Seit dem 10. Mai haben bewaffnete palästinensische Gruppen hunderte Raketen auf zivile Gebiete im Zentrum Israels und auf Städte nahe der Grenze zu Gaza abgefeuert und dabei Zivilpersonen verletzt und getötet. Die israelischen Streitkräfte haben Luftangriffe durchgeführt, bei denen Zivilpersonen in Gaza verletzt und getötet wurden. Bei gezielten Angriffen der israelischen Armee wurden zudem Wohngebäude, in denen Dutzende palästinensische Familien wohnten, sowie Bürogebäude beschädigt oder zerstört. Diese Angriffe auf Gaza kommen einer Kollektivbestrafung der palästinensischen Bevölkerung gleich. Infolge der Gewalt wurden in Gaza bereits Dutzende Personen, darunter viele Kinder, getötet; auch in Israel wurden Zivilpersonen getötet.
«Die Intensivierung der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israel und bewaffneten Gruppen in Gaza lässt befürchten, dass es in den kommenden Tagen zu weiterem Blutvergiessen kommen wird», sagt Saleh Higazi, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International. «Alle Konfliktparteien sind verpflichtet, die Zivilbevölkerung zu schützen. Sie sollten sich bewusst machen, dass eine aktive Untersuchung vor dem Internationalen Strafgerichtshof hängig ist. Sie können nicht davon ausgehen, dass sie für in der Vergangenheit begangene Menschenrechtsverletzungen nicht bestraft werden.»
«Das Abfeuern von Raketen auf Wohngebiete stellt unter Umständen ein Kriegsverbrechen dar.» Saleh Higazi, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International
«Diese Eskalation erinnert an die entsetzlichen Kampfhandlungen von 2008, 2012 und 2014, die auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen wurden und zu Tod und Zerstörung im Gazastreifen führten – einem Gebiet, das seit 2007 unter einer rechtswidrigen Blockade leidet, die als Kollektivstrafe betrachtet werden kann. Sowohl israelische Truppen als auch bewaffnete palästinensische Gruppen haben straflos Kriegsverbrechen und andere Menschenrechtsverstösse begangen. Israel weist eine erschütternde Bilanz auf, was rechtswidrige Angriffe auf Gaza angeht, bei denen Zivilpersonen verletzt und getötet werden und die mit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einhergehen. Auch bewaffnete palästinensische Gruppen haben Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht begangen, die ungeahndet blieben. Das Abfeuern von Raketen auf Wohngebiete stellt unter Umständen ein Kriegsverbrechen dar und bedroht das Leben von Zivilpersonen – sowohl in Israel als auch in Gaza», so Saleh Higazi.
Amnesty International verurteilt entschieden den Raketenbeschuss durch palästinensische bewaffnete Gruppen.
Kollektivbestrafung
Die israelischen Streitkräfte nahmen seit den frühen Morgenstunden des 11. Mai zahlreiche Wohngebäude in Gaza ins Visier. Ein 13-stöckiges Hochhaus, das als Hanadi-Turm bekannt ist, wurde vollständig zerstört. Die Zivilbevölkerung war zuvor gewarnt worden, die Gegend zu verlassen. Am 12. Mai wurde zudem das Bürogebäude Al-Jawhara schwer beschädigt; das Hochhaus Al-Shurouq wurde am selben Tag komplett dem Erdboden gleichgemacht. Weitere Gebäude wurden teilweise beschädigt, indem ganz bestimmte Wohnungen ins Visier genommen wurden.
«Wer gezielt zivile Objekte ins Visier nimmt und im grossen Stil ungerechtfertigt Eigentum zerstört, begeht Kriegsverbrechen. Die Zerstörung gesamter mehrstöckiger Wohnhäuser, wodurch Dutzende Familien obdachlos wurden, stellt eine Kollektivbestrafung der palästinensischen Bevölkerung dar und ist ein Verstoss gegen das Völkerrecht», sagte Saleh Higazi.
Amnesty International fordert die internationale Gemeinschaft und die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates – einschliesslich die USA – auf, die Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht öffentlich zu verurteilen und Druck auf alle Konfliktparteien auszuüben, die Zivilbevölkerung zu schützen. Die USA müssen sich endlich bewegen und dem UN-Sicherheitsrat umgehend grünes Licht für eine eindeutige Stellungnahme geben.
«Die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates müssen sich unzweideutig öffentlich positionieren und unverzüglich ein umfassendes Waffenembargo über Israel, die Hamas und andere palästinensische bewaffnete Gruppen verhängen. Ziel muss es sein, weitere schwere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte seitens der Konfliktparteien zu verhindern, erklärte Saleh Higazi.
«Die internationale Gemeinschaft muss darüber hinaus Israel auffordern, die Ursachen des jüngsten Gewaltausbruchs anzugehen, wie zum Beispiel die fortdauernde Straflosigkeit für Kriegsverbrechen und andere schwere Verstösse gegen das Völkerrecht sowie die anhaltende Ausweitung rechtswidriger israelischer Siedlungen, die Blockade des Gazastreifens und die Vertreibung von Palästinenser*innen infolge rechtswidriger Zwangsräumungen, wie beispielsweise in Sheikh Jarrah.»