© Amnesty International/Forensic Architecture
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Syrien Brief aus Saydnaya

18. August 2016
Hussam (Name geändert), ein friedlicher Aktivist, wurde 20 Monate lang in Saydnaya festgehalten, einem der brutalsten Gefängnisse Syriens. Mittlerweile wurde er in eine andere Hafteinrichtung verlegt. In diesem Brief versucht er, die «tägliche Hölle» in Saidnaya zu beschreiben.

Was ich erzähle, ist keine Fiktion und auch keine Bitte um Mitleidsbekundungen.

Aus unseren dunklen und lichtlosen Kellern erheben wir unsere Stimmen und hoffen auf ein Echo. Wir appellieren an euch, das Auslöschen der jungen Leben syrischer Frauen und Männer zu stoppen. Haltet das Feuer auf, dem diese jungen Leute in den Gefängnissen und Hafteinrichtungen von Präsident Assad zum Opfer fallen.

Sie gehören dort nicht hin. Sie wurden nicht geboren, um nur ein Stück Papier in den Händen von Assad und seinem diktatorischen Regime zu sein, oder wie ein Stück Holz in dem von ihm angefachten Feuer aus Hass und Rachsucht zu verglühen – nur weil wir es gewagt haben, von einer würdevollen Nation zu träumen, in der unsere Rechte geschützt werden.

Mit diesem Brief möchte ich an die Tausenden von Seelen erinnern, die bereits verloren sind und jeden Tag verloren gehen. Ich möchte euch erzählen, wie unsere Würde erstickt wird und der willkürliche Tod überall – in der Luft um uns herum, in unserem Trinkwasser, in den Knüppeln der Gefängniswärter – auf uns lauert und das zerstört, was von unserer Haut und unseren Körpern noch übrig ist. Von unseren schwachen und mageren Körpern.

Es gibt keine Worte, die unsere tägliche Hölle beschreiben können. Eine Hölle, die täglich damit endet, dass einer von uns stirbt, in ein Tuch gewickelt. Und in der wir die Wahl haben, zwischen einem schnellen Tod durch die Hand eines Vernehmungsbeamten, dem unsere Aussage nicht gefällt, und einem langsamen Tod in einem Käfig, der unsere Körper langsam aufzehrt.

Die Angst bleibt auch nach der Entlassung aus dem Gefängnis unser ständiger Begleiter. Angst, nach Saydnaya zurück zu müssen. Angst um die, die dort hin müssen und um Freundinnen und Freunde, die noch dort sind. Angst vor dem Klang der Metallgitter und vor den Schreien, die mich bis zum Einschlafen verfolgen. Angst vor dem Weg zum Gericht. Angst vor Kälte, Krankheit und einem Hunger, der mit keiner anderen Art von Hunger zu vergleichen ist. Zum Überleben essen wir Eierschalen, mit Glück Orangenschalen, selbst Erde.

Wir haben die schlimmste Form von Hunger erlebt. Lebensmittel werden uns hingeworfen, wir können aber nichts nehmen, nicht einmal einen Brotkrumen. Wir wagen es nicht, denn die Bestrafung hängt von der Laune des Gefängniswärters ab.

Wir haben Durst erlebt, bis unsere Lippen so fest zusammenklebten, dass wir sie nicht mehr auseinander bekamen. Und dann erlebten wir, wie man stirbt, wenn man sich über eine Krankheit beklagt oder um Medikamente bittet.

Unsere Körper siechen dahin und können sich nicht gegen Krankheiten wehren. Wer keine Tuberkulose bekommt, muss Durchfall, Krätze oder Abszesse fürchten.

Wir mussten uns von vielen Freundinnen und Freunden verabschieden, und waren immer darauf vorbereitet, dass es uns als nächstes trifft. Manchmal wünschten wir uns den Tod, weil wir in ihm das Ende sahen.

All dies durchlebten wir, ohne dass jemand da draussen wusste, wo wir waren, und dass wir in den kalten Nächten von Saydnaya dahinsiechten. Niemand hörte unsere Schreie unter den flammenden Peitschenhieben, die auf unsere Körper niedergingen.

Die Verlegung aus Saydnaya in ein anderes Gefängnis bedeutet eine neue Lebenschance für mich. Deshalb bitte ich euch – in meinem Namen und im Namen meiner inhaftierten Freundinnen und Freunde – alle nur möglichen Massnahmen zu ergreifen, um alle Inhaftierten zu retten und dieses kriminelle Regime aufzuhalten, das uns und unsere Freundinnen und Freunde auch nach fünf Jahren noch unter Schmerzen gefangen hält, die sich nicht beschreiben lassen.

Schmerzen, die sich niemals lindern lassen.