Jahresbericht Israel / besetzte palästinensische Gebiete 2019

18. Februar 2020
Die israelischen Behörden diskriminierten auch 2019 die in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten lebenden Palästinenser und Palästinenserinnen. Aber auch die Rechte von Flüchtlingen, Frauen, Wehrdienstverweigerern und weiteren Menschen wurden verletzt.

Berichtszeitraum: 1. Januar – 31. Dezember 2019

Amtliche Bezeichnung: Staat Israel
Staatsoberhaupt: Reuven Rivlin
Regierungschef: Benjamin Netanyahu

 

Übersicht

Rechtswidrige Tötungen
Recht auf Bewegungsfreiheit, Recht auf Gesundheit
Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen
Minderjährige in Gewahrsam
Diskriminierung
Folter und andere Misshandlungen sowie Tod in Gewahrsam
Recht auf Wohnen, Zwangsräumungen
Recht auf freie Meinungsäusserung und Vereinigungsfreiheit
Gewalt gegen Frauen
Flüchtlinge, Asylsuchende und ArbeitsmigrantInnen
Wehrdienstverweigerung
Berichte von Amnesty International

Bei Demonstrationen im Gazastreifen und im Westjordanland töteten israelische Sicherheitskräfte 38 PalästinenserInnen, darunter mindestens elf Minderjährige. Viele der Opfer wurden rechtswidrig getötet, da von ihnen keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben anderer Personen ausging. Die israelischen Behörden zogen weder die Verantwortlichen zur Rechenschaft, noch erhielten die Betroffenen dieser groben Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte eine Entschädigung. Israelischen Luftschlägen und Artilleriebeschuss im Gazastreifen fielen 28 palästinensische Zivilpersonen zum Opfer, die nicht direkt in die Feindseligkeiten verwickelt waren, darunter zehn Minderjährige. Israel hielt weiterhin die widerrechtliche Blockade des Gazastreifens aufrecht. Für die BewohnerInnen des Gebietes stellte dies eine Kollektivstrafe dar und verschärfte noch die humanitäre Krise. In den besetzten palästinensischen Gebieten blieb das Recht auf Bewegungsfreiheit der PalästinenserInnen durch Kontrollpunkte und Strassensperrungen eingeschränkt. Die israelischen Behörden hielten unrechtmässig Tausende PalästinenserInnen aus den besetzten Gebieten in Israel in Haft. Hunderte sassen ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Administrativhaft. Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen, darunter auch Minderjährigen, wurden nicht geahndet. Die israelischen Behörden zerstörten weiterhin palästinensischen Wohnraum im Westjordanland und vertrieben mehr als 900 BewohnerInnen. Die Behörden gingen mit einer Reihe von Massnahmen gegen MenschenrechtsverteidigerInnen, JournalistInnen und andere Personen vor, die sich kritisch zu Israels fortdauernder Besetzung des Westjordanlandes, des Gazastreifens und der syrischen Golanhöhen äusserten. Die Behörden verweigerten Asylsuchenden auch 2019 den Zugang zu einem fairen und zügigen Verfahren, um ihren Flüchtlingsstatus feststellen zu lassen. WehrdienstverweigerInnen aus Gewissensgründen wurden inhaftiert.

Hintergrund

Israel hielt am 9. April 2019 Parlamentswahlen ab. Da keiner der Parteivorsitzenden eine Regierungskoalition bilden konnte, wurden zum 17. September 2019 Neuwahlen ausgerufen. Erneut kam es zu keiner Regierungsbildung. Die dritten Neuwahlen sind für März 2020 angesetzt. Am 21. November 2019 wurde Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wegen Bestechung, Betrug und Untreue angeklagt.

Israels Regierung verstärkte erneut den rechtswidrigen Ausbau der Siedlungen und der damit verbundenen Infrastruktur im besetzten Westjordanland und in Ost-Jerusalem. Weiter entfernte Siedlungen, die ohne staatliche Genehmigung teils auf palästinensischem Privatbesitz errichtet worden waren, wurden nachträglich genehmigt. Am 19. November 2019 gab die US-Regierung bekannt, dass sie die israelischen Siedlungen im Westjordanland gemäss Völkerrecht nicht als widerrechtlich erachte. Am 25. März 2019 hatte US-Präsident Donald Trump Israels Souveränität über die besetzten Golanhöhen anerkannt und widersprach damit Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, der die Annexion des Gebietes durch Israel als unrechtmässig erklärt hatte.

