Der 39-seitige Bericht «Health Crisis: Syrian Government Targets the Wounded and Health Workers» dokumentiert, dass in mindestens 4 öffentlichen Spitälern Syriens Patientinnen und Patienten gefoltert und misshandelt worden sind, teilweise durch Mitglieder des medizinischen Personals. Umgekehrt sind auch Ärztinnen und Ärzte sowie PflegerInnen, die verletzte Demonstrierende behandelt haben, Opfer von Verhaftungen und Folter geworden.
«Wir sind sehr besorgt darüber, dass die syrische Regierung den Sicherheitsdiensten freie Hand lässt. selbst in den Spitälern gegen Demonstrierende vorzugehen, und dass dabei offenbar Mitglieder des medizinischen Personals Akte von Folter und Misshandlung an jenen begangen haben, die sie heilen und pflegen müssten», sagte Cilina Nasser, die zuständige Researcherin bei Amnesty International in London.
Patienten in Spitälern angegriffen
Gemäss den Informationen von Amnesty International sind PatientInnen in den öffentlichen Spitälern von Banias, Homs und Tell Kalakh sowie im Militärspital von Homs Opfer derartiger Übergriffe seitens von Ärzten, Mitgliedern des Pflegepersonals und Angehörigen der Sicherheitsdienste geworden. Ein Arzt des Militärspitals in Homs sagte Amnesty International, dass er 4 Ärzte und mehr als 20 Pflegerinnen dabei beobachtet habe, PatientInnen zu misshandeln.
Es wurden auch PatientInnen aus den Spitälern heraus verhaftet. Am 7. September 2011 haben die Sicherheitskräfte im Spital al Birr wa al Khadamat in Homs eine Razzia gegen einen mutmasslichen führenden Oppositionellen in der Region durchgeführt und dabei 18 Verwundete abgeführt. Ein Mitglied des medizinischen Personals erzählte Amnesty International, dass er dabei in mindestens einem Fall gesehen hat, wie einem bewusstlosen Patienten das Atmungsgerät entfernt worden war, bevor er mitgenommen wurde.
Viele SyrerInnen haben Angst, sich in ein öffentliches Spital zu begeben und lassen sich in Privatkliniken und –oftmals ungenügend ausgerüsteten - improvisierten Lazaretten behandeln. Ärzte des öffentlichen Spitals in Homs erklärten, dass Spitaleintritte aufgrund von Schussverletzungen seit Mai markant zurückgegangen sind, dies obwohl die Anzahl von Opfern von Schussverletzungen in den Strassen gleichzeitig weiter angestiegen ist.
In Syrien gibt es eine einzige zentrale Blutbank. Diese untersteht der Kontrolle des Verteidigungsministeriums, was die privaten Kliniken in ein grausames Dilemma bringt: Ein Arzt, der in einer privaten Klinik in Homs arbeitet, erklärte gegenüber von Amnesty International: «Jedes Mal, wenn ein Opfer von Schussverletzungen eingeliefert worden ist, das eine Bluttransfusion benötigte, standen wir vor dem folgenden Dilemma: Schicken wir eine Anfrage an die zentrale Blutbank und riskieren damit, dass die Sicherheitsdienste davon erfahren und unser Patient damit Gefahr läuft, verhaftet und gefoltert zu werden oder gar im Gefängnis zu Tode kommt?»
Spitalpersonal wurde geschlagen
Mitglieder des medizinischen Personals gerieten aber auch selbst ins Visier der Sicherheitsorgane, einige deshalb, weil sie verletzte Demonstrierende behandelten, andere, weil sie verdächtigt wurden, an Demonstrationen teilgenommen zu haben oder diese gefilmt zu haben. Am 7. August 2011 haben rund 20 Soldaten und Mitglieder der Sicherheitsdienste ein öffentliches Spital in der Region Homs angegriffen und dabei 7 Mitglieder des Personal verhaftet . Einer von ihnen erzählte Amnesty International, dass mehrere im Verlaufe des Verhörs brutal geschlagen worden sind.
Amnesty International fordert die syrischen Behörden auf, alle öffentlichen Spitäler klar und eindeutig anzuweisen, dass sämtliche Patientinnen und Patienten unverzüglich behandelt werden müssen und dass die Gesundheit der PatientInnen an erster Stelle zu stehen hat. «Ärztinnen, Ärzte und das Pflegepersonal befinden sich in der unmöglichen Situation, zwischen ihrem Auftrag, Leben und Gesundheit der PatientInnen zu schützen und ihrer eigenen Sicherheit wählen zu müssen», meint Cilina Nasser.
Die syrische Regierung muss dringend dafür sorgen, dass PatientInnen ungeachtet ihrer vermuteten politischen Haltung oder Aktivitäten die notwendige medizinische Behandlung erhalten. All jene, ob Mitglieder des medizinischen Personals oder Angehörige der Sicherheitsdienste, die die medizinische Behandlung Verletzter verzögert, unterbrochen oder verhindert, müssen zur Rechenschaft gezogen werden.