Aktivistinnen, Protestierende und JournalistInnen aus Baghdad, Najaf und Dwaniya, mit denen Amnesty gesprochen hat, berichteten von übermässiger Gewalt durch die irakischen Sicherheitskräfte. Dazu gehört auch der Einsatz von scharfer Munition. Protestierende schilderten ausserdem, wie sie von Scharfschützen unter Feuer genommen worden waren.
Ein Aktivist aus Baghdad äusserte sich gegenüber Amnesty International: «Als ein Demonstrant von einem Scharfschützen getroffen wurde, rannten fünf Personen zu ihm hin, um ihn zu helfen. Sie wurden alle getroffen. Auf der Strasse lagen Leichen, die Schussverletzungen im Kopf- oder Brustbereich aufwiesen.»
Amnesty kann solche Berichte und den Einsatz von Scharfschützen dank Analysen von Videomaterial bestätigen. Unbekannt ist hingegen, zu welcher Truppe oder bewaffneten Gruppierung sie gehören.
«Der Einsatz von scharfer Munition darf nicht unter den Teppich gekehrt werden. Anita Streule, Länderexpertin für den Nahen und Mittleren Osten bei Amnesty Schweiz
«Der Einsatz von scharfer Munition, insbesondere von Scharfschützen gegen Protestierenden im Irak, darf nicht unter den Teppich gekehrt werden. Die irakischen Behörden müssen solche Verbrechen aufklären. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.» sagt Anita Streule, Länderexpertin für den Nahen und Mittleren Osten bei Amnesty Schweiz.
Kritikerinnen werden zum Schweigen gebracht
Neben der tödlichen Gewalt gegen die Demonstrierenden hat die irakische Regierung auch das Internet und damit den Zugang zu sozialen Medien blockiert. JournalistInnen und AktivistInnen schilderten Amnesty, wie sie von Sicherheitsbeamten per Telefon bedroht wurden, weil sie sich kritisch zur Repression gegen DemonstrantInnen äusserten.
ZeugInnen aus Baghdad, Diwaniya und Najaf berichteten, dass hunderte von Personen willkürlich verhaftet wurden, nachdem sie vor Tränengas und Gewehrkugeln geflüchtet waren.
Irak hat eine lange Geschichte sozialer Proteste. «Wir protestieren seit 2008 gegen die Korruption und die Regierung. Nichts hat sich seither geändert. Wir unterstützten die Regierung im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat und hielten unsere Forderungen während dieser Zeit zurück. Aber jetzt muss die Regierung handeln; sie versprach Wandel und Arbeit. Aber alles, was wir bekommen, ist Korruption und Vetternwirtschaft,» empört sich ein Demonstrant aus Baghdad gegenüber Amnesty.
Als Reaktion auf die aktuellen Proteste hat die irakische Regierung am 6. und 9. Oktober versprochen, auf gewisse Forderungen der Demonstrierenden einzugehen. Solche Versprechen sind jedoch nicht viel Wert, wenn gleichzeitig die protestierende Bevölkerung mit Gewalt und Drohungen zum Schweigen gebracht wird.
«Die irakische Regierung muss die freie Meinungsäusserung und das Versammlungsrecht ihrer BürgerInnen respektieren und schützen. Alle Personen, die verhaftet wurden, nur weil sie ihren Unmut auf der Strasse zum Ausdruck gegeben haben, müssen umgehend freigelassen werden,» sagt Anita Streule. «Dazu muss die irakische Regierung die Sicherheitskräfte, die für die Einschüchterungen, Drohungen und exzessive Gewalt gegen DemonstrantInnen verantwortlich sind, zur Rechenschaft ziehen. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die den Tod von Menschen zu verantworten haben.»