Amina Filali sah keinen anderen Ausweg als den Selbstmord. Artikel 475 des marokkanischen Strafgesetzbuches ermöglichte es damals, dass Vergewaltiger ihrer Strafe entgehen konnten, indem sie, ihr minderjähriges Opfer heirateten. Der Tod von Amina hat öffentliche Aufmerksamkeit auf die Unmensch-lichkeit dieses Gesetzes gelenkt und in Marokko und in der ganzen Region für viel Wirbel gesorgt. Zwei Jahre später, am 22. Januar 2014, stimmte das marokkanische Parlament schliesslich einstimmig für die Ausserkraftsetzung des Artikels 475 StGB. Dies wurde von diversen Frauenrechtsorganisationen und Amnesty International seit langem gefordert.
Diskriminierende Gesetze im Maghreb
Gewonnen ist der Kampf jedoch noch lange nicht. Ähnliche Gesetze existieren auch in Algerien und Tunesien, und weitere diskriminierende Gesetze im Maghreb (Algerien, Marokko/Westsahara, Tunesien) verhindern, dass Betroffene von sexueller Gewalt, in erster Linie Frauen und Mädchen, zu ihrem Recht kommen und angemessen entschädigt werden. Diese Länder erkennen beispielsweise Vergewaltigung in der Ehe nicht als einschlägigen Straftatbestand an. Ausserdem werden aussereheliche sexuelle Bezie-hungen zwischen mündigen Erwachsenen sowie homosexuelle Beziehungen kriminalisiert. Diese Gesetze halten Opfer von sexueller Gewalt davon ab, Klage zu erheben, denn sie riskieren, ihrerseits für anstössiges Verhalten bestraft zu werden. In Marokko wird auch das Strafmass bei Vergewaltigungen vermindert, wenn das Opfer keine Jungfrau war.
Die Kampagne «My Body, My Rights»
Mit der Kampagne «My Body, My Rights» hat Amnesty International im Mai 2014 eine Petition lanciert, die sich an die Regierungen von Algerien, Marokko und Tunesien richtet. Sie fordert von den genannten Regierungen, ab sofort ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen wahrzunehmen. Einerseits, indem sie die Strafgesetze abschaffen, die Opfer von sexueller Gewalt diskriminieren und andererseits, indem sie Massnahmen ergreifen, den Betroffenen angemessenen Schutz zu gewährleisten und Hilfeleistungen anzubieten. Dazu gehört namentlich der Zugang zu rechtlichem Beistand, Sozialhilfe und medizinischer Versorgung, einschliesslich des Zugangs zu Notfallverhütung und sicheren und legalen Abtreibungsmethoden.