© Amnesty International
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WM in Katar Brief mit einer Million Unterschriften an die FIFA fordert Gerechtigkeit für Arbeitsmigrant*innen

Medienmitteilung 13. März 2023, London/Bern – Medienkontakt
Amnesty International und Avaaz haben der FIFA einen offenen Brief mit über einer Million Unterschriften übergeben. Die Unterzeichner*innen fordern vollumfänglich Entschädigung für Arbeitsmigrant*innen, die im Zuge der Arbeiten für die Fussballweltmeisterschaft 2022 in Katar von Menschenrechtsverletzungen betroffen waren.

Der Brief mit den Unterschriften wurde der FIFA wenige Tage vor dem FIFA-Kongress am 16. März in Ruanda übergeben. Die Million Unterschriften wurden von Avaaz und Amnesty International in 190 Ländern gesammelt.


«Die Zeit ist überfällig, dass die FIFA Wiedergutmachung für Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Fussball-WM der Männer in Katar leistet. Der FIFA-Kongress bietet die Gelegenheit für den Weltfussballverband, sich endlich zu einem Entschädigungsfonds zu bekennen und einen Zeitplan aufzustellen, um die Arbeiter*innen und ihre Familien, direkt und zeitnah zu entschädigen», sagte Lisa Salza, Verantwortliche für Sport und Menschenrechte bei Amnesty Schweiz. «Die Fussballweltmeisterschaft in Katar brachte der FIFA Milliarden Dollar ein. Doch damit der Sportanlass überhaupt durchgeführt werden konnte, mussten Hunderttausende Arbeitsmigrant*innen unter schrecklichen Bedingungen arbeiten, einige bezahlten sogar mit dem Tod. Auch wenn kein Geld der Welt den Verlust eines geliebten Menschen ersetzen kann, müssen die FIFA und Katar – die beide über die nötigen Mittel verfügen – , die betroffenen Arbeiter*innen und ihre Familien zumindest monetär entschädigen und anerkennen, dass diese Menschen Unrecht erlitten haben.»

«Wir erwarten vom Schweizerischen Fussballverband (SFV), dass er sich gemeinsam mit anderen nationalen Verbänden dafür einsetzt, dass die FIFA und Katar alle Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Fussball-WM der Männer 2022 vollumfänglich entschädigt» Lisa Salza, Verantwortliche für Sport und Menschenrechte bei Amnesty Schweiz

Bieta Andemariam, Leiterin der US-Rechtsabteilung von Avaaz, sagte: «Unser Brief wird von mehr als einer Million Unterzeichnenden aus mehr als 190 Ländern unterstützt. Die Weltöffentlichkeit hat das grosse Unrecht erkannt, das diesen Arbeiter*innen angetan wird und fordert nun von der FIFA, dass sie einen Bruchteil der Milliarden Dollar, die mit dem Schweiss, dem Blut und dem Leben von Hunderttausenden Arbeitsmigrant*innen verdient wurden, nimmt und den Arbeiter*innen und ihren Familien zukommen lässt. Damit sie endlich bekommen, was ihnen zusteht.»

Vergangene Woche besuchten Aktivist*innen im Namen von Amnesty International und Avaaz das offizielle FIFA-Museum in Zürich und präsentierten dort speziell entworfene Trikots, die Gerechtigkeit für die Arbeitsmigrant*innen fordern. Die Trikots erinnern an die blaue Arbeitskleidung und die gelben Westen, die viele der Arbeiter*innen trugen, deren Rechte beim Bau der Stadien, der Infrastruktur und der Erbringung von Dienstleistungen verletzt wurden.

Auch Nationale Verbände erhöhen Druck auf FIFA

Am Vorabend des Turniers im November 2022 versprach die FIFA, einen Legacy Fund einzurichten, verpflichtete sich aber nicht, ihn für die direkte Unterstützung der Arbeiter*innen zu verwenden. Bislang hat die FIFA keine weiteren Einzelheiten über die Funktionsweise des Fonds bekannt gegeben.

Amnesty International und Avaaz haben FIFA-Präsident Gianni Infantino schriftlich aufgefordert, den Fonds zu nutzen, um misshandelte Arbeitsmigrant*innen oder deren Familien direkt zu entschädigen. Die FIFA sollte zusammen mit Katar sicherstellen, dass auch Arbeitnehmer*innen, die das Land verlassen haben, sowie die Familien der Verstorbenen Zugang zu den Entschädigungen haben.