Am 20. Dezember 2019 gab die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) bekannt, dass die Voruntersuchungen zur «Situation in Palästina» Hinweise auf Kriegsverbrechen ergeben hatten, die in den besetzten palästinensischen Gebieten begangen worden waren. Alle gesetzlich festgelegten Voraussetzungen für die Eröffnung eines Verfahrens wären somit erfüllt. Bevor mit der Untersuchung fortgefahren werden kann, müssen die IStGH-RichterInnen der Chefanklägerin noch bestätigen, dass das Gebiet, für das der IStGH Recht sprechen soll, auch das Westjordanland, Ost-Jerusalem und den Gazastreifen einschliesst.

Im März 2019 feuerten bewaffnete palästinensische Gruppen eine Rakete aus dem Gazastreifen nach Zentralisrael und verletzten sieben Zivilpersonen. Als Vergeltung nahmen israelische Streitkräfte Ziele der Hamas im Gazastreifen unter Beschuss. Zwischen dem 3. und 5. Mai 2019 flog die israelische Luftwaffe Hunderte Luftschläge auf den Gazastreifen und feuerte Mörsergranaten ab. 25 Zivilpersonen kamen dabei ums Leben. Bewaffnete palästinensische Gruppen feuerten Hunderte Raketen auf Israel und töteten vier Personen. Nachdem israelische Streitkräfte eine Führungspersönlichkeit der bewaffneten Gruppe Palästinensischer Islamischer Jihad bei einem Luftschlag getötet hatten, flammten zwischen dem 12. und 16. November 2019 erneut Feindseligkeiten auf. Bei israelischen Luftangriffen kamen 35 Menschen ums Leben, darunter 16 Zivilpersonen. Bei Raketenangriffen von bewaffneten palästinensischen Gruppen auf Israel gab es Verletzte.

Die israelischen Streitkräfte flogen auch Luftschläge auf Stellungen der iranischen Streitkräfte und der Hisbollah in Syrien, dem Libanon und dem Irak.

Rechtswidrige Tötungen

Wie das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) mitteilte, töteten israelische Soldaten und Angehörige der Sicherheitskräfte während Demonstrationen im Gazastreifen und im Westjordanland mindestens 38 Palästinenser, darunter elf Minderjährige. Viele dieser Personen wurden widerrechtlich durch scharfe Munition oder Anwendung exzessiver Gewalt getötet, da von den Opfern keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben anderer Personen ausging. Viele dieser widerrechtlichen Tötungen schienen vorsätzlich begangen worden zu sein, was den Tatbestand von Kriegsverbrechen erfüllen könnte.

PalästinenserInnen im Gazastreifen demonstrierten weiterhin wöchentlich im Rahmen des «Grossen Rückkehrmarschs», der erstmals im März 2018 stattgefunden hatte. Nach Angaben des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte (Palestinian Centre for Human Rights) wurden bis zum 27. Dezember 2019 insgesamt 215 PalästinenserInnen getötet, darunter 47 Minderjährige, vier SanitäterInnen und zwei JournalistInnen. Einige palästinensische Protestierende wandten Gewalt an und warfen Steine und Molotow-Cocktails auf israelische Soldaten.

Die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang von Protestaktionen im Gazastreifen zwischen März und Dezember 2018 gab am 28. Februar 2019 bekannt, dass israelische Streitkräfte Kriegsverbrechen begangen haben könnten, indem sie gezielt auf palästinensische Zivilpersonen geschossen hätten. Im Juli 2019 berichteten israelische Medien, dass die Streitkräfte ihre Regeln zur Eröffnung des Feuers für Scharfschützen geändert hätten. Bisher durften Scharfschützen auf die Beine von Protestierenden zielen, und zwar auch über dem Knie. Aber erst nach mehr als einem Jahr des Wissens, dass diese Taktik zu unnötigen Todesfällen und schweren Verletzungen führte, wurden Scharfschützen angewiesen, in Zukunft nur noch auf die Beine unterhalb des Knies zu schiessen.

