Zahlreiche Arbeitsmigranten in Katar warten auf ihren Lohn. © zvg
Zahlreiche Arbeitsmigranten in Katar warten auf ihren Lohn. © zvg

Katar / Fussball-Weltmeisterschaft Firma schuldet ArbeitsmigrantInnen mehrere Monatslöhne

Medienmitteilung 26. September 2018, London/Bern – Medienkontakt
Zahlreiche Arbeiterinnen und Arbeiter wurden beim Bau des Vorzeigeprojekts Future City Lusail der Fussball-Weltmeisterschaft 2022 ausgebeutet. Die Baufirma Mercury MENA hat das berüchtigte Sponsorensystem Kafala ausgenutzt, zeigen aktuelle Amnesty-Recherchen: Seit 2016 kam es immer wieder zu Verzögerungen der Lohnauszahlungen, bis diese 2017 schliesslich ganz ausblieben.

Amnesty International appelliert an die katarische Regierung, dafür zu sorgen, dass die ehemaligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Mercury MENA den Lohn für die von ihnen geleistete Arbeit erhalten. Zudem fordert die Organisation eine grundlegende Reform des Sponsorensystems Kafala, unter dem ArbeitsmigrantInnen regelmässig von Firmen ausgebeutet werden, wie es von Amnesty International und anderen Organisationen bereits seit 2013 dokumentiert wird.

«Im Jahr 2017 steckte die katarische Regierung grosses Lob für die Ankündigung von  Arbeitsreformen ein. Doch selbst zu dem Zeitpunkt, als die entsprechenden Vereinbarungen unterzeichnet wurden, wurden zahlreiche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Mercury MENA nicht bezahlt und hausten in unzulänglichen Unterkünften. Sie wussten nicht, wovon sie ihr Essen bezahlen sollten und ob sie wohl jemals zu ihren Familien zurückkehren würden», so Steve Cockburn, Leiter der Abteilung Globale Themen bei Amnesty International.

Über die Recherchen

Von Oktober 2017 bis April 2018 führte Amnesty International Gespräche mit 78 ehemaligen Arbeitnehmern von Mercury MENA, die aus Indien, Nepal und den Philippinen stammten und denen das Unternehmen grosse Summen Geld schuldete. In Nepal, wo mehr als ein Drittel der Bevölkerung von weniger als 2 US-Dollar pro Tag lebt, sprach Amnesty International mit 34 Personen, denen das Unternehmen im Durchschnitt je 2.035 US-Dollar schuldete.

Mercury MENA hiess früher Mercury Middle East und war massgeblich am Bau eines Stadions beteiligt, das den Ausschlag dafür gab, dass Katar im Dezember 2010 von der FIFA den Zuschlag für die Weltmeisterschaft erhielt. Seither arbeiteten die für das Unternehmen tätigen Arbeitsmigranten an einigen der prestigeträchtigsten Projekte in Katar mit, wie zum Beispiel an der Zukunftsstadt Lusail, wo die Eröffnungs- und Abschlussspiele der Weltmeisterschaft stattfinden sollen. Andere waren an der Errichtung der Arbeitersiedlung Barwa al Baraha beteiligt, die ironischerweise von Katar als Zeichen für verbesserte Arbeitsbedingungen beworben wurde.

Löhne systematisch vorenthalten

Den meisten der ehemaligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Mercury MENA, mit denen Amnesty International gesprochen hat, schuldete die Firma zwischen 1'370 und 2'470 US-Dollar (zwischen 5'000 und 9'000 Katar-Riyal) in Löhnen und sonstigen Leistungen.

Laut Amnesty-Recherchen begannen sich die Lohnauszahlungen von Mercury MENA etwa ab Februar 2016 zu verzögern, und im Jahr 2017 kam es dann zu immer grösseren Verzögerungen und ungelösten Disputen. Das Unternehmen enthielt seinen Arbeiterinnen und Arbeitern zudem die gesetzlich erforderlichen Aufenthaltsgenehmigungen vor, was dazu führte, dass diese Geldstrafen bezahlen mussten. Ihre Aussichten auf einen Wechsel des Arbeitsplatzes oder die Heimkehr schwanden damit. In mindestens einem Fall weigerte sich die Firma, einem Arbeiter, der nach Hause zurückkehren wollte, eine sogenannte Ausreiseerlaubnis auszustellen.

Im Rahmen des katarischen Sponsorensystems waren Arbeitgeber häufig in der Lage, Arbeiter und Arbeiterinnen an der Ausreise oder an einem Wechsel des Arbeitsplatzes zu hindern. Dadurch hatten Arbeitsmigrantinnen und -Migranten kaum die Möglichkeit, ausbeuterischen Bedingungen zu entfliehen oder sich gegen schlechte Behandlung zu wehren. Die Notwendigkeit einer «Ausreiseerlaubnis» wurde im September 2018 für die meisten ArbeiterInnen abgeschafft.

«Die Ausbeutung der Arbeitsmigrantinnen und -Migranten durch Mercury MENA ist leider kein Einzelfall. Wir werden die Behörden von Katar weiterhin auffordern, ihr Versprechen wahrzumachen, das Sponsorensystem abzuschaffen und die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern per Gesetz und in der Praxis zu schützen», sagt Steve Cockburn.

Reaktion von Mercury MENA

Im November 2017 hat Amnesty International mit dem Geschäftsführer von Mercury MENA gesprochen. Dieser hat zwar eingeräumt, dass Lohnzahlungen seit langem ausstehen, aber abgestritten, dass ArbeiterInnen ausgebeutet werden. Der Geschäftsführer hat erläutert, dass skrupellose Geschäftspartner für Liquiditätsprobleme verantwortlich seien und es mehrere Auseinandersetzungen über Zahlungen mit Auftragnehmern und Kunden gäbe.

Unterlagen über mehrere Schriftwechsel zwischen Mercury MENA und deren ArbeiterInnen belegen, dass die Unternehmensleitung in vollem Umfang Kenntnis über die Probleme bei den Lohnzahlungen hatte und weiterhin Zusagen machte, die Löhne zu zahlen, was dann letztendlich nicht geschah.

Amnesty International hat im Dezember 2017 und im Januar 2018 erneut per E-Mail bei der Geschäftsführung von Mercury MENA Informationen angefordert und gefragt, welche Massnahmen das Unternehmen ergreifen werde. Zudem hat Amnesty im Juli 2018 in einem Brief seine Rechercheergebnisse zusammengefasst und an Mercury MENA geschickt. Eine Antwort steht allerdings bis heute aus.