Symbolbild. Das ursprüngliche Bild wurde aus Urheberrechtsgründen ersetzt. © Amnesty International
Symbolbild. Das ursprüngliche Bild wurde aus Urheberrechtsgründen ersetzt. © Amnesty International

10 Jahre nach «arabischem Frühling» Tödliche Haft in Ägypten

Medienmitteilung 25. Januar 2021, London/Bern – Medienkontakt
Politische Gefangene sind in Ägypten Folter und unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt. Ihnen wird überlebenswichtige medizinische Versorgung verweigert. Ein neuer Amnesty-Bericht dokumentiert Todesfälle in Haft und langfristige gesundheitliche Folgen für Inhaftierte.

Der neue Amnesty-Bericht «What do I care if you die? Negligence and denial of health care in the Egyptian prisons», der am 10. Jahrestag des Beginns des ägyptischen Aufstandes 2011 veröffentlicht wird, zeichnet ein düsteres Bild der Menschenrechtskrise in ägyptischen Gefängnissen.

Diese sind voll mit mutigen Menschen, die von der Regierung unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi ins Gefängnis gesteckt wurden, weil sie sich für soziale und politische Gerechtigkeit eingesetzt haben. Er zeigt auch, dass die Gefängnisbehörden beim Schutz von Häftlingen vor der Covid-19-Pandemie versagt haben und Gefangene aus sozio-ökonomisch benachteiligten Verhältnissen regelmässig diskriminieren.

Folter durch gezielte Verweigerung der medizinischen Versorgung

«Das Gefängnispersonal missachtet das Leben und die Sicherheit der Gefangenen völlig, die in den überfüllten Gefängnissen des Landes eingepfercht sind und ignoriert weitgehend deren gesundheitliche Bedürfnisse.

«Das Gefängnispersonal missachtet das Leben und die Sicherheit der Gefangenen völlig.»
Philip Luther, Direktor für Research und Advocacy für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International

Es überlässt es den Familien der Gefangenen, diese mit Medikamenten, Lebensmitteln und Bargeld zum Kauf von grundlegenden Bedarfsgütern wie Seife zu versorgen und fügt ihnen zusätzliches Leid zu, indem es ihnen eine angemessene medizinische Behandlung oder die rechtzeitige Verlegung in ein Spital verweigert», so Philip Luther, Direktor für Research und Advocacy für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

«Die Behörden gehen noch weiter, indem sie Gewissensgefangenen und RegierungskritikerInnen, die medizinische Versorgung, angemessene Nahrung und Familienbesuche vorenthalten. Es ist beschämend, dass die ägyptischen Behörden versuchen, Menschenrechtsverteidiger, Politikerinnen, Aktivisten und andere tatsächliche oder vermeintliche Regimekritikerinnen einzuschüchtern und zu quälen, indem sie ihnen die medizinische Versorgung verweigern. Wenn diese Verweigerung schwere Schmerzen oder Leid verursacht und bewusst als Strafe eingesetzt wird, handelt es sich um Folter.»

Hunderte von Todesfällen im Gefängnis

Der Bericht dokumentiert die Hafterfahrungen von 67 Personen aus drei Frauen- und 13 Männergefängnissen in sieben Gouvernements. Amnesty International hat den Tod von zwölf Gefangenen untersucht, die in Haft oder kurz nach ihrer Freilassung starben, und hat Kenntnis von 37 weiteren Todesfällen im Jahr 2020, bei denen die Familien aus Angst vor Repressalien einer Veröffentlichung nicht zustimmen wollten. Schätzungen ägyptischer Menschenrechtsgruppen zufolge sind seit 2013 Hunderte Menschen in Gewahrsam gestorben, doch die Behörden weigern sich nach wie vor, Zahlen zu veröffentlichen oder unparteiische und unabhängige Untersuchungen derartiger Todesfälle durchzuführen.

