Seit Mitte Mai wurden mindestens neunzehn Frauenrechts-AktivistInnen in Saudi-Arabien verhaftet. Amnesty berichtete am 22. Mai 2018 über die erste Verhaftungswelle. In einer beispiellosen Verleumdungskampagne in den staatlich kontrollierten Medien wurden sechs von ihnen als «Verräterinnen» und «Spione» diffamiert. Sie befinden sich weiterhin ohne Anklage in Haft und haben keinen Kontakt zu ihren AnwältInnen oder Angehörigen. Unter ihnen ist auch die bekannte Frauenrechtlerin und Vorkämpferin für das Recht der Frauen, Auto zu fahren, Loujain Al-Hathloul, sowie weitere Aktivistinnen der Kampagnen #Oct26driving, #Right2Drive und #IAmMyOwnGuardian.
Amnesty International hat sich einem öffentlichen Appell von mehr als 30 Menschenrechtsorganisationen angeschlossen, der die sofortige Freilassung der Verhafteten und das Ende der beispiellosen Unterdrückungs-Kampagne gegen unabhängige Stimmen in Saudi-Arabien fordert. Der Appell (auf Englisch) enthält auch weiterführende Informationen sowie die Namen der Aktivistinnen (soweit sie Amnesty bekannt sind), die sich in Haft befinden (Englisch).
Das Beispiel von Loujain al-Hathloul
Unter den betroffenen Personen ist Loujain al-Hathloul, ein prominentes Gesicht im Kampf gegen das Fahrverbot für Frauen. Al-Hathloul wird seit langem vom Staat verfolgt und schikaniert. Sie war 73 Tage lang inhaftiert, nachdem sie sich dem Verbot widersetzt und mit dem Versuch auf sich aufmerksam gemacht hatte, am 30. November 2014 mit ihrem Auto von den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Saudi-Arabien zu fahren. Sicherheitsbeamte der Grenzstadt Al-Batha, im Osten von Saudi-Arabien, nahmen ihr den Reisepass ab und zwangen sie, in ihrem Auto zu übernachten.
Al-Hathloul hielt ihren Versuch, die Grenze zu überqueren, mit der Kamera fest und teilte ihre Erfahrungen in einem Video auf YouTube. Hunderttausende schauten sich das Video an. Auch auf Twitter berichtete sie von ihren Erlebnissen, ihr Name wurde international bekannt.
Im November 2015 kandidierte Loujain al-Hathloul bei den Wahlen für die Beratende Versammlung (Schura-Rat) in Saudi-Arabien – es war das erste Mal, dass Frauen im Königreich nicht nur wählen durften, sondern auch selbst gewählt werden konnten. Allerdings stand ihr Name nicht auf dem Wahlzettel, obwohl sie als Kandidatin anerkannt worden war. Im Juni 2017 wurde sie erneut festgenommen. Der Zugang zu einem Rechtsbeistand und ihrer Familie wurde ihr verwehrt. Vier Tage wurde sie ohne weitere Erklärung freigelassen.
HiNtergrund: Fahrverbot und die Bewegung Women2Drive
Die Diskriminierung von Frauen und Mädchen in Saudi-Arabien ist sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Praxis fest verankert. Das Fahrverbot ist nur ein Beispiel von vielen für die Verletzung der Menschenrechte von Frauen: Sie dürfen nicht alleine reisen, keiner bezahlten Arbeit nachgehen, nicht studieren und nicht ohne die Erlaubnis eines männlichen Vormundes heiraten.
Seit 1990 setzen sich Frauen in Saudi-Arabien öffentlich gegen das Fahrverbot ein. Damals fuhren rund 40 Frauen während einer Protestaktion mit ihren Autos auf einer Hauptstrasse in Riad. Sie wurden von der Polizei gestoppt und viele der Teilnehmerinnen wurden daraufhin von ihrer Arbeit suspendiert.
Seither reissen die Proteste nicht ab. 2007 reichten Aktivistinnen eine Beschwerde beim inzwischen verstorbenen König Abdullah ein. Im Folgejahr filmte sich die Aktivistin Wajeha al-Huwaider am Steuer eines Wagens und postete das Video auf YouTube, um auf den Internationalen Frauentag aufmerksam zu machen.
Auch andere saudische Frauen nutzen das Video-Portal YouTube und veröffentlichten Videos, die sie am Steuer zeigen, um 2011 erneut gegen das Fahrverbot zu protestieren. Viele wurden entweder festgenommen oder mussten eine Erklärung unterschreiben, dass sie nie mehr Auto fahren werden. Mindestens eine Frau hatte sich darüber hinweggesetzt und war zu zehn Stockhieben verurteilt worden.
Im Oktober 2013 starteten Frauenrechtlerinnen eine erneute Initiative, um das Fahrverbot zu kippen. Loujain al-Hathloul, eine der Aktivistinnen, gab den Beginn der Kampagne öffentlich in einem Video bekannt, das sie postete. Schon kurz nach der Veröffentlichung wurden einige Frauenrechtlerinnen von den Behörden bedroht und unter Druck gesetzt, damit sie die Kampagne beenden. Am 24. Oktober erklärte das Innenministerium, dass es auf die Kampagne «entschieden und mit Gewalt» reagieren würde. Am 25. Oktober wurde schliesslich die Kampagnen-Website lahmgelegt.
Trotz der Drohungen und Einschüchterungen filmten sich unzählige Frauen während ihrer Autofahrt und stellten die Videos online. Einige von ihnen wurden festgenommen, ein Grossteil kam jedoch nach kurzer Zeit wieder frei.
Im vergangenen Jahr wurde das Fahrverbot in einem königlichen Erlass aufgehoben. Frauen, die sich für die Aufhebung des Verbots eingesetzt hatten, berichteten daraufhin von Telefonanrufen, in denen sie gewarnt wurden, öffentlich zu der Nachricht Stellung zu nehmen.
Amnesty International begrüsst die Aufhebung des Fahrverbots als einen «lange überfälligen, kleinen Schritt in die richtige Richtung». Die Menschenrechtsorganisation fordert aber darüber hinaus das Ende jedweder Diskriminierung von Frauen, vor allem aber die Abschaffung des Systems der männlichen Vormundschaft - und die Freilassung derjenigen, die sich seit Jahren friedlich für ihre Rechte einsetzen.