Die FIFA gerät auch durch ihre eigenen Mitglieder unter Druck, zu handeln. Der norwegische Verband hat für den Kongress in Ruanda einen Diskussionsvorschlag eingebracht. Mehrere Nationalverbände unterstützen das Ansinnen. Der norwegische Verband fordert darin, dass die FIFA «die vollständige Umsetzung ihrer Menschenrechtsverpflichtungen, einschliesslich der Wiedergutmachung, sicherstellt» und prüft, ob sie «ihrer Verantwortung für die Wiedergutmachung im Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft 2022 nachgekommen ist, inklusive einer Untersuchung der Todesfälle und Verletzungen im Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft».

«Wir erwarten vom Schweizerischen Fussballverband (SFV), dass er sich gemeinsam mit anderen nationalen Verbänden dafür einsetzt, dass die FIFA und Katar alle Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Fussball-WM der Männer 2022 vollumfänglich entschädigt», sagte Lisa Salza. «Was die Vergabe von künftigen Fussball-Weltmeisterschaften angeht, soll der SFV seine Stimme dahingehend nutzen, dass die FIFA die Einhaltung der 2017 von ihr eingeführten Menschenrechtskriterien für zwingend erklärt. Die Reaktion der Fans auf die WM in Katar hat gezeigt, dass sie nicht länger gewillt sind, Megasportevents, die mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen, hinzunehmen.»

«Auch die Schweiz muss ihre Hausaufgaben machen und endlich griffige Massnahmen erlassen, die Sportverbände zur Einhaltung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht verpflichten», sagte Lisa Salza.

Hintergrund

Seit 2010, als die FIFA Katar den Zuschlag für die Fussball-WM 2022 erteilte, ohne eine Verbesserung des Arbeitsschutzes zu verlangen, wurden Hunderttausende von Arbeitsmigrant*innen beim Bau und bei der Wartung der Stadien, Hotels, Verkehrswege und anderer Infrastrukturen, die für die Ausrichtung des Turniers erforderlich sind, Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Löhne wurden verspätet oder gar nicht bezahlt, Ruhetage wurden gestrichen und ein Jobwechsel verunmöglicht. Die Arbeitsmigrant*innen hatten kaum Möglichkeiten, sich gegen diese Verstösse rechtlich zu wehren.

In den letzten Jahren hat Katar eine Reihe von Arbeitsreformen eingeführt, um die Bedingungen für die Arbeitsmigrant*innen zu verbessern. Wegen mangelnder Durchsetzung der Reformen hielten die Missbräuche jedoch in erheblichem Umfang an.  Im Jahr 2018 führte Katar einen Entschädigungsfonds für Arbeitnehmer*innen ein, die mit einem Gerichtsurteil nachweisen können, dass ihnen nicht gezahlte Löhne zustehen. Aber für die grosse Mehrheit der Arbeitnehmer*innen, die das Land bereits verlassen haben, und für Familien, die Angehörige verloren haben, ist es nach wie vor fast unmöglich, Zugang zu diesem Fonds zu erhalten.

Da die Ursachen für den Tod tausender Arbeiter*innen nicht untersucht werden, werden die wahren Auswirkungen der extremen Hitze und der harten Arbeitsbedingungen in Katar nie vollständig bekannt sein. Untersuchungen deuten darauf hin, dass seit 2010 mindestens mehrere hundert Arbeitsmigrant*innen in Katar an arbeitsbedingten Ursachen gestorben sind.

Seit Mai 2022 setzt sich eine Koalition von Organisationen für Entschädigung für misshandelte Arbeiter*innen ein. Die Forderung wurde von mehr als einem Dutzend Fussballverbänden und vier Sponsor*innen der FIFA-Weltmeisterschaft unterstützt. Eine Meinungsumfrage in 15 Ländern ergab, dass 84 % der Öffentlichkeit, die die Weltmeisterschaft 2022 sehen wollte, den Vorschlag unterstützten.

Im Dezember 2022 gab Gianni Infantino bekannt, dass die FIFA mit dem «WM-Zyklus 2022» mehr als 7 Milliarden USD eingenommen hat, etwa 1 Milliarde USD mehr als erwartet.