Am 16. Mai 2019 stellte die israelische Armee die Ermittlungen zur Tötung von Ibrahim Abu Thuraya ein, Anklagen wurden nicht erhoben. Der Nutzer eines Rollstuhls war während der Protestaktionen im Gazastreifen im Dezember 2017 von Unbekannten erschossen worden.

Am 30. Oktober 2019 verurteilte ein Militärgericht einen israelischen Soldaten, der den 15-jährigen Palästinenser Othman Halas während einer Protestaktion im Gazastreifen im Juli 2018 erschossen hatte, zu gemeinnütziger Arbeit und degradierte ihn wegen «Gefährdung eines Lebens wegen Nicht-Beachtung von Befehlen».

Bei Luftschlägen und Artilleriebeschuss der israelischen Streitkräfte auf den Gazastreifen kamen 28 palästinensische Zivilpersonen ums Leben, die nicht direkt an den Feindseligkeiten beteiligt waren, darunter zehn Minderjährige. 13Zivilpersonen starben während Zusammenstössen zwischen dem 3. und 5. Mai 2019, 15 Personen zwischen dem 12. und 16. November 2019. Einige dieser Angriffe, in denen Zivilpersonen ums Leben kamen oder verletzt wurden, waren wahllos und unverhältnismässig oder wurden ausgeführt, ohne auf den angemessenen Schutz der Zivilbevölkerung zu achten.

Nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) kamen bei Angriffen von israelischen SiedlerInnen auf PalästinenserInnen im Westjordanland zwei PalästinenserInnen ums Leben, 112 wurden verletzt. Die israelischen Streitkräfte unterliessen es wiederholt, bei solchen Übergriffen einzugreifen und die Handgreiflichkeiten zu beenden. Die israelische Justiz zog die TäterInnen nicht zur Verantwortung.

Recht auf Bewegungsfreiheit, Recht auf Gesundheit

Die israelischen Behörden hielten die unrechtmässige Luft-, Land- und Seeblockade des Gazastreifens 2019 im 12. Jahr weiterhin aufrecht, mit verheerenden Folgen für die Menschenrechte der rund 2 Mio. EinwohnerInnen des Gazastreifens. Diese Massnahmen kamen einer Kollektivstrafe für die gesamte Bevölkerung gleich. Die Ein- und Ausreise von Personen sowie die Ein- und Ausfuhr von Waren unterlagen starken Beschränkungen. Im Januar 2019 warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) davor, dass der Einfuhrstopp von Treibstoff vor allem die Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen im Gazastreifen erheblich beeinträchtigte. Nach Raketenangriffen auf Israel zwischen dem 26. August und dem 1. September 2019 hatten die israelischen Behörden die Treibstofflieferung nach Gaza halbiert. Dies führte dazu, dass sich die Versorgung mit Elektrizität im Gazastreifen pro Tag auf maximal vier Stunden reduzierte.

Im Juni 2019 berichtete das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte einen akuten Engpass bei Medikamenten für KrebspatientInnen und anderen chronisch erkrankten Personen im Gazastreifen. Die israelischen Behörden verweigerten BewohnerInnen des Gazastreifens willkürlich Genehmigungen für eine medizinische Behandlung, mit denen PatientInnen nach Israel oder das Westjordanland ausreisen können, um dort medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Im Januar 2019 erweiterte die israelische Regierung die Fischereizonen vor der Küste des Gazastreifens auf 12 Seemeilen. Dieser Wert liegt deutlich unter der 20-Meilen-Zone, die in den Oslo-Verträgen aus den 1990er-Jahren festgelegt und sowohl von Israel als auch von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) unterzeichnet worden waren.

Im Westjordanland schränkten mindestens 100 Militärkontrollpunkte und Absperrungen weiterhin die Bewegungsfreiheit von PalästinenserInnen empfindlich ein. InhaberInnen von palästinensischen Personalausweisen durften weiterhin keine Strassen benutzen, die für israelische SiedlerInnen gebaut worden waren.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Die israelischen Behörden führten im Westjordanland Hunderte Razzien durch und nahmen PalästinenserInnen vor allem bei Nacht in ihren Häusern fest. Sie wurden in Gefängnissen in Israel inhaftiert, zusammen mit Tausenden weiterer PalästinenserInnen aus den besetzten Gebieten, die bereits in den vorangegangenen Jahren in Gewahrsam genommen worden waren. Dies stellt einen Verstoss gegen das humanitäre Völkerrecht dar, welches es verbietet, Häftlinge in das Gebiet der Besatzungsmacht zu verlegen.

