«Sollte dieses Vorhaben umgesetzt werden, würde dies für Saudi-Arabien zwar einen bedeutenden Schritt darstellen, doch hat die fortgesetzte Anwendung der Todesstrafe im vergangenen Jahr mit 184 dokumentierten Hinrichtungen ein schockierendes Hoch erreicht», meint Heba Morayef, Regionaldirektorin Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International.
«Sollte dieses Vorhaben umgesetzt werden, wäre es für Saudi-Arabien ein bedeutender schritt. Saudi Arabien hat hinsichtlich Todesstrafe eine besonders schlechte Bilanz vorzuweisen.» Heba Morayef, Regionaldirektorin Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International
«Die Todesstrafe ist die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen. Sie sollte von keinem Staat angewendet werden, und Saudi-Arabien hat in dieser Hinsicht eine besonders schlechte Bilanz vorzuweisen. Saudi-Arabien muss jetzt als ersten Schritt zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe ein offizielles Hinrichtungsmoratorium erlassen.
Es sollte auch nicht vergessen werden, dass Dutzende MenschenrechtsaktivistInnen nach Verurteilungen in grob unfairen Prozessen allein deshalb inhaftiert bleiben, weil sie sich in einem äusserst repressiven Umfeld für Gleichheit und Gerechtigkeit eingesetzt haben.»
Die saudi-arabischen Behörden kündigten gestern an, dass das Land die Todesstrafe nicht mehr gegen Personen anwenden wird, die zum Zeitpunkt der Straftat noch keine 18 Jahre alt waren. Die Todesstrafe wird durch eine Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis ersetzt.
Nach Informationen von Amnesty International schliesst der königliche Erlass Straftaten nach dem Antiterrorgesetz hiervon aus. Es ist unklar, wie die Strafe für nach diesem Gesetz verurteilte jugendliche StraftäterInnen stattdessen aussehen soll. Amnesty International hat den Missbrauch des Antiterrorgesetzes durch die saudi-arabischen Behörden dokumentiert. Dieses enthält zu weit gefasste und vage Definitionen von «Terrorismus» und «terroristischen Verbrechen» sowie eine Reihe von Bestimmungen, die die friedliche Meinungsäusserung kriminalisieren.
Saudi-Arabien missachtet seit Jahren das Völkerrecht, das die Anwendung der Todesstrafe gegen Personen, die zum Zeitpunkt des Verbrechens unter 18 Jahre alt waren, verbietet. Amnesty International setzt sich seit langem für die Aufhebung der Todesurteile gegen Ali al-Nimr, Abdullah al-Zaher und Dawood al-Marhoon ein – drei junge Männer aus der schiitischen Minderheit Saudi-Arabiens, die alle im Alter von unter 18 Jahren festgenommen wurden und nach grob unfairen Verfahren vor dem Sonderstrafgericht unmittelbar von der Hinrichtung bedroht sind.
Die Behörden haben den königlichen Erlass, der die Ankündigung enthält, noch nicht öffentlich bekanntgegeben und auch seine Durchführungsbestimmungen sind noch unklar. Nach Kenntnis von Amnesty International haben Familien zum Tode verurteilter Personen bisher noch keine Informationen über den Stand der Fälle ihrer Angehörigen erhalten.
In der vergangenen Woche hat der Oberste Gerichtshof Saudi-Arabiens eine Weisung an die Gerichte erlassen, keine nach freiem Ermessen anwendbare Auspeitschungsstrafen mehr zu verhängen und diese stattdessen durch Haft- und/oder Geldstrafen zu ersetzen. Es ist noch unklar, ob dies auch für die obligatorischen Prügelstrafen für andere Straftaten nach der Scharia gilt, darunter für Alkoholkonsum und Sexualdelikte.
Jugendgesetz
Die jüngste Ankündigung folgt auf das 2018 erlassene Jugendgesetz, das Gerichte daran hinderte, nach freiem Ermessen Todesurteile gegen Personen unter 15 Jahren zu verhängen. Sie hinderte diese jedoch nicht daran, die Todesstrafe in Fällen von Personen anzuwenden, die für hadd-Verbrechen (mit festen und strengen Strafen nach der Scharia) oder für Verbrechen verurteilt wurden, die mit qisas (Vergeltung) bestraft werden. Bei dieser Kategorie von Verbrechen nach der Scharia werden Mord und Körperverletzung mit derselben Tat bestraft, und zwar Mord mit der Todesstrafe und Körperverletzung mit der Zufügung derselben Verletzung. Das Gesetz blieb somit hinter den Verpflichtungen Saudi-Arabiens gemäss dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention) zurück.
Der Ankündigung, die einen Fortschritt im Vergleich zum Jugendgesetz darstellt, müssen klare Durchführungsbestimmungen folgen, die keine Minderjährigen von der Reform ausschliessen.
Hintergrund
In ihrem jährlichen Bericht zur Todesstrafe hat Amnesty International offengelegt, dass in Saudi-Arabien 2019 sehr viele Menschen hingerichtet wurden, trotz einer allgemeinen Abnahme der Hinrichtungen weltweit. Die saudischen Behörden haben im vergangenen Jahr 184 Personen hinrichten lassen, die höchste Zahl, die von Amnesty International unter Berufung auf die Zahlen des Innenministeriums seit 2000 dokumentiert wurde.