Ein Haftzentrum für Migranten und Flüchtlinge in der libyschen Hafenstadt Choms. © AI
Ein Haftzentrum für Migranten und Flüchtlinge in der libyschen Hafenstadt Choms. © AI

Asyl und Migration Europa riskiert Mitschuld an Menschenrechtsverletzungen in Libyen

Medienmitteilung 14. Juni 2016, London/Bern – Medienkontakt
Nach dem fragwürdigen «Türkei-Deal» hat die Europäische Union (EU) nun angekündigt, in der Migrationsfrage enger mit Libyen zusammen zu arbeiten. Sie riskiert damit, sich mitschuldig zu machen an Folter und Misshandlung sowie an der unbefristeten Inhaftierung von Flüchtlingen und MigrantInnen in dem nordafrikanischen Land.

Im vergangenen Monat hat die EU ihre Pläne vorgestellt, die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch mit der libyschen Küstenwache zu intensivieren. Recherchen von Amnesty International belegen jedoch, dass eben diese für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. Die Untersuchungen von Amnesty stützen sich auf Interviews mit 90 Flüchtlingen und MigrantInnen nach deren Überfahrt von Libyen. Die Gespräche fanden im Mai 2016 in Sizilien und Apulien statt.  

Die Flüchtlinge berichten von Schlägen mit Gummischläuchen und Holzstöcken sowie dem Einsatz von Schusswaffen beim Aufbringen von Flüchtlingsbooten durch die libysche Küstenwache. In einem Fall sind offenbar absichtlich 120 Menschen auf einem havarierten Boot zurückgelassen worden. Zudem bringt die Küstenwache aufgegriffene Flüchtlinge und MigrantInnen in die zumeist von bewaffneten Milizen geführte Hafteinrichtungen - allein in der Woche vom 22. bis 28. Mai waren dies mindestens 3’500 Personen. 

Diese Haftzentren sind seit Jahren für unmenschliche Haftbedingungen, Folter und Misshandlung und sexuelle Gewalt berüchtigt (s. z.B. Amnesty-Bericht von Juni 2013). Dies bestätigen auch die Aussagen der in Italien interviewten Flüchtlinge: Sie berichten von täglichen, routinemässigen Schlägen und dem wiederholten Einsatz von Elektroschockgeräten. Die Flüchtlinge und MigrantInnen werden im Prinzip unbefristet und ohne Zugang zu Anwälten festgehalten, was internationalem Recht widerspricht. Einigen gelingt es, sich durch Geldzahlungen oder Zwangsarbeit für die Milizen und ihre Kommandanten freizukaufen. Christliche Flüchtlinge werden offenbar besonders schlecht behandelt.

Die EU kann sich ihrer Verantwortung für Flüchtlinge und MigrantInnen, die nach Europa wollen, nicht entziehen. Wenn sie sich nicht mitschuldig machen will an schweren Menschenrechtsverletzungen, muss sie in ihrer Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache in allererster Linie darauf hinwirken, dass diese in ihren Operationen internationalen Menschenrechtsstandards Rechnung trägt. Auch sind dringend Alternativen zur gefährlichen Überfahrt von Libyen nach Europa nötig: dazu gehören Kontingentsplätze für UNHCR-Flüchtlinge sowie die Gewährung humanitärer Visa.