Am 31. Oktober 2019 nahmen israelische Streitkräfte Khalida Jarrar fest, vormals eine Abgeordnete des Palästinensischen Legislativrates und Vorstandsmitglied der palästinensischen Gefangenenrechtsorganisation Addameer. Sie wurde beschuldigt, «eine Position in einer verbotenen Vereinigung eingenommen» zu haben und befand sich zum Ende des Jahres 2019 noch immer in Haft.

Die israelischen Behörden nutzten Verwaltungshaftanordnungen, die beliebig oft verlängert werden konnten, um PalästinenserInnen ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Haft zu halten. Nach Angaben der israelischen Justizvollzugsbehörde sassen zum 31. Dezember 2019 rund 4.544 PalästinenserInnen aus den besetzten Gebieten, darunter 464 Verwaltungshäftlinge, in israelischen Gefängnissen. Viele Familien von palästinensischen Häftlingen in Israel, vor allem jene aus dem Gazastreifen, bekamen keine Einreiseerlaubnis nach Israel, um ihre Verwandten zu besuchen.

Palästinensische Zivilpersonen, unter ihnen auch Minderjährige, aus den besetzten Gebieten mussten sich vor Militärgerichten verantworten, welche die Anforderungen für faire Gerichtsverfahren nicht erfüllen.

Minderjährige in Gewahrsam

Die israelischen Behörden hielten zum 31. Dezember 2019 rund 186 palästinensische Kinder und Jugendliche in Gefängnissen fest, vier von ihnen befanden sich in Verwaltungshaft. Die NGO Defence for Children International – Palestine berichtete, dass die Minderjährigen in Abwesenheit ihrer Eltern verhört wurden und zusammen mit Erwachsenen inhaftiert sind. Das Völkerrecht sieht eine Inhaftierung von Kindern nur als letztmögliches Mittel und für den kürzest möglichen Zeitraum vor.

Am 22. Januar 2019 nahmen israelische Streitkräfte den 14-jährigen Suleiman Abu Ghosh aus dem Flüchtlingslager Qalandia fest und hielten ihn vier Monate lang in Verwaltungshaft.

Diskriminierung

Im September 2019 weigerten sich die israelischen Justizvollzugsbehörden auf Anfrage der Vereinigung für Bürgerrechte in Israel (Association for Civil Rights in Israel), Gefängnisordnungen ins Arabische zu übersetzen. Die Behörden argumentierten, dass das Nationalstaatsgesetz dies nicht vorsehe. Dieses Gesetz ist Teil der Verfassung und legt fest, dass das Recht auf Selbstbestimmung allein jüdischen Israelis vorbehalten ist. Es diskriminiert palästinensische Zivilpersonen, auch durch die Herabstufung der arabischen Sprache.

Folter und andere Misshandlungen sowie Tod in Gewahrsam

Israelische SoldatInnen, PolizeibeamtInnen und Angehörige des israelischen Geheimdienstes (Israel Security Agency – ISA) unterzogen weiterhin palästinensische Gefangene, darunter auch Minderjährige, der Folter oder anderweitigen Misshandlungen und gingen straffrei aus. Die berichteten Foltermethoden umfassten Schläge, Schlafentzug, Ohrfeigen, schmerzhafte Fesselungen, Verharren in schmerzhaften Positionen und Drohungen. Lange Phasen von Einzelhaft, manchmal über mehrere Monate hinweg, wurden üblicherweise als Strafmassnahmen angewendet.

Am 29. September 2019 begann das Justizministerium mit der Untersuchung des Falles Samir Arbeed, der mit gebrochenen Rippen und Nierenversagen in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, nachdem er während eines Verhörs durch die israelischen Sicherheitskräfte gefoltert worden war.

Vier PalästinenserInnen kamen in Gewahrsam ums Leben, nachdem sie Berichten zufolge von israelischen Streitkräften gefoltert oder anderweitig misshandelt worden waren. Einer von ihnen, Nassar Taqatqa, der vom Geheimdienst ISA verhört worden war, starb am 16. Juli 2019 in Gewahrsam, nur einen Monat nach seiner Festnahme. Laut israelischen Justizvollzugsbehörden sind Ermittlungen zu seinem Tod eingeleitet worden. Die Behörden weigerten sich, die Leichen von drei der Gefangenen herauszugeben.

