Der seit 24 Jahren an der Macht befindliche syrische Präsident Baschar al-Assad wurde in der Nacht vom 7. auf den 8. Dezember von der Opposition gestürzt. © OMAR HAJ KADOUR/AFP via Getty Images
Der seit 24 Jahren an der Macht befindliche syrische Präsident Baschar al-Assad wurde in der Nacht vom 7. auf den 8. Dezember von der Opposition gestürzt. © OMAR HAJ KADOUR/AFP via Getty Images

Syrien Das Ende der Assad-Herrschaft – eine historische Chance für die Menschenrechte

9. Dezember 2024
Der Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad in der Nacht vom 7. auf den 8. Dezember bedeutet das Ende eines jahrzehntelangen repressiven Regimes. Eine historische Chance für die Menschenrechte in dem gebeutelten Land.

«Nach mehr als fünf Jahrzehnten brutaler Repression haben die Menschen in Syrien nun hoffentlich endlich die Möglichkeit, frei von Angst in einem Land zu leben, in dem ihre Rechte respektiert werden», sagte Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International.

«Unter der Herrschaft von Bashar al-Assad und vor ihm seines Vaters Hafez al-Assad waren die Syrer*innen einem entsetzlichen Ausmass von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Angriffe mit chemischen Waffen und Fassbomben und andere Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Mord, Folter, Verschwindenlassen und Vernichtung Zehntausender führten zu unsäglichem Leid. Jetzt besteht die historische Chance, die jahrzehntelangen schweren Menschenrechtsverletzungen zu beenden.»

«Wir fordern alle Konfliktparteien nachdrücklich auf, das humanitäre Völkerrecht uneingeschränkt einzuhalten.» Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International

«Amnesty International ruft die oppositionellen Kräfte dazu auf, sich von der Gewalt der Vergangenheit zu lösen. Das Wichtigste ist nun Gerechtigkeit, nicht Vergeltung. Wir fordern alle Konfliktparteien nachdrücklich auf, das humanitäre Völkerrecht uneingeschränkt einzuhalten. Dazu gehört auch die Verpflichtung, keine Menschen anzugreifen, die eindeutig die Absicht bekunden, sich zu ergeben, einschliesslich der Regierungstruppen, und jede Person, die in Gewahrsam genommen wird, menschlich zu behandeln», sagte Agnès Callamard.

«Bei allen Massnahmen zur Überwindung dieses tödlichen Kapitels in der Geschichte Syriens sind die Grundsätze der Gerechtigkeit, der Rechenschaftspflicht und der Nichtwiederholung zu berücksichtigen. Gegen alle Personen, denen Verbrechen nach dem Völkerrecht und andere schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt werden, sind Ermittlungen einzuleiten. Sie sind in fairen Gerichtsverfahren und ohne Rückgriff auf die Todesstrafe für ihre Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen», sagte Agnès Callamard.

«Die Freilassung von Gefangenen aus den zahlreichen Gefängnissen des Landes, darunter das Militärgefängnis von Saydnaya, ist ein wichtiger Schritt für die Familien der Zehntausenden von Opfern des Verschwindenlassens in Syrien. Endlich besteht die Aussicht, dass sie die Wahrheit über das Schicksal ihrer Angehörigen erfahren; einige von ihnen werden seit Jahrzehnten vermisst.»

Unter den gegebenen Umständen muss alles getan werden, um Beweise für vergangene oder gegenwärtige Straftaten zu sammeln und zu sichern. Nur so können die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Gefängnisunterlagen und andere Dokumente müssen unbedingt erhalten bleiben. Sie enthalten wichtige Informationen über das Schicksal der Verschwundenen und könnten bei künftigen Strafverfolgungsverfahren und Prozessen wegen völkerrechtlicher Verbrechen verwendet werden.

«Wir fordern die internationale Gemeinschaft mit Nachdruck auf, die syrische Bevölkerung in den Mittelpunkt dieser Phase des Übergangs zu stellen. Die internationale Gemeinschaft muss die Opfer der Gräueltaten des Assad-Regimes unterstützen, damit sie Gerechtigkeit und Wiedergutmachung erfahren. Dazu gehören die Einleitung von Verfahren nach dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit gegen mutmassliche Täter*innen und die Unterstützung des Internationalen, unparteiischen und unabhängigen Mechanismus für Syrien (IIIM) sowie der Uno-Institution über vermisste Personen, die 2023 eingerichtet wurde, um das Schicksal der Verschwundenen zu klären», sagte Agnès Callamard.

Hintergrund

In einer Erklärung, die am Sonntag live im syrischen Fernsehen übertragen wurde, verkündeten die Oppositionskräfte, sie hätten die Herrschaft des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad beendet und politische Gefangene befreit. Assad soll das Land verlassen haben.

Der Bericht von Amnesty International  «Human Slaughterhouse» (zu Deutsch: Menschliches Schlachthaus) aus dem Jahr 2017 deckte auf, wie die syrischen Sicherheitskräfte unter Präsident Bashar al-Assad Tötungen, Folter, Verschwindenlassen uns Massenerhängungen im Militärgefängnis Saydnaya, dem berüchtigtesten Haftzentrum Syriens, begingen. Diese Taten waren Teil eines weitverbreiteten und systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung, der als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen ist.

Seit Beginn der Proteste in Syrien im Jahr 2011 hat Amnesty International dokumentiert, wie die syrischen Regierungstruppen mit Unterstützung von Russland wiederholt von bewaffneten Oppositionsgruppen kontrollierte Gebiete angegriffen haben. Dabei kam es zu wahllosen und direkten Angriffen auf zivile Wohnhäuser, Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen. Bei Artillerieeinsätzen und Luftangriffen wurden häufig ungelenkte Waffen wie Fassbomben, Brandbomben und international geächtete Streumunition eingesetzt.