Ein Flüchtling weint, nachdem er von der italienischen Einwanderungspolizei angehalten wurde.  © Taha Jawashi
Ein Flüchtling weint, nachdem er von der italienischen Einwanderungspolizei angehalten wurde. © Taha Jawashi

Libyen Europas Mitschuld an auswegloser Situation von Flüchtlingen

Medienmitteilung 12. November 2018, London/Bern – Medienkontakt
Vor einem Jahr schockierten die Aufnahmen von Menschenhändlern in Libyen die Öffentlichkeit und sorgten für einen weltweiten Aufschrei. Die verheerende Lage der Flüchtlinge und Migrantinnen im Land hat sich jedoch weiter verschlimmert, wie Amnesty International in einem aktuellen Bericht dokumentiert.

Die Abschottungspolitik der Europäischen Union (EU) und ihr Versagen, Flüchtlingen in Europa genügend Plätze zur Neuansiedlung anzubieten, haben dazu geführt, dass Menschen auf der Flucht in Libyen in der Falle sitzen und weiterhin unter menschenverachtenden Bedingungen in libyschen Lagern eingesperrt sind.  Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge werden in den libyschen Lagern regelmässig misshandelt, gefoltert und vergewaltigt. 

«Vor einem Jahr schockierte ein Video die Welt, auf dem zu sehen war, wie geflüchtete Menschen wie Sklaven verkauft werden. Die Lage der Flüchtlinge und Migrantinnen ist katastrophal», berichtet Heba Morayef, Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International. «Die grausamen Methoden der EU, mit denen  Menschen daran gehindert werden nach Europa zu kommen, haben zur Folge, dass tausende Männer, Frauen und Kinder unter schrecklichen Umständen ohne einen Ausweg in Libyen in der Falle sitzen. Dazu kommt das  Unvermögen, Flüchtlingen eine sichere Route anzubieten.»

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat in Libyen 56’442 Flüchtlinge und Asylsuchende registriert und mehrfach an die Regierungen inner- und ausserhalb Europas appelliert, den in Libyen gestrandeten Flüchtlingen zu helfen, auch durch eine Evakuierung nach Niger. Trotzdem wurden lediglich 3886 Plätze zur Neuansiedlung in zwölf Ländern angeboten. Bis anhin konnten nur 1140 Flüchtlinge von Libyen und Niger neuangesiedelt werden. Unabhängig davon holte die italienische Regierung zwischen Dezember 2017 und Februar 2018 312 Asylsuchende nach Italien. Danach geschah lange nichts bis zu einer Neuansiedlung von gerade einmal 44 Flüchtlingen am 7. November 2018.

Während der vergangenen zwei Jahre setzten EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Methoden ein, um die Migration über das zentrale Mittelmeer zu verhindern. Dabei erhöhten sie die Kapazität der libyschen Küstenwache, um die Meeresüberquerung zu behindern, lösten Verträge mit den Milizen in Libyen auf und erschwerten die Arbeit der NGOs, die ihre Such-und Rettungsaktionen durchführen.

Diese Strategien führten zu einem Rückgang von 80 Prozent der Flüchtlinge und MigrantInnen, die über das zentrale Mittelmeer nach Italien kamen; die Zahl sank von 114’415 zwischen Januar und November 2017 auf rund 22’232 bis heute. Zurzeit befinden sich noch immer rund 6000 Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten in libyschen Gefangenenlagern.

Wegen der unrechtmässigen Inhaftierung von Flüchtlingen durch die libyschen Behörden sowie der Weigerung, sie in die Obhut des UNHCR zu geben, führt der einzige Weg aus den libyschen Gefangenenlagern über eine Evakuierung in ein anderes Land. Tausende Flüchtlinge, die nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, sind auf einen Platz zur Neuansiedlung angewiesen. Sonst bleiben sie weiterhin in den libyschen Lagern gefangen.

Die Eröffnung eines Verfahrenszentrums des UNHCR in Libyen wurde immer wieder verschoben. Ein solches Zentrum würde bis zu 1000 Flüchtlingen helfen, die schrecklichen Lager zu verlassen. Deshalb ist seine Eröffnung ein erster wichtiger Schritt, auch wenn es keine langfristige Lösung bietet.

«Europa hat kläglich versagt. Es hat lediglich die Flucht über das Mittelmeer gestoppt und die libysche Küstenwache unterstützt, damit sie Menschen abfängt und interniert. Hilfe für die Menschen in Not wird keine angeboten und sichere Möglichkeiten, nach Europa zu kommen, gibt es auch nicht», beklagt Heba Morayef.

«Während Europa daran scheitert, Menschen zu retten und aufzunehmen, scheitern auch die libyschen Behörden daran, die unrechtmässigen Inhaftierungen zu stoppen und allen Menschen auf ihrem Staatsgebiet Menschenrechte zuzusichern.»

Die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen August und September dieses Jahres in Tripolis verschlimmerte die Lage der Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten zusätzlich. Mehrere Menschen wurden in den Gefangenenlagern von Querschlägern verwundet. In einigen Fällen flohen die Gefängniswärter vor Raketenangriffen und liessen tausende Menschen eingeschlossen und ohne Nahrung oder Wasser zurück.

Im italienischen Palermo findet zurzeit ein Gipfeltreffen der Staatschefs aus aller Welt mit Vertretern Libyens statt. Ziel dieses Gipfels ist es, den politischen Stillstand in Libyens zu beenden und Lösungen zu finden.

Amnesty International fordert die Teilnehmenden auf, sicherzustellen, dass die Menschenrechte im Vordergrund stehen.