Recht auf Wohnen, Zwangsräumungen

Die israelischen Behörden zerstörten 621 palästinensische Häuser und Infrastruktur in den besetzten Gebieten im Westjordanland und Ost-Jerusalem und machten nach Auskunft von UNOCHA 914 Menschen zu Binnenvertriebenen. Die israelischen Behörden gaben an, dass viele der abgerissenen Häuser ohne von Israel erteilte Genehmigungen erbaut worden seien. Für PalästinenserInnen war es jedoch so gut wie unmöglich, eine solche Genehmigung zu erhalten. Das Besatzungsrecht verbietet solche Zerstörungen von Wohnraum, es sei denn, eine solche Aktion ist im Zuge militärischer Aktionen absolut unumgänglich. Am 22. Juli 2019 zerstörten israelische Streitkräfte bis zu 16 Gebäude im Dorf Sur Baher im Westjordanland, weil sie zu nahe am Zaun bzw. der Mauer standen, die Israel zum Grossteil auf palästinensischem Land erbaut hatte.

Nach Angaben von B’Tselem, einer israelischen Menschenrechtsorganisation, zerstörten die israelischen Behörden mindestens 14 palästinensische Häuser im Westjordanland und Ost-Jerusalem als Strafmassnahme und machten 36 Menschen, darunter 15 Minderjährige, obdachlos. Zerstörung von Wohnraum als kollektive Strafmassnahme ist unter dem Völkerrecht verboten.

Mit Unterstützung der israelischen Behörden vertrieben israelische Siedlergemeinschaften PalästinenserInnen aus ihren Wohnungen in Ost-Jerusalem. UNOCHA schätzte im Januar 2019, dass rund 200 palästinensischen Haushalten weiterhin die Räumung droht. 877 Erwachsene und Kinder wären dann von Vertreibung betroffen.

Am 10. Juli 2019 liessen die israelischen Behörden die Palästinenserin Ilham Siyam und ihre Familie aus ihrer Wohnung in Silwan, Ost-Jerusalem zwangsräumen. Das Bezirksgericht von Jerusalem hatte zuvor der israelischen Siedlergemeinschaft Elad Recht gegeben und das Haus an die Siedlergemeinschaft übertragen. Damit endete ein fast 25 Jahre andauernder Rechtsstreit.

Am 28. Januar 2019 gaben die israelischen Behörden bekannt, dass 36.000 palästinensische BeduinInnen, die in «nicht anerkannten» Dörfern in der Negev-Wüste in Israel wohnten, in von der Regierung geplante Wohngebiete umgesiedelt werden sollen. Israel weigerte sich, diese palästinensischen Dörfer als rechtens anzuerkennen und sie mit kommunalen Dienstleistungen zu versorgen. Im Dezember zerstörten die israelischen Behörden das palästinensische Beduinendorf al-Araqib zum 169. Mal.

Recht auf freie Meinungsäusserung und Vereinigungsfreiheit

Die Behörden machten von einer Reihe von Massnahmen Gebrauch, um MenschenrechtsverteidigerInnen, JournalistInnen und Andersdenkende ins Visier zu nehmen, die sich kritisch gegen Israels fortdauernde Besetzung des Westjordanlandes, des Gazastreifens und der syrischen Golanhöhen ausgesprochen hatten. Sie waren Razzien und Hetzkampagnen ausgesetzt, wurden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und mussten gerichtliche Schikanen ertragen.

Im Februar 2019 veröffentlichte das Ministerium für strategische Angelegenheiten einen Bericht, in dem palästinensische MenschenrechtlerInnen und AktivistInnen der Kampagne Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) als «Terroristen in Anzügen» bezeichnet wurden. Unter ihnen befanden sich der Generaldirektor der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al-Haq, Shawan Jabarin, Raji Sourani, der Direktor des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte, und Salah Hamouri, ein französisch-palästinensischer Ermittler für Addameer. Am 19. September 2019 durchsuchten Angehörige der israelischen Streitkräfte das Büro von Addameer in Ramallah und beschlagnahmten mehrere technische Geräte.