«Es liegen Beweise vor, dass Gefängnisbehörden bestimmte Gefangene ins Visier nehmen, um sie für ihre vermeintliche Opposition oder Kritik an der Regierung zu bestrafen. In einigen Fällen geschieht dies unter Berufung auf Anweisungen der Nationalen Sicherheitsbehörde NSA», sagt Philip Luther.

Zu den Repressalien gehören die lange und unbestimmte Einzelhaft unter missbräuchlichen Bedingungen für mehr als 22 bis 23 Stunden täglich, die Verweigerung von Familienbesuchen für Zeiträume von bis zu vier Jahren und das Vorenthalten von Lebensmittelpaketen oder anderen notwendigen Dingen, die Angehörige zum Gefängnis bringen.

Auch in Notfällen keine Verlegung ins Spital

Die Gefängnisbehörden weigern sich häufig, Gefangene mit politischem Profil bei Notfällen in externe Spitäler zu verlegen, die über entsprechende fachärztliche Kapazitäten verfügen. Ausserdem halten sie ihnen Medikamente vor, selbst wenn die Kosten von den Familien hätten übernommen werden können.

Sicherheitskräfte verweigerten dem gewaltlosen politischen Gefangenen Zyad el-Elaimy, ein ehemaliger Abgeordneter und eine der führenden Persönlichkeiten der Proteste vom 25. Januar 2011, auch weiterhin die regelmässige medizinische Versorgung, die er aufgrund seiner Grunderkrankungen benötigt.

Der 69-jährige Abdelmoniem Aboulfotoh, ein ehemaliger Präsidentschaftskandidat und Gründer der Oppositionspartei Misr Al-Qawia, wird seit Februar 2018 willkürlich in Einzelhaft gehalten. Er leidet an Diabetes, Bluthochdruck und einer vergrösserten Prostata, doch die Gefängnisbehörden haben seine Anträge auf Verlegung zur Behandlung ausserhalb des Gefängnisses wiederholt abgelehnt und den Zugang zu ÄrztInnen im Gefängnis stark hinausgezögert.

Massive Überbelegung trotz Covid-19

Trotz der Covid-19-Pandemie verteilen die Gefängnisverwaltungen nicht regelmässig Hygieneartikel, führen keine konsequenten Screenings bei Neuankömmlingen durch und testen oder isolieren diejenigen nicht, bei denen ein Infektionsverdacht besteht.

«Die Behörden müssen dringend die Überbelegung in den Gefängnissen reduzieren.»

Philip Luther, Direktor für Research und Advocacy für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International

«Die Behörden müssen dringend die Überbelegung reduzieren, indem sie unter anderem alle willkürlich Inhaftierten freilassen und die Freilassung von Gefangenen in Betracht ziehen, die aufgrund ihres Alters oder einer medizinischen Grunderkrankung ein höheres Risiko für Covid-19-Komplikationen haben. Sie müssen allen Personen in ihrem Gewahrsam ohne Diskriminierung eine angemessene medizinische Versorgung zur Verfügung stellen, zu der auch die Covid-19-Impfung gehört. Die ägyptischen Behörden müssen unabhängigen ExpertInnen ungehinderten Zugang zu den Gefängnissen gewähren und mit ihnen zusammenarbeiten, um die miserablen Haftbedingungen und den Zugang zu medizinischer Versorgung in den Gefängnissen zu verbessern, bevor weitere Menschen auf tragische Weise ihr Leben verlieren», so Philip Luther.

Uno-Untersuchung: Auch die Schweiz ist gefordert

Angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen in Ägypten, wovon dieser Bericht nur einen Teilaspekt beleuchtet, tut eine entschlossene Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft not. Amnesty fordert, dass sich auch die Schweiz im Uno-Menschenrechtsrat für die Schaffung einer unabhängigen Beobachtungsmission einsetzt, welche die Menschenrechtssituation in Ägypten eingehend untersucht und der internationalen Gemeinschaft darüber berichtet.