Ahed Tamimi muss sich vor dem israelischen Jugendmilitärgericht in Ofer im besetzten Westjordanland wegen schwerer Körperverletzung und elf weiterer Vergehen verantworten. Sie wird aufgrund eines Facebook-Videos angeklagt. Auf diesem ist zu sehen, wie die Jugendliche in ihrem Dorf Nabi Saleh zwei israelische Soldaten schubst, schlägt und tritt.
«Nichts von dem, was Ahed Tamimi getan hat, kann die anhaltende Inhaftierung eines 16-jährigen Mädchens rechtfertigen», sagt Magdalena Mughrabi, stellvertretende Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International. «Die israelischen Behörden müssen Ahed unverzüglich freilassen. Das Filmmaterial zeigt den Angriff eines unbewaffneten Mädchens auf zwei bewaffnete Soldaten, die Schutzkleidung tragen. Es ist eindeutig, dass Ahed keine tatsächliche Bedrohung darstellt und dass ihre Bestrafung völlig unverhältnismässig ist.» Amnesty fordert daher die umgehende Freilassung von Ahed Tamimi.
Auf dem Video ist deutlich zu sehen, dass die mit Sturmgewehren bewaffneten Soldaten die Schläge und Tritte von Ahed problemlos parieren konnten.
Demonstration gegen Trumps Entscheid
Ahed Tamimi wurde am 19. Dezember gemeinsam mit ihrer Mutter Nariman Tamimi verhaftet, nachdem die Mutter – eine bekannte Aktivistin – das Video online gestellt hatte. Dieses wurde während einer Demonstration in Nabi Saleh aufgenommen, an welcher gegen den Entscheid von US-Präsident protestiert wurde, Jerusalem als Hauptstadt von Israel anzuerkennen.
Am Tag der Demonstration war Aheds Cousin Mohammad Tamimi von einer Gummikugel am Kopf getroffen worden, die ein israelischer Soldat aus nächster Nähe abgefeuert hatte. Die Familie erzählte Amnesty International, dass der 15-Jährige eine Operation benötigte, bei welcher Teile seines Schädels entfernt werden mussten.
Gemäss dem internationalen Übereinkommen über die Rechte des Kindes, das Israel unterzeichnet hat, darf die Inhaftierung eines Kindes nur als letztes Mittel und für den kürzesten angemessenen Zeitraum verwendet werden. «Damit verletzt Israel eindeutig seine völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz von Kindern vor allzu harten Strafen», so Magdalena Mughrabi.
Kein Einzelfall
Die israelische Armee bringt jedes Jahr Hunderte von palästinensischen Kindern vor Militärgericht, oft nachdem sie bei nächtlichen Razzien verhaftet und misshandelt wurden. Ihnen werden die Augen verbunden, sie werden bedroht, ohne die Anwesenheit eines Anwalts oder Familienangehörigen harten Verhören unterzogen, in Einzelhaft gesteckt und in einigen Fällen misshandelt. Nach Angaben lokaler Menschenrechtsorganisationen befinden sich derzeit etwa 350 palästinensische Kinder in israelischen Gefängnissen und Haftanstalten.
Aheds Anwalt bestätigt, dass Ahed mehrere harte Verhöre erlebte, manchmal nachts, und Drohungen gegen ihre Familie geäussert wurden. Nach Angaben von Aheds Familie musste Ahed mit anderen minderjährigen Häftlingen längere, anstrengende Transfers vom Gefängnis zum Gericht ertragen, ohne Zugang zu einer Toilette.
Aheds Cousine Nour, die ein Tag nach Ahed verhaftet wurde, wurde zwar freigelassen, auf sie wartet jedoch ein Gerichtsverfahren. Die Kaution betrug 5000 israelische Schekel (ca. 1400 CHF).
Aheds Vater Bassem Tamimi, früher ein Amnesty-Gewissensgefangener, wurde das Reisen verboten. Weiteren zwanzig Familienmitgliedern wurde von israelischer Seite gedroht, dass ihnen der Verbleib in ihrem Heimatdorf Nabi Saleh verwehrt werden könnte.
Hintergrund
Gemäss der Organisation Defense for Children Palestine (DCI) kommen jedes Jahr zwischen 500 und 700 palästinensische Kinder aus dem besetzten Westjordanland vor das Jugendmilitärgericht, das israelischem Militärrecht untersteht. Die Richter und Strafverfolger sind Angehörige des israelischen Militärs; die Gerichtsbarkeit des israelischen Militärgerichtssystems wird jedoch nicht auf die israelischen Siedler angewandt, die ebenfalls im Westjordanland leben; sie unterstehen israelischem Zivilrecht.
Das kleine Dorf Nabi Saleh, nordwestlich von Ramallah im besetzten Westjordanland gelegen, ist seit 2009 Schauplatz regelmässiger Proteste gegen die israelische militärische Besetzung sowie gegen die Enteignung von Land und der Wasserquellen der Gemeinde. Die israelische Armee wendet routinemässig übermässige Gewalt gegen Demonstrantinnen, Demonstranten und Umstehende an und hat in vielen Fällen vorsätzlich Privateigentum beschädigt. Seit 2009 wurden drei Bewohner von israelischen Soldaten durch scharfe Munition, gummierte Metallgeschosse und Tränengas getötet.