Israel verweigerte auch 2019 Angehörigen von Menschenrechtsorganisationen die Einreise in die besetzten Gebiete. Auch der UN-Sonderberichterstatter über die Menschenrechtslage in den besetzten palästinensischen Gebieten erhielt keine Einreiseerlaubnis. Im Oktober 2019 verweigerten die israelischen Behörden Laith Abu Zeyad, dem Experten von Amnesty International zu Israel und den besetzten Gebieten, aus «Sicherheitsgründen» die Ausreise aus dem Westjordanland, mutmasslich als Strafmassnahme für die Menschenrechtsarbeit der Organisation.

In der Nacht vom 21. auf den 22. Juli 2019 versuchten die israelischen Behörden, Mustafa al-Kharouf nach Jordanien abzuschieben. Der palästinensische Fotojournalist besitzt weder die jordanische Staatsangehörigkeit noch eine Aufenthaltsgenehmigung für das Land. Kurz zuvor hatte er Menschenrechtsverletzungen der israelischen Sicherheitskräfte in Ost-Jerusalem dokumentiert. Jordanien blockierte den Abschiebeversuch, der einem Kriegsverbrechen gleichgekommen wäre. Mustafa al-Kharouf war vom 22. Januar 2019 bis zu seiner Freilassung unter Auflagen am 24. Oktober 2019 willkürlich inhaftiert.

Das Anti-Boykott-Gesetz kam zur Anwendung, um gegen AktivistInnen und Organisationen vorzugehen, die sich kritisch zur Politik Israels geäussert hatten. Im November 2019 hielt das Oberste Israelische Gericht weiterhin an einem Ausweisungsbefehl gegen Omar Shakir, dem Direktor von Human Rights Watch Israel und Palästina, fest, der sich auf dieses Gesetz stützte. Er wurde am 25. November 2019 abgeschoben. Im Juni 2019 berief sich das staatliche Energieunternehmen Energix auf das Gesetz und verklagte Al-Marsad - Arabisches Menschenrechtszentrum auf den Golanhöhen, nachdem die Nichtregierungsorganisation einen Bericht über ein umfangreiches Windenergie-Projekt auf Privatland im Besitz von syrischen Staatsangehörigen auf den besetzten Golanhöhen.

Gewalt gegen Frauen

In Israel gab es erneut Berichte über Gewalt gegen Frauen, wobei in Israel lebende Palästinenserinnen besonders betroffen waren. Mindestens 13 Frauen wurden durch geschlechtsspezifische Gewalt getötet.

Flüchtlinge, Asylsuchende und ArbeitsmigrantInnen

Die Behörden verweigerten Asylsuchenden 2019 nach wie vor den Zugang zu einem fairen und zügigen Verfahren, um ihren Flüchtlingsstatus feststellen zu lassen. Viele Asylsuchende hatten keinen Zugang zu grundlegenden staatlichen Leistungen. Rund 30.000 Asylsuchende lebten 2019 in Israel. Zum 30. Juni 2019 hatten die Behörden keinen einzigen Asylantrag positiv beschieden, 15.000 Anträge waren noch anhängig.

Im September 2019 wies der Oberste Gerichtshof eine Petition ab, mit der die Aussetzung von Abschiebungen in Israel geborener Kinder von ArbeitsmigrantInnen ohne Aufenthaltsgenehmigung gefordert wurde.

Wehrdienstverweigerung

Mindestens drei israelische WehrdienstverweigerInnen wurden inhaftiert. Im August 2019 wurde der Wehrdienstverweigerer Roman Levin nach 82 Tagen Einzelhaft aus dem Gefängnis entlassen.

Berichte von Amnesty International

Israel/OPT: Findings of UN inquiry into Gaza killings must pave the way for justice over war crimes (Pressemitteilung, 28. Februar 2019).

Israel/OPT: Legally-sanctioned torture of Palestinian detainee left him in critical condition (Pressemitteilung, 30. September 2019 – Update vom 30. Oktober 2019).

Israel/OPT: Israel continues policy of systematic forced displacement with wave of home demolitions in Sur Baher (Pressemitteilung, 22. Juli 2019).

Israel/OPT: Israel ramps up assault on civil society with chilling raid on Palestinian NGO Addameer (Pressemitteilung, 19. September 2019).

Israel/OPT: Amnesty staff member punitive travel ban for human rights work (Presseerklärung, 31. Oktober 2019).