Noch im Juli 2018 haben sich der Iran, die Türkei und Russland darauf geeinigt, eine grossangelegte Militäroffensive auf Idlib zu vermeiden. In den vergangenen Wochen deuteten Stellungnahmen und Vorbereitungen seitens der syrischen und russischen Regierung jedoch darauf hin, dass eine Militäroffensive kurz bevorstehen könnte. Auch wenn Russland und die Türkei kürzlich die Einigung auf eine demilitarisierte Zone ankündigten, ist die Gefahr für die Zivilbevölkerung in Idlib noch nicht gebannt. Angesichts der Bilanz vergangener Deeskalationsabkommen und der Belagerungs- und Aushungerungstaktik, die die syrische Regierung in all ihren grossen Militäreinsätzen zur Rückeroberung von Gebieten eingesetzt hat, ist das Leben von Millionen Zivilpersonen in Idlib immer noch in Gefahr.
Hintergrund
Idlib, im Nordwesten Syriens nahe der Grenze zur Türkei, ist die letzte nennenswerte Bastion der bewaffneten Oppositionsgruppen in Syrien. Im März 2017 hatten sich der Iran, die Türkei und Russland bei den Gesprächen von Astana darauf geeinigt, Idlib als Deeskalationszone zu etablieren und militärische Überwachungsposten einzurichten, um sicherzustellen, dass die syrische Regierung und die bewaffneten Oppositionsgruppen sich an den vereinbarten Waffenstillstand halten.
Seit Januar 2018 haben syrische Regierungstruppen mehrfach rechtswidrige Luft- und Bodenangriffe durchgeführt, so zum Beispiel einen Chemiewaffenangriff auf die Stadt Sarakeb am 5. Februar 2018, bei dem mindestens sechs Personen getötet und elf schwer verletzt wurden. Darüber hinaus sind Hunderte Zivilpersonen in der Region infolge von Autobomben und Kämpfen zwischen bewaffneten Oppositionsgruppen getötet worden.
Seit 2011 sind 700'000 Menschen nach Idlib geflohen, um der Gewalt in anderen syrischen Landesteilen zu entkommen oder weil sie im Rahmen von Evakuierungsvereinbarungen zwischen der syrischen Regierung und den bewaffneten Oppositionsgruppen vertrieben wurden, u. a. aus Homs, Aleppo, Ost-Ghuta und Darʿā. In der Folge ist die Bevölkerung von Idlib auf 2,5 Millionen Menschen angewachsen. Viele Binnenvertriebene leben in Lagern und sind abhängig von Hilfslieferungen aus der Türkei. Nachdem die Provinz von der bewaffneten Oppositionsgruppe Haiʾat Tahrir al-Scham eingenommen wurde, schloss die Türkei im Juli 2017 ihre Grenze zu Idlib, was zur vorübergehenden Aussetzung der humanitären Hilfe führte, wodurch sich die Lage weiter zuspitzte.
Seit April 2018 benötigen mehr als zwei Millionen Menschen in Idlib humanitäre Hilfe, da sie keinen oder nur unzureichenden Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser und Gesundheitsversorgung haben. Insbesondere der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist aufgrund der anhaltenden Luft- und Bodenangriffe auf Krankenhäuser und wegen begrenzter medizinischer Ressourcen äusserst eingeschränkt.