Schuften unter brütender Hitze © Amnesty International
Schuften unter brütender Hitze © Amnesty International

Katar FIFA soll 440 Millionen Dollar für ausgebeutete Arbeitsmigrant*innen zahlen

Medienmitteilung 19. Mai 2022, London/Bern – Medienkontakt
Die FIFA sollte einen Betrag in der Höhe der WM-Preisgelder von 440 Millionen US-Dollar bereitstellen, um Arbeitsmigrant*innen, deren Rechte im Zusammenhang mit der Fussball-Weltmeisterschaft verletzt wurden, zu entschädigen. Das fordert Amnesty International in einem neuen Bericht sechs Monate vor Beginn der WM.

Amnesty International fordert in einem offenen Brief an den FIFA-Präsidenten Gianni Infantino gemeinsam mit anderen Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Fan-Gruppen, dass der Weltfussballverband und die Regierung von Katar ein umfassendes Wiedergutmachungsprogramm aufsetzen. Die FIFA und Katar müssen einerseits Entschädigungszahlungen für alle Arbeitsrechtsverstösse bei der Ausrichtung der WM in Katar entrichten, und andererseits sicherstellen, dass sich diese Menschenrechtsverletzungen nicht wiederholen, weder in Katar noch bei zukünftigen Turnieren.

Die Organisationen fordern die FIFA auf, als Entschädigungssumme für die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die seit 2010 begangen wurden, nicht weniger als den Betrag der Preisgelder der WM bereitzustellen, das heisst 440 Millionen Dollar. 2010 hatte die FIFA Katar die Austragung der Weltmeisterschaft zugesprochen, ohne im Gegenzug auch nur die geringste Verbesserung des Arbeitsschutzes zu fordern.

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«Als die FIFA Katar den Zuschlag für das Turnier gab, wusste sie – oder hätte wissen müssen – dass das erst kurz zuvor eingeführte Kafala-System den Missbrauch von Arbeitsmigrant*innen stark begünstigt. Dennoch wurden in der Bewertung der katarischen Bewerbung die Arbeitnehmer*innen- und Menschenrechte mit keinem Wort erwähnt. Die FIFA hat keinerlei Bedingungen für den Schutz der Arbeitnehmer*innen gestellt. Da der Weltfussballverband es unterlassen hat, rechtzeitig derartige Gefahren zu verhindern oder zu mindern, trägt sie eine Mitverantwortung und muss entsprechend Wiedergutmachung leisten», sagte Lisa Salza, Verantwortliche für Sport und Menschenrechte bei Amnesty Schweiz. «Indem die FIFA lange Zeit die Augen vor vorhersehbaren Menschenrechtsverletzungen verschlossen hat und sie nicht stoppte, begünstigte sie die Missbräuche, von denen Hunderttausende Arbeitsmigrant*innen im Zusammenhang mit der Fussball-Weltmeisterschaft betroffen  waren.»

Nach Schätzungen von Amnesty International dürfte die Summe von 440 Millionen Dollar das Minimum sein, um eine Reihe von Entschädigungszahlungen zu decken und Initiativen zum künftigen Schutz der Arbeitnehmer*innenrechte zu unterstützen. Die Gesamtsumme für die Erstattung nicht bezahlter Löhne, die überhöhten und illegalen Vermittlungsgebühren und die Entschädigung für Verletzungen und Todesfälle könnte jedoch höher ausfallen und sollte im Rahmen eines partizipativen Prozesses mit Gewerkschaften, Organisationen der Zivilgesellschaft, der Internationalen Arbeitsorganisation und anderen ermittelt werden.

«Es mag zu spät sein, um das Leid vergangener Menschenrechtsverstösse zu lindern, aber die FIFA und Katar können und müssen handeln, um Wiedergutmachung zu leisten und weitere Verstösse zu verhindern. Die Entschädigung der Arbeiter*innen, die den Löwenanteil der Vorbereitungen tragen, kann ein wichtiger Wendepunkt in der Verpflichtung der FIFA zur Achtung der Menschenrechte sein. Die FIFA muss sicherstellen, dass solche Verstösse nie wieder vorkommen», sagte Lisa Salza.

Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen nicht erfüllt

Die FIFA ist gemäss den Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den eigenen Vorschriften verpflichtet, Menschenrechtsverletzungen zu beseitigen, zu denen sie beigetragen hat. Diese Verantwortung erstreckt sich nicht nur auf die Arbeitnehmer*innen, die Einrichtungen wie Stadien und Trainingsplätze, oder von der FIFA akkreditierte Hotels und das Übertragungszentrum bauen, sondern auch auf die für den Betrieb dieser Einrichtungen erforderlichen Dienstleistungen. Folglich gilt diese Verantwortung auch für Arbeitnehmer*innen, die am Bau und an der Instandhaltung der Verkehrs-, Unterkunfts- und sonstigen Infrastruktur beteiligt sind, die für die mehr als eine Million Besucher*innen benötigt wird, die für die WM nach Katar reisen werden. 

Auf der anderen Seite ist der Staat Katar verpflichtet, für die Wiedergutmachung jeder Menschenrechtsverletzung in seinem Hoheitsgebiet zu sorgen, unabhängig davon, ob sie mit der Fussball-Weltmeisterschaft zusammenhängt oder nicht. Zwar wurden durch die Initiativen des Supreme Committee for Delivery and Legacy, dem lokalen WM-Organisationskomitee, mit dem Arbeitsreformprogramm Katars einige Fortschritte erzielt, doch ihr begrenzter Geltungsbereich und die lückenhafte Umsetzung haben dazu geführt, dass schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen fortbestehen und Arbeitsmigrant*innen nur# eingeschränkt Zugang zu Rechtsmitteln haben.

«Jahrelang wurde die Ausbeutung derer, die diese Weltmeisterschaft erst möglich machen, unter den Teppich gekehrt. Es ist an der Zeit, dass die FIFA und Katar gemeinsam an einem umfassenden Entschädigungsprogramm arbeiten, das die Rechte und das Wohlergehen der Arbeitsmigrant*innen in den Mittelpunkt stellt und dafür sorgt, dass jede einzelne Menschenrechtsverletzung angegangen wird», forderte Lisa Salza. «Nach internationalem Recht und gemäss dem Regelwerk der FIFA haben sowohl Katar als auch die FIFA die Pflicht und die Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und den Betroffenen Abhilfe bereitzustellen. Der von Amnesty International und anderen geforderte Wiedergutmachungsfonds ist angesichts des Ausmasses der erlittenen Verstösse völlig gerechtfertigt und ist nur ein kleiner Teil der sechs Milliarden Dollar, welche die FIFA mit dem Turnier einnehmen wird.»