Hinrichtungen wegen Drogendelikten machen zwei Drittel aller in den ersten fünf Monaten des Jahres 2023 im Iran vollstreckten Exekutionen aus. Betroffen waren vor allem Menschen aus marginalisierten und wirtschaftlich benachteiligten Verhältnissen. So entfallen rund 20 Prozent der registrierten Hinrichtungen auf Angehörige der verfolgten und verarmten ethnischen Minderheit der Belutsch*innen, obwohl diese nur fünf Prozent der iranischen Bevölkerung ausmacht.
«Die schamlose Geschwindigkeit, mit der die Behörden Menschen wegen Drogendelikten hinrichten lassen, offenbart ihren Mangel an Menschlichkeit und ihre eklatante Missachtung des Rechts auf Leben.» Diana Eltahawy, stellvertretende Direktorin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International
«Die schamlose Geschwindigkeit, mit der die Behörden Menschen wegen Drogendelikten hinrichten lassen, offenbart ihren Mangel an Menschlichkeit und ihre eklatante Missachtung des Rechts auf Leben. Diese Hinrichtungen verstossen gegen das Völkerrecht. Die internationale Gemeinschaft muss sicherstellen, dass die Zusammenarbeit in Initiativen zur Bekämpfung des Drogenhandels weder direkt noch indirekt zum willkürlichen Entzug des Lebens und anderen Menschenrechtsverletzungen im Iran beiträgt», sagte Diana Eltahawy, stellvertretende Direktorin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International.
«Staaten und zwischenstaatliche Gremien müssen die iranischen Behörden für diese willkürlichen Hinrichtungen aufs Schärfste verurteilen und ein offizielles Hinrichtungsmoratorium fordern. Ihre Vertreter*innen müssen Gefangene besuchen, die zum Tode verurteilt sind, und sich um eine Teilnahme an Prozessen bemühen, bei denen Todesurteile verhängt werden könnten. Angesichts der Straflosigkeit bei willkürlichen Hinrichtungen müssen sie auch dringend nach sinnvollen Wegen zur Durchsetzung der Rechenschaftspflicht suchen.»
Im Iran haben die Hinrichtungen insgesamt – unabhängig von den vorgeworfenen Straftaten –in diesem Jahr deutlich zugenommen. 2023 wurden bisher mindestens 282 Menschen hingerichtet – das sind fast doppelt so viele wie Anfang Juni letzten Jahres. Wenn die Behörden die Hinrichtungen in diesem alarmierenden Tempo fortsetzen, könnte die Zahl der getöteten Gefangenen bis zum Jahresende bei fast tausend liegen.
Tödlicher Krieg gegen Menschen in Armut
Vor allem schutzbedürftige und in Armut lebende Menschen sind von der Todesstrafe betroffen, da sie ihre Rechte oft nicht kennen und sich keinen unabhängigen Rechtsbeistand leisten können. Die Familien der Hingerichteten haben häufig mit den schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen des Verlusts der Ernährer*in und der hohen Verschuldung aufgrund der Gerichtskosten zu kämpfen.
Vor allem schutzbedürftige und in Armut lebende Menschen sind von der Todesstrafe betroffen, da sie ihre Rechte oft nicht kennen und sich keinen unabhängigen Rechtsbeistand leisten können.
Den Hinrichtungen im Zusammenhang mit Drogendelikten gehen häufig mangelhafte Ermittlungen der iranischen Antidrogenpolizei und anderer Sicherheitsorgane voraus. Prozesse wegen Drogendelikten werden vor Revolutionsgerichten geführt und sind systematisch unfair, da den Gefangenen das Recht auf ein ordnungsgemässes Verfahren, einschliesslich des Zugangs zu einem Rechtsbeistand, verweigert wird und durch Folter erpresste «Geständnisse» als Beweismittel für ihre Verurteilung verwendet werden.
Ein zum Tode Verurteilter sagte zu Amnesty International:
«Die Richter*innen fragen, ob die Drogen einem selbst gehören, und es macht keinen Unterschied, ob man ja oder nein sagt. Der Richter bei meiner Verhandlung sagte mir, ich solle still sein, als ich sagte, dass die Drogen nicht von mir seien. Er sagte, dass ich zum Tode verurteilt sei und befahl mir, ein Dokument zu unterschreiben, mit dem ich dies akzeptierte. Er erlaubte nicht einmal meinem Anwalt, sich zu meiner Verteidigung zu äussern.»
Ausweitung der Hinrichtungswelle
Die iranischen Behörden richten Gefangene auch wegen Handlungen hin, die nach internationalem Recht in keinem Fall die Todesstrafe nach sich ziehen dürfen.
In den ersten fünf Monaten des Jahres 2023 wurden fünf Menschen im Zusammenhang mit Protesten hingerichtet. Ein Mann wurde wegen «Ehebruchs» hingerichtet, weil er eine einvernehmliche sexuelle Beziehung mit einer verheirateten Frau hatte, und zwei Nutzer*innen sozialer Medien wurden unter anderem wegen «Abfall vom Glauben» und «Beleidigung des Propheten des Islam» hingerichtet.
Die Sicherheitskräfte vergrössern die Qual der Familien der Gefangenen zusätzlich, indem sie friedliche Demonstrationen vor den Gefängnissen, in denen Hinrichtungen geplant sind, gewaltsam niederschlagen, wobei Demonstrierende über den Einsatz von Tränengas und scharfer Munition berichten.
Amnesty International lehnt die Todesstrafe grundsätzlich und ohne Ausnahme ab, ungeachtet der Art und Umstände des Verbrechens, der Schuld oder Unschuld der Person oder der Hinrichtungsmethode. Die Todesstrafe verletzt das Recht auf Leben und ist die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen.