Iran Iranische Bloggerin im Exil

10. Mai 2012
Farnaz Seifi musste ihr Land 2007 verlassen: Wegen ihrer Arbeit als Journalistin und Bloggerin und ihres Engagements für die Menschenrechte. Seither setzt sie ihre Arbeit von Europa aus fort. Doch das Leben im Exil ist eine harte Erfahrung.

farnaz_2_196.jpg Farnaz Seifi war anlässlich der Filmpremiere von «Forbidden Voices» zu Gast in der Schweiz. Sie ist eine von drei Protagonistinnen im Film. © Philippe Lionnet

Amnesty: Der Film «Forbidden Voices» wird jetzt in den Schweizer Kinos gezeigt. Warum haben Sie in dem Film mitgemacht?
Farnaz Seifi: Die Regisseurin Barbara Miller kam 2009 auf mich zu. Ich lebte damals in den Niederlanden. Wir haben uns getroffen. Ich war zunächst nicht sicher, ob es eine gute Idee war, mitzumachen. Schliesslich habe ich zugesagt. Spannend schien mir, dass Frauen im Zentrum des Films stehen. In stark repressiven Ländern konzentriert sich die Medienaufmerksamkeit normalerweise auf bloggende Männer, die über Politik schreiben. Hier war es für einmal anders. Auch dass drei ganz verschiedene Frauen porträtiert und damit auf gewisse Weise miteinander verbunden werden, gefiel mir.

Im Zentrum von «Forbidden voices» stehen starke Frauen, die ihre Meinung sagen. Wie kommt es, dass es gerade im Iran so viele bloggende Frauen gibt?
Im Iran nutzen etwa 25 Millionen Leute jeden Tag das Internet. Blogs verschaffen ihnen die Möglichkeit, sich auszudrücken, ohne dass ihnen jemand vorschreibt, was sie zu sagen haben und wie sie es zu sagen haben. Gerade wir Frauen werden im Iran stark eingeschränkt und alltäglich unterdrückt. Nach der Revolution haben wir alles verloren. Wir haben keinerlei Rechte mehr. Über Blogs haben wir eine Stimme, können sagen, was wir denken, nicht was die Regierung oder andere uns vorschreiben. Viele Frauen im Iran sind gebildet, haben Universitätsabschlüsse. Sie kennen ihre Rechte und wollen Wege finden, die Unterdrückung zu überwinden.

Sehen Sie denn Unterschiede zwischen Blogs von Frauen und Blogs von Männern?
Oh ja, das ist ein grosser Unterschied. Die Frauen reden mehr über sich selbst. Sie schreiben über das, was in ihrem Alltag passiert. Männer reden eher über die grossen allgemeinen Themen, über Politik, nicht über sich selbst.

Warum haben Sie zu bloggen angefangen?
Als ich anfing, gab es erst eine kleine Minderheit von weiblichen Bloggerinnen im Iran. Ich beschloss, spezifisch über Frauenthemen zu schreiben, auf ganz persönlicher Ebene, über mein alltägliches Leben und meine Empfindungen. Die Bilder der iranischen Frau, die westliche Medien einerseits und die iranische Regierungspropaganda andererseits uns überstülpen wollen, sind nicht meine Bilder. Mein Blog ist eine Art, mich selbst auszudrücken und zu sagen, wer ich bin. Ich habe es satt, über Klischees definiert zu werden.

Welche Rolle spielen Blogs im Kampf für die Menschenrechte, und wie reagiert die Regierung darauf?
Blogs können sehr effizient sein und eine grosse Wirkung haben. Deshalb hat ja auch das Regime so grosse Angst und unternimmt so grosse Anstrengungen, um sie zu unterdrücken.

Die Regierung filtert Blogs. Mein eigener Blog wurde dreimal gefiltert. Die Behörden machen dich ausfindig, laden dich vor, drohen dir, und je nachdem verhaften sie dich und verurteilen dich zu mehreren Jahre Gefängnis.

Das Wort «Frau» auf Farsi wurde auf Google zensuriert. Alle sozialen Medien wurden im Iran zensuriert. Auf der anderen Seite wissen aber auch alle Internet-User, wie man diese Hindernisse umgeht. Zurzeit jedenfalls. Die Regierung investiert unheimlich viel Geld in die Überwachung und Zensur des Internets, sie orientiert sich dabei an den Techniken, die in China entwickelt wurden. Wie sich das weiterentwickeln wird, weiss niemand.

