Israelische Truppen eröffneten das Feuer auf Hunderte syrischer und palästinensischer Protestierender an der Grenze bei Majdal Shams, einer Stadt in den israelisch besetzten Golanhöhen. Demonstrationen hatte es auch in der Nähe von Quneitra gegeben, einer Stadt in jenem Teil des Golans, der nach wie vor unter syrischer Verwaltung steht. Die Proteste waren zum Gedenken an den «Nakba-Tag» organisiert worden, den Jahrestag des Beginns des Krieges vom Juni 1967, in dessen Verlauf die syrischen Golanhöhen sowie die Westbank und der Gazastreifen durch Israel besetzt wurden.
23 Tote und 350 Verletzte
Wie Syriens staaliche Nachrichtenagentur SANA berichtete, wurden am 5. Juni 23 Menschen - darunter auch ein Kind, eine Frau und ein Journalist – durch das israelische Militär getötet und über 350 weitere Menschen durch Kugeln und Tränengas verletzt. Die staatlichen syrischen Medien veröffentlichten die Namen der Toten; viele dieser Namen waren Amnesty International auch unabhängig davon von MenschenrechtsaktivistInnen in den israelisch besetzten Golanhöhen genannt worden.
Sprecher der israelischen Armee (IDF) haben bestätigt, dass DemonstrantInnen beschossen und verwundet wurden; sie bestritten jedoch, dass die Zahl der Toten so hoch gelegen habe. Den Protestierenden warfen sie vor, Steine und Molotov-Cocktails geworfen und versucht zu haben, den Grenzzaun zu beschädigen. Allerdings gab es keine Behauptungen, die Demonstrierenden hätten etwa Schusswaffen mit sich geführt. Doch wurde die Mutmassung laut, dass eine Reihe der Todesfälle dadurch verursacht war, dass Protestierende in der Gegend von Quneitra Landminen zur Explosion gebracht hätten.
Zeugenaussagen zum Vorfall
Amnesty International sprach mit einem Menschenrechtsaktivisten in den israelisch besetzten Golanhöhen, der Zeuge des Vorgehens der israelischen Armee gegen die Proteste and der Grenze bei Majdal Shams gewesen war. Zusammen mit anderen aus der Stadt hatte er die Vorfälle 10 Meter von den israelischen Truppen entfernt beobachtet. Er berichtete, dass hinter mehrfachen Stacheldrahtzäunen verschanzte israelische Soldaten in regelmässigen zeitlichen Abständen mit scharfer Munition auf die demonstrierenden Menschen in rund 60 Metern Entfernung geschossen hatten.
Des Weiteren bestätigte er die Aussagen der israelischen Armee, wonach Soldaten die Protestierenden zunächst in arabischer Sprache gewarnt hatten, bevor sie das Feuer eröffneten. Allerdings berichtete er auch, dass die Armee bis zur Abenddämmerung weder Tränengas noch Schallbomben eingesetzt hatte, um die DemonstrantInnen zu zerstreuen. Das widerspricht den Behauptungen der israelischen Armee, es seien alle möglichen nicht-tödlichen Mittel eingesetzt worden, um die Demonstrationen aufzulösen, ehe man zu scharfer Munition griff.
Den ganzen Tag über evakuierten syrische Ambulanzfahrzeuge verletzte DemonstrantInnen aus der Gefahrenzone und transportierten sie ins Mamdouh Abaza Hospital in Quneitra. Die Nachrichtenagentur SANA zitierte den Direktor des Krankenhauses mit der Aussage, dass die Ärzte dort im Verlauf des Tages mehr als 90 Patienten operierten. Obwohl israelische Armeesprecher behaupten, die israelischen Truppen hätten stets auf die untere Körperhälfte der Protestierenden gezielt, berichten die syrischen Gesundheitsbehörden, dass sich die Mehrzahl der Verletzungen in der oberen Körperhälfte der betroffenen Personen befindet.
Amnesty fordert unabhängige Untersuchung
Amnesty International ist betroffen darüber, dass israelische Truppen exzessive Gewalt bzw. scharfe Munition gegen Demonstrierende einsetzten, obwohl diese in keiner Weise eine Gefahr für das Leben israelischer Miltärangehöriger oder anderer Personen darstellten. Es war dies bereits das zweite Mal, nachdem schon am 15. Mai zwölf Demonstrierende in Grenznähe von israelischen Truppen getötet worden waren (vgl. hier). Dies unterstreicht die Dringlichkeit von unabhängigen Untersuchungen zu beiden Vorfällen, um dazu beizutragen, dass weitere Todesopfer verhindert werden können. Obwohl die israelische Armee zu einigen der Vorfälle vom 15. Mai Ermittlungen eingeleitet hat, gibt es bislang keinen Hinweis darauf, dass eine glaubhafte und unabhängige Untersuchung auf den Weg gebracht wurde.