 3. November. Teilgenommen hatten BotschafterInnen aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Italien, Spanien, den Niederlanden und der Schweiz sowie diplomatische GeschäftsträgerInnen aus Kanada, Norwegen und Schweden, der stellvertretende Botschafter Grossbritanniens und Delegierte der Europäischen Kommission in Kairo.

Konstruierte Anklagen

Am Abend des 19. November nahmen Sicherheitskräfte in Zivilkleidung Gasser Abdel-Razek in seiner Wohnung in Maadi, einem Vorort von Kairo, fest. Er wurde um 01.30 Uhr morgens der Obersten Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit (SSSP) vorgeführt und zu konstruierten terrorismusbezogenen Vorwürfen befragt. Daraufhin wurden 15 Tage Untersuchungshaft angeordnet.

Ebenfalls am 19. November verhängte die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage ähnlicher Vorwürfe 15 Tage Untersuchungshaft gegen Karim Ennarah, den Leiter der Abteilung für Strafrecht bei der EIPR. Er war tags zuvor in einem Badeort in Dahab im Süden der Sinai-Halbinsel festgenommen worden, wo er gerade Urlaub machte. Man brachte ihn zunächst an einen unbekannten Ort, wo er 24 Stunden lang ohne Kontakt zur Aussenwelt festgehalten wurde, bevor man ihn der SSSP vorführte. Die Staatsanwaltschaft stellte ihm Fragen zu seiner Arbeit über Haftbedingungen und die Anwendung der Todesstrafe in Ägypten.

Als erstes EIPR-Mitglied war der Verwaltungsdirektor Mohamed Basheer am 15. November festgenommen worden. Er wurde etwa zwölf Stunden lang in einer Einrichtung festgehalten, die der Kontrolle des Geheimdienstes untersteht. Dort wurde er gezwungen, eine Augenbinde zu tragen, während er zu dem Besuch der DiplomatInnen und anderen Arbeitsbereichen der EIPR befragt wurde. Dann wurde er der SSSP vorgeführt, die Untersuchungshaft anordnete.

Alle drei Männer wurden in das Verfahren 855/2020 aufgenommen, in dem bereits gegen zahlreiche weitere MenschenrechtsverteidigerInnen ermittelt wird, von denen viele seit über einem Jahr ohne Gerichtsverfahren inhaftiert sind. Die von der Staatsanwaltschaft angeordnete Untersuchungshaft für Gasser Abdel-Razek und Karim Ennarah beruht auf den Vorwürfen des «Beitritts zu einer terroristischen Gruppe», der «Verbreitung falscher Nachrichten» und des «Missbrauchs der Sozialen Medien». Mohamed Basheer wurde zusätzlich noch zu dem Vorwurf befragt, «die Straftat der Finanzierung des Terrorismus begangen» zu haben.

Anhaltende Schikane

Die Repressalien gegen die EIPR reihen sich in eine harte staatliche Linie gegen NGOs ein, die seit 2011 verfolgt wird. Damals wurden Bürogebäude durchsucht und Angestellte von fünf internationalen Organisationen strafrechtlich verfolgt. Bekannt ist der Fall als Verfahren 173, oder auch der ägyptische «Auslandsfinanzierungsfall». Im Jahr 2013 wurden 43 ausländische und ägyptische NGO-MitarbeiterInnen für schuldig befunden, rechtswidrig operiert und unberechtigt Mittel aus dem Ausland empfangen zu haben. Obwohl in einem Neuverfahren die Angeklagten freigesprochen wurden, laufen gegen örtliche zivilgesellschaftliche Organisationen nach wie vor strafrechtliche Ermittlungsverfahren.

Die Repressalien gegen die EIPR reihen sich in eine harte staatliche Linie gegen NGOs ein, die seit 2011 verfolgt wird.

Die EIPR ist eine der wenigen verbleibenden unabhängigen Menschenrechtsorganisationen, die in Ägypten nach wie vor aktiv sind. Patrick George Zaki, EIPR-Experte für geschlechtsspezifische Rechte, wurde im Februar 2020 bei der Rückreise aus Italien festgenommen und ist nach wie vor willkürlich inhaftiert.

«Die internationale Gemeinschaft wird hier auf die Probe gestellt», so Philip Luther. «Sie muss unbedingt abgestimmte und öffentliche Massnahmen ergreifen, um die ägyptischen Behörden unmissverständlich aufzufordern, diese Repressalien zu beenden und alle Inhaftierten freizulassen. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht aktiv wird, wird das Überleben aller ägyptischen Menschenrechtsorganisationen aufs Spiel gesetzt.»