Die gross angelegte israelische Militäraktion von 27. Dezember 2008 bis 18. Januar 2009 mit dem Namen «gegossenes Blei» verursachte im Gazastreifen viel Leid und Zerstörung. Ungefähr 1’400 PalästinenserInnen und 13 Israeli kamen in diesen gut drei Wochen ums Leben, wovon drei israelische Staatsbürger sowie die Mehrheit der palästinensischen Opfer Zivilpersonen waren. Ein Grossteil der Infrastruktur im Gazastreifen wurde zerstört.
Keine Unterscheidung militärischer und ziviler Ziele
Beide Konfliktparteien verletzten das internationale Recht massiv: Die israelische Armee attackierte zivile Gebäude und eröffnete das Feuer, ohne zwischen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden. Dabei wurde auch in dichtest besiedelten Gebieten wiederholt weisser Phosphor, eine hochbrennbare Substanz, verwendet. Die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen schossen ziellos Raketen nach Südisrael und nahmen somit bewusst auch zivile Opfer in Kauf.
Keine Einsicht durch Israel und die Hamas
Der von der Uno im September 2009 veröffentlichte Bericht («Goldstone-Bericht») kam zum Schluss, dass beide Seiten Kriegsverbrechen und möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Der Bericht beinhaltet auch präzise Empfehlungen, wie die Opfer des Konflikts Gerechtigkeit erfahren und entschädigt werden können. Auch zwei Jahre nach dem Konflikt haben jedoch weder die israelische Regierung, noch die de-facto-Administration der Hamas in Gaza umfassende und unabhängige Untersuchungen durchführen lassen, welche den Rechten der Opfer Rechnung getragen hätten: Die Hamas untersuchte die gewaltsamen Aktionen der verschiedenen bewaffneten palästinensischen Gruppen überhaupt nicht, und es fanden im Gazastreifen keine Gerichtsverhandlungen zu den begangenen Kriegsverbrechen statt. Israel hat zwar in einigen Fällen Untersuchungen eingeleitet, die jedoch unter der Aufsicht des Militärs standen. Damit fehlt es ihnen an Transparenz und Unabhänigkeit. Aufgrund der bereits abgeschlossenen Ermittlungen kam es zu lediglich drei Verurteilungen. Zwei davon betrafen rangniedrige Armeeangehörige, die zu je drei Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt wurden, weil sie einen neunjährigen palästinensischen Jungen gezwungen haben, seine Tasche zu öffnen, in der sie einen Sprengsatz vermuteten.
Die internationale Gemeinschaft muss handeln
Der Wille der verantwortlichen Autoritäten in Israel und im Gazastreifen, die Geschehnisse wirklich aufzuarbeiten, scheint klein. Deshalb fordert Amnesty International jetzt eine gerechte Lösung auf internationaler Ebene: Im März 2011 wird der Uno-Menschenrechtsrat im Rahmen seiner 16. Session nochmals über die Umsetzung der Empfehlungen aus dem Goldstone-Bericht beraten. Bei der letzten Diskussion über Gaza im September 2010 hat der Rat keine konkreten Massnahmen beschlossen, auch wenn bereits damals offensichtlich war, dass Israel und die Hamas die Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen nicht zur Rechenschaft ziehen würden. Es ist deshalb von grosser Bedeutung, dass der Menschenrechtsrat nun endlich, über zwei Jahre nach Ende des Krieges, konkrete Aktionen beschliesst, um dem internationalen Recht Nachachtung zu verschaffen.
Zu den Forderungen von Amnesty
Die Forderungen von Amnesty International bauen auf folgenden Überlegungen auf:
Es ist an der Uno, auf internationaler Ebene für Gerechtigkeit zu sorgen. Dafür müssen die zuständigen Gremien der Uno klar festhalten, dass Israel und die Hamas ihren Verpflichtungen zur Untersuchung und Ahndung von Kriegsverbrechen nicht nachgekommen sind, weshalb die Organe der internationalen Justiz sowie die Mitgliedstaaten der Uno tätig werden müssen. Entsprechende Resolutionen fordert Amnesty vom Uno-Menschenrechtsrat und in einem zweiten Schritt von der Uno-Generalversammlung.
Auf der Basis derartiger Resolutionen sind einerseits die Mitgliedstaaten der Uno gefordert, dem internationalen Recht Nachachtung zu verschaffen, indem sie selbst Verfahren gegen mutmassliche Kriegsverbrecher einleiten (Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit).
Andererseits könnte auch der internationale Strafgerichtshof (ICC) tätig werden; allerdings ist die Situation diesbezüglich rechtlich komplex: Da Israel den ICC nicht anerkennt und es unwahrscheinlich ist, dass der Uno-Sicherheitsrat den ICC mit Ermittlungen beauftragt, könnte dieser zur Zeit nur auf Basis einer Deklaration der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) tätig werden: Die PA hatte in einer Deklaration ausdrücklich erklärt, allfällige Urteile des ICC über den Gazakrieg anzuerkennen. Da die PA jedoch keinen von der Uno anerkannten Staat repräsentiert, ist es juristisch unklar, ob der ICC gestützt auf die genannte Deklaration tätig werden kann. Amnesty hat hierzu keine Position, fordert aber den ICC (resp. dessen Pre-Trial Chamber) dringend auf, baldmöglichst einen Entscheid darüber zu fällen.