Seit Anfang 2011 seien mindestens 86 Menschen hingerichtet worden, sagen die sechs Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty International. Bei mindestens acht der im Januar Hingerichteten handelte es sich um politische Gefangene, die wegen «Feindschaft gegen Gott» (moharebeh) verurteilt worden waren, weil sie an Demonstrationen teilgenommen hatten, oder wegen angeblicher Verbindungen zu Oppositionsgruppen.
Todesstrafe gegen Regierungskritiker
«Es hat sich gezeigt, dass sich die iranischen Behörden nicht mehr damit zufriedengeben, diejenigen die die Wiederwahl von Mahmoud Ahmadinejad in Frage stellen, durch Verhaftung und Verurteilung im Zaum zu halten – sie haben bewiesen, dass sie auch vor Hinrichtungen nicht mehr zurückschrecken», erklärte Ebadi. «Sie bedienen sich der altbekannten Taktik, politische Hinrichtungen gleichzeitig mit Massenexekutionen von Gefangenen durchzuführen, die wegen krimineller Delikte verurteilt wurden. Die Zahl der Hinrichtungen könnte zunehmen, wenn die Welt weiter schweigt», fügte sie hinzu.
Immer mehr Hinrichtungen
Der Anstieg der Hinrichtungszahlen erfolgte, nachdem Ende Dezember 2010 das revidierte Betäubungsmittelgesetz in Kraft getreten war, das vom Schlichtungsrat entworfen und vom Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei bewilligt worden war. Die Behörden haben angekündigt, den Drogenhandel verstärkt zu bekämpfen. 67 der im Januar Hingerichteten waren wegen Drogenhandels verurteilt worden. Die tatsächliche Zahl der Hinrichtungen dürfte noch höher sein, erklärten die Gruppen; es gebe glaubwürdige Berichte, wonach in Gefängnissen offiziell nicht bekanntgegebene Hinrichtungen stattfänden.
Der Fall von Zahra Bahrami
Eine andere Gefangene, die im Januar hingerichtet wurde, war Zahra Bahrami, eine holländisch-iranische Doppelbürgerin. Die Staatsanwaltschaft warf ihr Drogenbesitz und –handel vor, nachdem sie während einer Demonstration im Zusammenhang mit den Wahlen verhaftet worden war. Zahra Bahrami konnte gegen ihr Todesurteil keine Berufung einlegen, da es vom Obersten Staatsanwalt bestätigt worden war. Obwohl die niederländischen Behörden intervenierten und die EU Iran aufrief, Bahrami nicht hinzurichten, wurde sie ohne vorherige Ankündigung exekutiert. Die Behörden hatten ihr den Kontakt zu ihrem Anwalt verwehrt und die gesetzlich vorgeschriebene Frist von 48 Stunden zur Ankündigung der Hinrichtung nicht eingehalten. «Seit Jahren nehmen die Behörden ihre politischen Gegner fest und stellen sie wegen krimineller Delikte wie Alkohol, Drogen oder illegalem Waffenbesitz vor Gericht; diese Anklagen sind aber politisch motiviert», erklärte Shirin Ebadi. «Aufgrund solcher fiktiver Vorwürfe haben sie AnwältInnen und JournalistInnen inhaftiert, darunter auch KollegInnen von mir. Angesichts des rasanten Anstiegs der Hinrichtungszahlen, der mangelnden Transparenz im iranischen Justizsystem und der neuesten Änderungen im Betäubungsmittelgesetz steigt die Gefahr, dass die Behörden gewöhnliche kriminelle Anklagepunkte verwenden, um Gegner zum Tod zu verurteilen.»
«Verbreitung von Verderbtheit auf Erden»
Andere Die aktuellen Hinrichtungen lassen auch für das Leben zweier Männer, Said Malekpour und Vahid Asghari, fürchten. Man nimmt an, dass die beiden in separaten, nicht korrekten Verfahren von Revolutionsgerichten zum Tod verurteilt wurden, und zwar wegen «Verbreitung von Verderbtheit auf Erden»
Am 30. Januar gab der Staatsanwalt von Teheran, Abbas Ja’fari Doulatabadi, bekannt, die Todesurteile von zwei nicht namentlich genannten «Administratoren obszöner Websites» seien dem Obersten Gericht zur Bestätigung vorgelegt worden. MenschenrechtsaktivistInnen in Iran gehen davon aus, dass er sich damit Said Malekpour und Vahid Asghari bezog.
