Im neuen Bericht «Destination: Occupation» dokumentiert Amnesty International anhand von Fallstudien die Aktivitäten von Airbnb, Booking.com, Expedia und TripAdvisor in israelischen Siedlungen und zeigt auf, wie touristische Angebote und Aktivitäten zur Konsolidierung der illegalen Siedlungstätigkeit beitragen und sogar als Rechtfertigung für deren Ausbau dienen. Die israelische Regierung investiert beträchtliche Summen in den Tourismussektor. Naturparks, archäologische Stätten und andere touristische Attraktionen dienen regelmässig als Rechtfertigung für die Enteignung palästinensischen Landes oder gar den Abriss palästinensischer Dörfer.
Befehl zum Abriss eines Beduinendorfes
Ein Beispiel ist der der schnell wachsende Tourismussektor der Siedlung Kfar Adumim: Deren Expansion ist ein Hauptgrund dafür, dass die lokalen Beduinengemeinschaften immer mehr verdrängt werden; so hat das oberste israelische Gericht den vollständigen Abriss des Beduinendörfer Khan al-Ahmar bewilligt. «Die israelische Regierung benutzt den wachsenden Tourismussektor in den Siedlungen dazu, deren Existenz und Ausbau zu rechtfertigen. Die Online-Buchungsplattformen sind Teil dieser Agenda. «Es ist Zeit, dass diese Unternehmen die Menschenrechte respektieren und sämtliche Unterkünfte und Aktivitäten in illegalen Siedlungen auf besetztem palästinensischem Land entfernen. Verstösse gegen das Völkerrecht dürfen nicht zur Touristenattraktion werden», so Reto Rufer, Nahostverantwortlicher der Schweizer Sektion von Amnesty International.
«Es ist Zeit, dass diese Unternehmen die Menschenrechte respektieren und sämtliche Unterkünfte und Aktivitäten in illegalen Siedlungen auf besetztem palästinensischem Land entfernen. Verstösse gegen das Völkerrecht dürfen nicht zur Touristenattraktion werden» Reto Rufer, Nahostverantwortlicher der Schweizer Sektion von Amnesty International
Desinformation von Nutzerinnen
Die Buchungsplattformen unterlassen es in aller Regel auch, die BenutzerInnen darüber aufzuklären, dass sich die betreffenden Unterkünfte und Angebote auf besetztem und illegal besiedeltem Gebiet befinden. Tourismusangebote wie «Wüstencamping» stehen auch in scharfem Gegensatz zu den alltäglichen Menschenrechtsverletzungen, denen sich Palästinenserinnen und Palästinenser ausgesetzt sehen. «Touristinnen und Touristen, die hierherkommen, werden belogen; sie haben keine Ahnung, dass dies unser Land ist», so ein palästinensischer Bauer, der in der Nähe der Siedlung Shiloh lebt. Dort finanziert die israelische Regierung ein grosses Besucherzentrum für eine Ausgrabungsstätte. Die in der nahen Umgebung verbliebenen palästinensischen BewohnerInnen werden immer wieder von bewaffneten Siedlern angegriffen.
Unbefriedigende Antworten der Unternehmen
Amnesty International konfrontierte Airbnb, Booking.com, Expedia und TripAdvisor mit den Fallstudien. Keines der Unternehmen lieferte eine substanzielle Antwort: Airbnb und TripAdvisor haben bisher nicht reagiert, Booking.com und Expedia lediglich mit kurzen Statements, wonach keine gesetzliche Verpflichtung zum Rückzug aus den Siedlungen bestehe. Airbnb hatte im November 2018 angekündigt, keine Unterkünfte mehr in Siedlungen im besetzten Westjordanland anzubieten. Die Ankündigung betraf jedoch nicht Ostjerusalem und wurde bislang auch noch nicht umgesetzt.
Appell an Unternehmen und Staaten, kein Boykottaufruf
Amnesty fordert Airbnb, Booking.com, Expedia und TripAdvisor auf, die in den eigenen Richtlinien formulierten Bekenntnisse zu den Menschenrechten sowie internationale Standards zur Unternehmensverantwortung ernst zu nehmen und sämtliche Angebote aus völkerrechtlich illegalen Siedlungen von ihren Plattformen zu nehmen. Zur weltweiten Online-Aktion an den CEO von TripAdvisor
Auch die Regierungen der Staaten, in denen die betreffenden Unternehmen ansässig sind (USA, Niederlande, Irland), stehen in der Pflicht, die Respektierung zentraler Prinzipien des (humanitären) Völkerrechts sicherzustellen: Sie dürfen eine völkerrechtlich illegale Situation wie diejenige der israelischen Siedlungen weder direkt noch indirekt anerkennen oder stützen. Solange sie die auf ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Unternehmen erlauben, in und mit Siedlungen geschäftlich tätig zu sein, und kommen sie dieser rechtlichen Verpflichtung nicht nach. Im Rahmen einer Kampagne zum 50. Jahrestag der Besetzung hat Amnesty auf dieser Basis auch ein Verbot der Einfuhr von Siedlungsprodukten gefordert.
Die Forderungen von Amnesty betreffen ausschliesslich die völkerrechtlich illegalen Siedlungen und nicht Israel generell. Sie sind auch kein Boykottaufruf, sondern richten sich an die Verantwortung von Unternehmen und Regierungen. Die Menschenrechtsorganisation unterstützt somit auch nicht die sogenannte BDS-Kampagne (Boycott, Divestment, Sanctions), betrachtet sie aber als legitime Form der freien Meinungsäusserung.
Hintergrund: Die israelischen Siedlungen und das internationale Recht
Der Bevölkerungstransfer in besetzte Gebiete und damit der Siedlungsbau stellen eine eklatante Verletzung des humanitären Völkerrechts (Art.49 der IV. Genfer Konvention) und damit ein Kriegsverbrechen dar. Die Siedlungstätigkeit verstösst gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker und geht einher mit fortgesetzten, massiven Menschenrechtsverletzungen: Zehntausende palästinensische Häuser und Besitztümer sind durch Israel zerstört worden, hunderttausende Palästinenser zwangsvertrieben und mindestens 100'000 Hektar palästinensischen Landes werden exklusiv von Siedlerinnen und Siedlern genutzt. Dabei kontrolliert Israel über Militärverordnungen den Zugang zu den natürlichen Ressourcen zum Wohle einer prosperierenden Landwirtschaft und Industrie in den Siedlungen, während Palästinenserinnen und Palästinenser willkürlichen und rechtswidrigen Restriktionen beim Zugang zu Wasser und anderen Ressourcen ausgesetzt sind.
50 Jahre nach der israelischen Besetzung des Westjordanlands einschliesslich Ost-Jerusalems, des Gazastreifens und der Golanhöhen lebten dort in über 200 Siedlungen mehr als 600'000 Siedlerinnen und Siedler, und der Ausbau geht unvermindert weiter. Dabei war Israel in der Resolution 2334 des Uno-Sicherheitsrats von Dezember 2016 aufgefordert worden, sämtliche Siedlungsaktivitäten einzustellen. Diese Resolution ruft die Staatengemeinschaft auch dazu auf, in ihrem Handeln zwischen dem Hoheitsgebiet des Staates Israel und den seit 1967 besetzten Gebieten zu unterscheiden.