Israel / besetzte palästinensische Gebiete Resolution des Menschenrechtsrats zum Gazakrieg

28. März 2011
Am 25. März hat der Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen nochmals über die Aufarbeitung des Konflikts im Gazastreifen und in Südisrael 2008/2009 beraten. Die verabschiedete Resolution hat zwar diverse Mängel, könnte aber dennoch den Weg dazu ebnen, den Opfern zu Recht und Gerechtigkeit zu verhelfen. Nun ist die UN-Generalversammlung gefordert, den Internationalen Strafgerichtshof einzuschalten.

Die Resolution fordert die UN-Generalversammlung dringend auf, die fortlaufende Straflosigkeit für Kriegsverbrechen und mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die 2008/2009 während des Gaza-Konfliktes begangen wurden, anzugehen und die Angelegenheit der Strafverfolgungsbehörde des Internationen Strafgerichtshofs (ICC) zu übergeben. Amnesty International fordert die UN-Generalversammlung auf, die Umsetzung der Resolution so zügig wie möglich voranzubringen.

Warten auf Gerechtigkeit

Die palästinensischen und israelischen Opfer des 22-tägigen Konfliktes im Gazastreifen und im Süden Israels warten seit mehr als zwei Jahren auf Gerechtigkeit, und Israel sowie die Hamas haben gezeigt, dass sie nicht in der Lage oder nicht willens sind, dies zu bewerkstelligen. Amnesty International fordert deshalb seit längerem eine Lösung im Rahmen der internationalen Rechtsmechanismen, sodass der Teufelskreis aus Unrecht und Straflosigkeit ein Ende nimmt.

Die Resolution vom 25. März war von der Palästinensischen Autonomiebehörde entworfen und im Menschenrechtsrat mit den Stimmen von 27 Ländern, bei drei Gegenstimmen und sechs Enthaltungen, verabschiedet worden. Sie folgt auf den zweiten Bericht eines Ausschusses unabhängiger Experten, der eingerichtet wurde, um die Untersuchungen Israels und der Hamas zu den Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht im Verlauf des Konfliktes zu beobachten. Dieser Bericht wurde dem Menschenrechtsrat am 18. März 2011 vorgelegt. Der Bericht stimmt mit Amnesty Internationals Beurteilung darin überein, dass sich – mehr als 18 Monate nachdem die Untersuchungsmission der Vereinten Nationen zum Gazakonflikt die durch beide Seiten begangenen Verstösse gegen das internationale Recht dokumentiert hat – weder die israelischen Behörden noch die faktisch regierende Hamas-Administration in Gaza in der Lage gezeigt und willens haben, eigene Untersuchungen durchzuführen, die den internationalen Standards von Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Gründlichkeit, Wirksamkeit und Unverzüglichkeit entsprechen.

Untätigkeit Israels und der Hamas

Der Bericht der von Richter Richard Goldstone geführten UN-Untersuchungsmission vom September 2009 kam zu dem Schluss, dass sowohl das israelische Militär als auch bewaffnete palästinensische Gruppen während des Konfliktes Kriegsverbrechen und mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt haben. Für den Fall, dass es den Behörden Israels und der Hamas innerhalb von sechs Monaten nicht gelingen sollte, glaubhafte, unabhängige Untersuchungen durchzuführen, empfahl der Bericht, die Angelegenheit über den UN-Sicherheitsrat an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) zu übergeben. Die heute vom Menschenrechtsrat verabschiedete Resolution legt der UN-Generalversammlung nahe, den Bericht der UN-Untersuchungsmission anlässlich seiner 66. Sitzung im September 2011 erneut zu erörtern und ihn an den Sicherheitsrat weiterzuleiten, dem das Dokument bislang noch nicht zur Prüfung vorgelegen hat.

In ihren Resolutionen vom November 2009 und vom September 2010 hatte die Generalversammlung die Israel und die Hamas bereits zwei Mal dazu angehalten, glaubhafte, unabhängige Untersuchungen durchzuführen. Diese Aufrufe sind offensichtlich ignoriert worden, und die UN-Generalversammlung muss die Angelegenheit jetzt ohne weitere Verzögerung an den Sicherheitsrat übergeben. Die UN-Generalversammlung sollte zudem auch dafür sorgen, dass die beiden Berichte des Ausschusses Unabhängiger Experten vor den Sicherheitsrat gelangen, trotzdem es der UN-Menschenrechtsrat unterlassen hat, diese Berichte an die Generalversammlung weiterzuleiten.

