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Saudi-Arabien Manahel al-Otaibi wird Opfer von Verschwindenlassen

13. Februar 2025
Die saudische Fitnesstrainerin Manahel al-Otaibi sitzt im Gefängnis, weil sie sich auf den Sozialen Medien für mehr Frauenrechte starkmachte. Seit Dezember fehlt von ihr jede Spur. Amnesty International befürchtet, dass sie Opfer von Verschwindenlassen geworden ist.

Die saudischen Behörden müssen unverzüglich den Aufenthaltsort von Manahel al-Otaibi bekannt machen. Am 15. Dezember hatte die Fitnesstrainerin zum letzten Mal telefonisch Kontakt mit ihrer Familie. Seiter fehlt von ihr jede Spur. Die wiederholten Versuche ihrer Familie, die Gefängnisbehörden und die saudi-arabische Menschenrechtskommission zu kontaktieren, um Informationen über sie zu erhalten, sind unbeantwortet geblieben. Die Weigerung der Behörden, den Aufenthaltsort von Manahel al-Otaibi bekannt zu geben, kommt einem erzwungenen Verschwindenlassen gleich, einem Verbrechen nach internationalem Recht.

«Die Angst um Manahels Sicherheit ist in den letzten zwei Monaten rapide gewachsen. Die saudischen Behörden müssen unverzüglich den Aufenthaltsort von Manahel al-Otaibi bekannt geben, ihr uneingeschränkten Zugang zu ihrer Familie gewähren und ihre ungerechte Verurteilung aufheben», sagt Bissan Fakih, Nahost-Campaignerin bei Amnesty International.

«Die saudischen Behörden behaupten, dass sie Fortschritte bei den Frauenrechten gemacht haben, halten aber weiterhin Frauen wie Manahel al-Otaibi willkürlich fest, nur weil sie über Frauenrechte schreiben und tragen, was sie wollen. Diese Heuchelei ist erstaunlich. Gestützt wird die saudische Regierung dabei auch von Aussagen von öffentlichen Persönlichkeiten und der internationalen Gemeinschaft, die die Reformen des Königreichs propagieren und dabei die Frauen ignorieren, die hinter Gittern sitzen, nur weil sie es gewagt haben, sich für ihre Rechte einzusetzen.»

Grosse Sorgen

Manahel al-Otaibi wurde am 9. Januar 2024 in einer geheimen Anhörung vor dem berüchtigten Anti-Terror-Gericht Saudi-Arabiens, dem Spezialstrafgericht, zu 11 Jahren Gefängnis verurteilt. Ihr wird vorgeworfen, in den sozialen Medien ein Ende des männlichen Vormundschaftssystems in Saudi-Arabien gefordert zu haben, Videos von sich in «unanständiger Kleidung» veröffentlicht zu haben und «ohne eine Abaya (ein traditionelles Kleid) zum Einkaufen gegangen zu sein». 

Manahel al-Otaibi war zuvor zwischen dem 5. November 2023 und dem 14. April 2024 fünf Monate lang gewaltsam verschwunden. Ausserdem wurde sie im August 2024 einen Monat lang in Isolationshaft gehalten, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurde. Als sie schliesslich wieder Kontakt zu ihrer Familie aufnehmen konnte, erfuhr diese, dass sie von Mitgefangenen und Gefängniswärter*innen geschlagen worden war. Sie erzählte ihnen auch, dass sie in Einzelhaft gehalten worden war. 

Angesichts der früheren Misshandlung von Manahel al-Otaibi durch die Behörden besteht ernsthafte Sorge um ihr Wohlergehen und ihre körperliche Unversehrtheit.

Manahels Schwester, Fawzia al-Otaibi, sagte: «Meine Familie durchlebt einen wahren Albtraum. Wir sind entsetzt darüber, was mit Manahel geschieht. Sie erzählte uns von Folter, sexueller Belästigung, monatelanger Einzelhaft, Misshandlung und medizinischer Vernachlässigung, denen sie ausgesetzt war, und dass diese Misshandlungen meist in Zeiten stattfanden, in denen sie völlig von der Aussenwelt abgeschnitten war. Jedes Mal, wenn wir den Kontakt zu Manahel verlieren, gerät unsere gesamte Familie in Panik und fürchtet um ihre Sicherheit. Wir wenden uns verzweifelt an alle, die wir erreichen können, und bitten um Hilfe, aber leider schenkt uns keine staatliche Stelle im Lande Beachtung.»

Bei Manahel al-Otaibi wurde Multiple Sklerose, eine chronische neurologische Krankheit, diagnostiziert, die sich nach Angaben ihrer Familie verschlimmerte, nachdem sie die Verhaftung ihrer älteren Schwester Mariam al-Otaibi miterlebt hatte. Mariam al-Otaibi, eine prominente Menschenrechtsverteidigerin und Kämpferin gegen das männliche Vormundschaftssystem, wurde 2017 wegen ihres Engagements für die Rechte der Frauen 104 Tage lang inhaftiert und unterliegt derzeit einem Reiseverbot und Redebeschränkungen.

«Mariams Verhaftung hat unsere gesamte Familie terrorisiert. Wir lebten in ständiger Angst und mussten mit ansehen, wie regierungsnahe Accounts auf Twitter Hetzkampagnen gegen uns starteten und uns als Verräter*innen bezeichneten. Manahel war bettlägerig, ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide», sagte ihre Schwester Fawzia al-Otaibi. «Seit ihrer Inhaftierung hat sich ihre Krankheit aufgrund der ständigen medizinischen Vernachlässigung und der Folter noch mehr verschlimmert.»

Fawzia al-Otaibi ist mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert wie ihre Schwester Manahel, floh jedoch aus Angst vor einer Verhaftung aus Saudi-Arabien, nachdem sie 2022 zu einem Verhör vorgeladen worden war.

Amnesty International hat dokumentiert, wie die saudischen Behörden in den letzten Jahren verstärkt gegen die Meinungsäusserungsfreiheit vorgegangen sind. Mehrere Personen wurden zu langen Haftstrafen verurteilt, weil sie sich in den sozialen Medien kritisch geäussert haben. Dazu gehören:

Abdulrahman al-Sadhan, der wegen satirischer Tweets zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde;

Mohammed al-Ghamdi, der aufgrund behördenkritischer Tweets zum Tode verurteilt wurde, dessen Todesstrafe jedoch in 30 Jahre Haft umgewandelt wurde;

Nourah al-Qahtani, eine Frauenrechtsaktivistin, die zu 45 Jahren Haft verurteilt wurde;

«Die saudischen Behörden müssen Manahel al-Otaibi und all diejenigen, die willkürlich inhaftiert und zu Unrecht verurteilt wurden, nur weil sie ihre Menschenrechte wahrgenommen haben, unverzüglich und bedingungslos freilassen. Bis zur Freilassung von Manahel al-Otaibi müssen die Behörden ihren Aufenthaltsort bekannt geben und ihre Sicherheit, ihr Wohlergehen und den Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung gewährleisten», sagt Bissan Fakih.