Seit den Wahlen 2009 hat sich die Repression verschärft. Wie ist die Situation im Iran heute?
Unter dem früheren Präsidenten hatten wir ein paar Freiheiten. Mit dem neuen ist alles schlimmer geworden. Nach den Wahlen wurden die sozialen Netzwerke blockiert, 150 Journalistinnen und Journalisten mussten das Land verlassen, viele wurden inhaftiert. Iran hat die höchste Zahl von inhaftierten Medienleuten weltweit. Es war eine grosse Tragödie: Seit den Wahlen 2009 gibt es ein Vorher und ein Nachher.

Sie haben den Iran im 2007 verlassen. Wie ist für Sie das Leben im Exil? Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Familie?
Im Iran hatte ich für die unabhängigen Medien gearbeitet, die dann aber eines nach dem anderen geschlossen wurden. Ich durfte mein Studium nicht weiterführen. Ich wurde verhaftet. Die Behörden haben mir meinen Pass weggenommen. Ich hatte keine Zukunft mehr. Ich musste gehen.

Ich reiste zunächst in die Niederlande, und es ging sechs Monate, bis ich meinen Pass wieder hatte. Ich konnte mein Studium wieder aufnehmen und schloss 2009 meine Doktorarbeit ab. Als dann unmittelbar nach den Wahlen im Iran 22 Journalisten verhaftet wurden, begriff ich, dass ich nie mehr würde zurückkehren können. Es war das Ende eines Traums.

In meinem Herzen ist eine Lücke. Ich kann nicht wirklich glücklich sein. Meine Familie fehlt mir, und ich fehle ihnen. Auch wenn wir uns manchmal in der Türkei treffen können – die Türkei ist zum eigentlichen Treffpunkt zwischen Exil-Iranern und ihren Familien geworden – , vermisse ich sie jeden Tag. Ich kann auch meine Freiheit nicht so geniessen, wie ich sollte. Als ich in den Niederlanden ankam, war ich frei, hatte Rechte, ohne dass ich etwas dazu beigetragen hätte. Ich kam mir vor wie eine Betrügerin: Ich hätte dafür kämpfen und die Freiheit verdienen sollen!

Wie setzen Sie Ihre Aktivitäten für die Frauenrechte und die Meinungsäusserungsfreiheit heute aus dem Exil fort?
Ich persönlich glaube, das Beste, was man tun kann, wenn man draussen ist, ist, denen drinnen zu helfen. Meine Aufgabe ist es, sie zu unterstützen, Medienaufmerksamkeit zu schaffen, zu sensibilisieren, die internationalen Organisationen für ihre Sache zu gewinnen. Das mache ich, seit ich im Exil bin. Im Iran gibt es keine unabhängigen Medien. Die wirklichen Informationsquellen der Iranerinnen und Iraner sind die ausserhalb des Landes. Meine Freundinnen und Freunde liefern mir auch Informationen aus dem Inneren des Landes. Wir helfen uns in gewissem Sinne gegenseitig.

Wie denken Sie über die internationale Solidarität rund um Ihren Blog? Was kann Amnesty International tun, um die Menschenrechtssituation im Iran zu verbessern?
Iranische Blogs waren eine Zeit lang ein Modethema der internationalen Medien. Leider gilt das heute nicht mehr. Der Fall von Hassein Ronaghi Makki zum Beispiel findet kein Echo im Ausland: Hassein hatte uns allen viel geholfen, indem er für uns VPN-Zugänge erstellte, um die Filter der Regierung zu umgehen. Nach den Wahlen wurde er von der Regierung ausfindig gemacht, verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Er ist in Lebensgefahr, nachdem er eine Niere verloren hat, die zweite zu verlieren droht, und einen Herzinfarkt hatte. Medizinische Hilfe wird ihm verweigert. Aber niemand spricht von ihm. Die internationale Gemeinschaft sollte die Augen vor solchen Fällen nicht verschliessen. Macht bitte Druck auf unsere Regierung! Gebt den Iranerinnen und Iranern eine Chance, gehört zu werden!

Was sind Ihre Hoffnungen für die Zukunft?
Meinen Sie im wirklichen Leben oder in meinen Träumen? In Wirklichkeit glaube ich nicht an eine grosse Veränderung im Iran. Ich werde nie mehr in mein Land zurückkehren können und muss das akzeptieren.

In meinen Träumen möchte ich wieder als Journalistin im Iran arbeiten, für eine professionelle unabhängige Zeitung. Ich könnte meine Familie wiedersehen. Und das ganze iranische Volk könnte all seine Menschenrechte geniessen.