ICC und Staatengemeinschaft auch gefordert

Unterdessen hält Amnesty International an der Forderung fest, wonach die Strafverfolgungsbehörde des Internationalen Strafgerichtshofes eine Entscheidung der Richter seiner «Pre-Trial Chamber» verlangen soll darüber, ob der ICC auf Grundlage einer im Januar 2009 abgegebenen Deklaration der Palästinensischen Autonomiebehörde eine Untersuchung der während des Konfliktes begangenen Verbrechen eröffnen kann oder nicht. Diese Deklaration erkennt die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) für alle Verbrechen an, die «seit dem 1. Juli 2002 auf palästinensischem Territorium verübt wurden.» RechtsexpertInnen stellen indes infrage, ob die Palästinensische Autonomiebehörde anhand des Römer Statuts überhaupt als «Staat» betrachtet werden kann, der berechtigt ist, eine solche Deklaration abgeben zu können. Sollten die Richter zu der Entscheidung gelangen, dass der Internationale Strafgerichtshof anhand dieser Erklärung aktiv werden kann, so wäre eine Übergabe der Angelegenheit durch den Sicherheitsrat nicht nötig, um dem ICC die Eröffnung eines Verfahrens zu ermöglichen.

Angesichts dessen, dass Israel und die Hamas den palästinensischen wie israelischen Opfern die Gerechtigkeit verweigern, fordert Amnesty International nach wie vor auch alle Staaten dringend auf, die Verbrechen nach internationalem Recht in Anwendung des Weltrechtsprinzips vor ihren eigenen Gerichten zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen.

Amnesty-Petition mit 109'000 Unterschriften

Seit Januar 2011 hat Amnesty International fast 109’000 Unterschriften von Mitgliedern und UnterstützerInnen auf der ganzen Welt gesammelt, die den Menschenrechtsrat – der im Rahmen der 15. Sitzung im September 2010 noch keinerlei konkreten Massnahmen beschlossen hatte – dazu aufgerufen haben, die internationale Justiz einzuschalten.

Hintergrund

Die Operation «Gegossenes Blei», Israels 22-tägige Militäroffensive gegen den Gazastreifen, die am 18. Januar 2009 beendet wurde, hat den Tod von 1’400 PalästinenserInnen, mehrheitlich Zivilistinnen, gefordert und weite Gebiete des Gazastreifens zerstört. Auch dreizehn Israelis, darunter drei ZivilistInnen, wurden während des Konfliktes getötet. Beide Seiten haben gegen das humanitäre Völkerrecht verstossen. In Angriffen mit Präzisionswaffen, bei denen nicht ausreichend zwischen legitimen militärischen Zielen und Zivilisten unterschieden wurde, attackierten die israelischen Streitkräfte ziviles Eigentum, die zivile Infrastruktur, Einrichtungen der Vereinten Nationen, medizinische Einrichtungen und deren Personal. Der militärische Flügel der Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen starteten wahllose Raketen- und Mörserangriffe auf den Süden Israels.

Die heutige Resolution des Menschenrechtsrates, die von der Palästinensischen Autonomiebehörde entworfen und vorgeschlagen wurde, enthält keinen direkten Bezug auf die Verstösse, die durch bewaffnete palästinensische Gruppen begangen wurden, und auf das Versagen der Hamas-Behörden, adäquate Untersuchungen durchzuführen. Des Weiteren fehlt der Hinweis auf die Weitergabe der beiden Berichte des Ausschusses Unabhängiger Experten an die Generalversammlung. Amnesty international hatte den Resolutionsentwurf in diesen beiden Punkt bereits vorab kritisiert. Die USA, Grossbritannien und die Slowakei stimmten gegen die Resolution, während sich einige EU-Mitgliedsstaaten ebenso wie einige andere Länder der Stimme enthielten.