Said Malekpour, ein 35jähriger, in Kanada lebender Webdesigner, wurde Ende November 2010 wegen der Gestaltung von «pornografischen» Websites und «Beleidigung der Heiligkeit des Islams» zum Tod verurteilt. Bevor er während eines Familienbesuches in Iran 2008 festgenommen wurde, hatte er ein Programm zum Hochladen von Fotos geschrieben. Dieses Programm wurde auch zum Hochladen von pornografischen Bildern verwendet, was aber gemäss seiner Aussage ohne sein Wissen geschah. Er soll während seiner über ein Jahr dauernden Isolationshaft im Gefängnis Evin gefoltert worden sein.
Der 24jährige Vahid Asghari, der an einer indischen Universität Informatik studiert, ist ebenfalls seit 2008 in Haft und soll gefoltert worden sein. Es wird angenommen, dass sein Prozess gegen Ende 2010 stattgefunden hat, doch wurde nie offiziell ein Urteil bekanntgegeben.
Auch der Fall von Yousef Naderkhani gibt Anlass zur Besorgnis. Die Behörden verhafteten Yousef Naderkhani, den Pfarrer einer Kirche mit 400 Mitgliedern im Norden Irans, im Oktober 2009. Er wurde im September 2010 wegen «Apostasie vom Islam» zum Tod verurteilt, obwohl es im iranischen Strafgesetz diesen Tatbestand gar nicht gibt. Sein Urteil wird gegenwärtig in einem Berufungsverfahren vom Obersten Gericht geprüft.
Am 26. Januar gaben die Behörden bekannt, Seyed Ali Gharabat sei wegen «Verbreitung von Verderbtheit» und «Apostasie» im Karoun-Gefängnis in Ahvaz hingerichtet worden. Nach Angaben der Behörden habe er fälschlicherweise behauptet, er habe mit dem Zwölften Imam kommuniziert. Schiitische Muslime glauben, der Zwölfte Imam befinde sich momentan in der Verborgenheit und werde auf Erden zurückkehren, um die Gerechtigkeit zu verwirklichen.
Das sagt das internationale Recht
Die Religions- und Glaubensfreiheit wird vom Internationalen Pakt über die Bürgerlichen und Politischen Rechte garantiert, den auch Iran ratifiziert hat. Im Pakt ist auch das Recht vorgesehen, die eigene Religion zu wechseln.
In Iran werden mehr Menschen hingerichtet als in jedem anderem Land mit Ausnahme Chinas. Unter den Hunderten, wenn nicht Tausenden Gefangenen, die auf ihre Hinrichtung warten, könnten mehr als 140 sein, die zum Zeitpunkt ihrer mutmasslichen Tat weniger als 18 Jahre alt waren. Das Völkerrecht verbietet die Hinrichtung von Personen für strafbare Handlungen, die sie vor ihrem 18. Geburtstag begangen haben.
Um der gegenwärtigen Hinrichtungswelle ein Ende zu setzen, sollte die Staatengemeinschaft Iran auffordern, die Hinrichtungen unverzüglich einzustellen und seine völkerrechtlichen Verpflichtungen zu respektieren, forderten Shirin Ebadi und die sechs Menschenrechtsorganisationen.
In den letzten fünf Jahren hat Iran die Überprüfung der Situation im Land durch internationale Menschenrechtsmechanismen systematisch verhindert. Deshalb rufen Shirin Ebadi und die Menschenrechtsorganisationen die Staatengemeinschaft auf, die baldige Sitzung des UNO-Menschenrechtsrates zur Ernennung eines Sondergesandten des UN-Generalsekretärs zu nutzen, dessen Mandat die Untersuchung der und die Berichterstattung über die Menschenrechtslage in Iran sein würde.