© Amnesty International
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Überwachung Marokkanische Menschenrechtsverteidiger mit israelischem NSO-Spionageprogramm angegriffen

Medienmitteilung 10. Oktober 2019, London/Bern – Medienkontakt
Zwei bekannte marokkanische Menschenrechtsverteidiger sind mit einer Überwachungssoftware, die von der in Israel ansässigen NSO-Gruppe entwickelt wurde, angegriffen worden. Aufgedeckt wurde der Angriff von Amnesty Tech, einem interdisziplinäres Team aus Technologie- und Menschenrechtsexpertinnen und -experten.

Der Akademiker und Menschenrechtsaktivist Maati Monjib und der Menschenrechtsanwalt Abdessadak El Bouchattaoui, der Protestierende der Bewegung für soziale Gerechtigkeit Hirak el-Rif vertreten hat, sind seit 2017 wiederholt angegriffen worden. Beide erhielten Kurznachrichten mit Links, die bei einem Klick die Spionage-Software Pegasus installiert hätte und dem Absender so gestattet hätte, eine fast vollständige Kontrolle über ihre Telefone zu erlangen. Dieselbe Technologie wurde im Juni 2018 auch gegen einen Mitarbeiter von Amnesty International und einen saudi-arabischen Menschenrechtsaktivisten eingesetzt.

Die NSO-Gruppe ist dafür bekannt, dass sie ihre Spionagesoftware ausschliesslich an Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden verkauft. Dies gibt Anlass zu der Befürchtung, dass die marokkanischen Sicherheitsbehörden hinter der Überwachung stecken.

Überwachung dient der Einschüchterung und Bestrafung

«Die Nachforschungen von Amnesty International haben beunruhigendes neues Beweismaterial zutage gebracht, das zeigt, wie die Spionagevorrichtungen der NSO-Gruppe staatliche Repression von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern fördern», sagte Danna Ingleton, stellvertretende Leiterin von Amnesty Tech. «Friedliche Kritikerinnen und Aktivisten, die sich zur Menschenrechtsbilanz Marokkos äussern, durch invasive digitale Überwachung zu schikanieren und einzuschüchtern, ist eine haarsträubende Verletzung ihrer Rechte auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit.»

Im Mai 2019 beteiligte sich Amnesty International an dem rechtlichen Vorgehen gegen das israelische Verteidigungsministerium, um die Rücknahme der Exportlizenz für die NSO-Gruppe zu fordern. Die Menschenrechtsorganisation argumentierte, dass das israelische Verteidigungsministerium Menschenrechte in Gefahr bringe, indem es der NSO gestattet, ihre Produkte weiter an Regierungen in der ganzen Welt zu verkaufen.

Die Angriffe sind Teil der systematischen Unterdrückung von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern durch die marokkanischen Behörden in den letzten Jahren, insbesondere in der Folge des seit 2016 zunehmenden scharfen Vorgehens gegen Protestierende in der nördlichen Rif-Region. Marokkanische Menschenrechtler sehen sich heute Schikane, Einschüchterungen und Inhaftierungen gegenüber und die Behörden setzen immer öfter repressive Gesetze ein, um drastisch gegen Kritikerinnen und Kritiker vorzugehen, nur weil sie ihre Rechte auf freie Meinungsäusserung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit in Marokko und der Westsahara wahrnehmen.

Der Aktivist Abdessadak El Bouchattaoui, gegen den die NSO-Software eingesetzt wurde, erhielt im April 2018 von einem marokkanischen Strafgericht ungerechtfertigt eine zweijährige Haftstrafe, weil er online Kommentare veröffentlicht hatte, in denen er die exzessive Gewaltanwendung der Behörden während der Hirak-Al-Rif-Proteste kritisiert hatte. Er berichtete Amnesty International, dass er verfolgt werde, wiederholt Morddrohungen erhalten habe und seine Familie und Mandantinnen und Mandanten schikaniert würden. Er hat inzwischen in Frankreich politisches Asyl beantragt.

Er beschrieb Amnesty International die psychischen Folgen der ständigen Überwachung: «Überwachung ist eine Form der Strafe. Du kannst dich nicht mehr frei verhalten. Es bildet Teil ihrer [der Behörden] Strategie, dass du vermutest, beobachtet zu werden, denn das setzt dich permanent unter Druck.»

2015 beschuldigten die marokkanischen Behörden laut Gerichtsakten Maati Monjib und vier weitere Personen nach Paragraf 206 des Strafgesetzbuchs, «die staatliche Sicherheit durch Propaganda bedroht» zu haben, die «die Loyalität, welche die Staatsangehörigen ihrem Land und dem marokkanischen Volk schulden, untergräbt.» Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft. Diese Anklage wurde erhoben, nur weil er eine App für Bürgerjournalismus beworben hatte, die die Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer schützt.

Das Strafverfahren läuft noch. Maati Monjib wurde vermutlich auch über seinen Mobilfunkanbieter angegriffen: über diesen Weg können Angreifer Zugang zu der Netzwerkverbindung der Zielperson erhalten, um so Webanfragen zu beobachten und sie auf bösartige Virenprogramme umzuleiten. Solche Angriffe erfolgen «unsichtbar» und hinterlassen keine Spuren.

NSO in Erklärungsnotstand

Die NSO-Gruppe behauptet, dass ihre Technologie lediglich für rechtskonforme Zwecke wie der Bekämpfung von Verbrechen und Terrorismus eingesetzt wird. Die Firma hat kürzlich ihre Menschenrechtsstandards veröffentlicht und behauptet, über Menschenrechtsmechanismen zu verfügen, die den Missbrauch durch Regierungen untersuchen und unterbinden. Doch die mangelnde Transparenz der Untersuchungen des Missbrauchs ihrer Technologie wirft ernste Fragen zu dieser Behauptung auf.

«Die NSO kann derzeit nicht verhindern, dass Regierungen ihre Überwachungstechnologie rechtswidrig einsetzen, um gegen die Menschenrechte zu verstossen.» Danna Ingleton, stellvertretende Leiterin von Amnesty Tech

«Die neuesten Beweise machen ganz klar: die NSO kann derzeit nicht verhindern, dass Regierungen ihre Überwachungstechnologie rechtswidrig einsetzen, um gegen die Menschenrechte zu verstossen», meinte Danna Ingleton.

«Statt Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit NSO-Produkten schönzureden, sollte die Firma dringend wirksame Prozesse zur Wahrung der Sorgfaltspflicht einrichten, damit ihre Spionage-Software nicht weiter missbraucht werden kann.»

Nach den Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sind die NSO-Gruppe und ihr Hauptinvestor, das private Unternehmen Novalpina Capital, verpflichtet, unverzüglich Schritte einzuleiten, um sicherzustellen, dass sie weltweit weder Menschenrechtsverstösse begehen noch zu ihnen beitragen.