In einem neuen Bericht («Unbearable living conditions», PDF in Englisch) dokumentiert Amnesty International, wie rund 1,7 Millionen Menschen, 58 Prozent davon Minderjährige, in den Lagern im Nordwesten Syriens unter erbärmlichen Bedingungen leben. Für ihr Überleben sind sie fast gänzlich von internationalen Hilfslieferungen abhängig. Die meisten von ihnen sind seit Jahren in Zelten untergebracht und haben kaum oder keinen Zugang zu fliessendem Wasser und Sanitäreinrichtungen.
«Viele dieser vertriebenen Frauen, Männer und Kinder leben seit mehr als sechs Jahren in absoluter Not.» Diana Semaan, Expertin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International
«Viele dieser vertriebenen Frauen, Männer und Kinder leben seit mehr als sechs Jahren in absoluter Not. Es besteht wenig Aussicht darauf, dass sie nach Hause zurückkehren können, da ihnen weiterhin Menschenrechtsverletzungen durch die syrischen Behörden drohen. Doch wenn sie bleiben, wo sie sind, müssen sie unter harten Bedingungen leben und riskieren Krankheiten und geschlechtsspezifische Gewalt», erläutert Diana Semaan, Expertin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.
«Seit die syrischen Behörden die Kontrolle über den Nordwesten des Landes verloren haben, haben sie den Strom und das Wasser abgestellt, Hilfslieferungen behindert und Lager, medizinische Einrichtungen und Schulen angegriffen. Nur durch die Verlängerung des bestehenden Mechanismus für grenzüberschreitende Hilfe kann humanitäre Hilfe in Nordwest-Syrien überhaupt sichergestellt werden. Der Uno-Sicherheitsrat muss das Mandat daher vor seinem Auslaufen am 10. Juli dringend verlängern.»
Unangemessene Unterbringung, nicht genug Wasser
Mehr als die Hälfte der Binnenvertriebenen lebt in einem von 1414 Lagern, in der Regel in Ein-Kammer-Zelten ohne solide Türen oder Schlösser, die keinen Schutz vor der extremen Kälte und Hitze bieten. Dies verstösst gegen das völkerrechtlich verbriefte Recht der Bewohner*innen auf menschenwürdigen Wohnraum. Wasser steht zumeist in gemeinschaftlichen Wassertanks bereit, doch die ihnen zugeteilte Menge ist nicht einmal die Hälfte dessen, was sie eigentlich benötigen. Nur 40 Prozent haben Zugang zu funktionstüchtigen Latrinen.
Die Lagerbewohner*innen sagten Amnesty International, dass sie im Winter Schwierigkeiten haben, sich warm zu halten und ihr Zelt und ihre Habseligkeiten trocken zu halten. Wegen heftiger Regenfälle, Überschwemmungen und schlammiger Wege werden selbst alltägliche Dinge wie Wasser holen oder auf die Toilette gehen schwierig.
Darüber hinaus müssen sie im Winter häufig Plastik, Holz oder anderes brennbares Material in den Zelten verbrennen, um sich aufzuwärmen. Seit Anfang 2022 kam es hierdurch bereits zu mindestens 68 Bränden.
Geschlechtsspezifische Gewalt
Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen gaben im Gespräch mit Amnesty International an, dass Frauen und Mädchen geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind, unter anderem durch Familienmitglieder, Lagerbewohner und -verwalter, unbekannte Personen, aber auch durch Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Dieses Risiko wird durch Überfüllung, mangelnde Privatsphäre, nicht eingezäunte Lager, nicht abschliessbare Zelte und durch die Ausgrenzung von Frauen und Mädchen aus Entscheidungsprozessen noch verstärkt.
Frauen und Mädchen sind geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt.
So erhöhen beispielsweise die Art und Lage der Gemeinschaftslatrinen und -duschen die Gefahr von geschlechtsspezifischer Gewalt, da diese Einrichtungen in den allermeisten Lagern ohne Konsultation der Frauen eingerichtet wurden. Schlechte Beleuchtung, nicht abschliessbare Türen sowie Toiletten, die an abgelegenen Orten und ohne Geschlechtertrennung errichtet wurden, verschärfen das Problem zusätzlich.