Schiitische Milizen im Irak begehen religiös motivierte Gewalttaten. © AI
Schiitische Milizen im Irak begehen religiös motivierte Gewalttaten. © AI

Irak Regierung billigt Kriegsverbrechen schiitischer Milizen

Aus Rache verüben schiitische Milizen im Irak immer häufiger Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen an Sunniten – und die Regierung in Bagdad greift nicht ein. Das belegt der neue Bericht von Amnesty International «Absolute Impunity: Militia Rule in Iraq», der am 14. Oktober 2014 veröffentlicht wurde. Demnach wurden bereits Dutzende von sunnitischen Zivilisten entführt und ermordet und auch Regierungstruppen foltern und töten Gefangene.

«Indem die Regierung in Bagdad  Milizen gewähren lässt, solche schrecklichen Taten routinemässig zu begehen, billigt sie Kriegsverbrechen und fördert einen explosiven Teufelskreis von religiös motivierter Gewalt, der das Land auseinanderreisst», sagt Donatella Rovera, Expertin von Amnesty International für Krisenregionen. «Die irakische Regierung muss endlich aufhören, die Herrschaft der Milizen zu unterstützen.»

Der Bericht von Amnesty International, «Absolute Impunity: Militia Rule in Iraq» (Vollkommene Straflosigkeit: Die Herrschaft der Milizen im Irak) liefert beängstigende Details zu religiös motivierten Gewalttaten von zunehmend mächtigen schiitische Milizen in Bagdad, Samara und Kirkuk. Diese Milizen rächen sich offenbar für Angriffe der Terrorgruppe, die sich selbst «Islamischer Staat» nennt.

Dutzende nicht identifizierter Leichen, mit Handschellen gefesselt und mit Schusswunden im Kopf, sind an verschiedenen Orten im Land gefunden worden.

Dutzende nicht identifizierter Leichen, mit Handschellen gefesselt und mit Schusswunden im Kopf, sind an verschiedenen Orten im Land gefunden worden. Diese Tatsache lässt ein Muster gezielter Hinrichtungen erkennen.

Regierung lässt Milizen frei gewähren

Das Schicksal vieler von schiitischen Milizen schon vor Monaten entführter Personen ist unbekannt. Manche Gefangene wurden sogar noch ermordet, nachdem ihre Familien bereits Lösegelder von 80'000 Dollar und mehr bezahlt hatten, um sie freizubekommen.

Salem zum Beispiel, ein 40-jähriger Geschäftsmann aus Bagdad und Vater von neun Kindern, war im Juli entführt worden. Zwei Wochen nachdem seine Familie den Entführern 60'000 Dollar Lösegeld bezahlt hatte, wurde er tot in der Leichenhalle von Bagdad gefunden, mit zerschmettertem Kopf, die Hände noch immer in Handschellen.

Prekäre Sicherheitslage und Klima der Rechtlosigkeit

Die wachsende Macht schiitischer Milizen hat die Sicherheitslage im Irak massiv verschlechtert und ein Klima der Rechtlosigkeit entstehen lassen. Die Mutter eines Opfers aus Kirkuk sagte gegenüber Amnesty International:

«Ich habe einen Sohn verloren und möchte nicht noch einen verlieren. Nichts kann ihn wieder lebendig machen, und ich kann meine anderen Kinder keinem Risiko aussetzen. Wer weiss, wer als nächster dran ist? Es gibt kein Gesetz, keinen Schutz.»

Zu den schiitischen Milizen, die vermutlich hinter der anhaltenden Serie von Entführungen und Morden stehen, gehören Asaib Ahl al-Haq, die Badr-Brigaden, die Mahdi-Armee, und die Kata’ib Hizbullah.

Diese Milizen sind noch mächtiger geworden, seit sich die irakische Armee zurückgezogen und fast ein Drittel des Landes den IS-Kämpfern überlassen hat. Die Kämpfer der Milizen - Zehntausende - tragen Militäruniformen, operieren aber ausserhalb jedes rechtlichen Rahmens und ohne jegliche offizielle Überwachung.

«Die irakischen Behörden haben es unterlassen, diese Milizen je für Kriegsverbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen», kritisiert Donatella Rovera. «Damit haben sie ihnen sozusagen freie Hand gegeben, gegen die Sunniten zu wüten, wie es ihnen passt. Die neue irakische Regierung unter Präsident Haider al-Abadi muss jetzt dringend handeln, die Milizen wieder kontrollieren und Rechtsstaatlichkeit herstellen.»

Terrorbekämpfung als Vorwand

«Unter dem Vorwand der Terroristenbekämpfung attackieren schiitische Milizen gnadenlos nach rein religiösen Kriterien sunnitische Zivilisten, offenbar im Bemühen, Sunniten für den Machtgewinn des IS und seine abscheulichen Taten verantwortlich zu machen.»

An einem Checkpoint im Norden Bagdads wurde Amnesty zum Beispiel Zeugin davon, wie ein Angehöriger der Asaib Ahl al-Haq-Miliz sagte: «Wenn wir diese Hunde [von Sunniten], die von Tikrit herunter kommen, fangen, erschiessen wir sie. .... Sie kommen nach Bagdad, um terroristische Verbrechen zu begehen, also müssen wir sie stoppen.»

Menschenrechtsverletzungen auch durch Regierungskräfte

Derweil begehen auch die irakischen Regierungskräfte weiterhin schwere Menschenrechtsverletzungen. Amnesty International hat Beweise, dass auf der Grundlage des Anti-Terrorismus-Gesetzes von 2005 sunnitische Männer in Gefangenschaft gefoltert und misshandelt, ja sogar ermordet worden sind.

Die Leiche eines 33-jährigen Rechtsanwalts und Vaters von zwei kleinen Kindern, der in Gefangenschaft starb, wies blaue Flecken, offene Wunden und Verbrennungen auf, wie sie durch elektrische Geräte entstehen. Ein anderer Mann, der fünf Monate lang festgehalten wurde, wurde mit Elektroschocks gefoltert, und man drohte ihm mit Vergewaltigung durch einen Stock, bevor er ohne Anklage freigelassen wurde.

Medienmitteilung veröffentlicht: 14. Oktober 2014, Bern/London
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