Die Strafverfolgung des Parlamentsabgeordneten Yassine Ayari durch das Militärgericht in Tunis verstösst gegen das Recht auf freie Meinungsäusserung und internationale Menschenrechtsstandards. Yassine Ayari hat bereits mehrere Korruptionsfälle in Tunesien aufgedeckt. Seit dem 28. Juli 2021 wird der Parlamentsabgeordnete und Whistleblower im Mornaguia-Gefängnis festgehalten. Dort verbüsst er eine zweimonatige Haftstrafe, die ein Militärgericht 2018 wegen armeekritischer Facebook-Posts gegen ihn verhängt hatte. Nun hat dasselbe Gericht ein neues Strafverfahren gegen ihn eingeleitet, nachdem er die Übernahme von Sondervollmachten durch Präsident Saied am 25. Juli als «Putsch» bezeichnet hatte. Am 7. September trat Yassine Ayari in einen Hungerstreik, um gegen seine Haftbedingungen zu protestieren.
Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen
Yassine Ayar wird nur bestraft, weil er sein Recht auf freie Meinungsäusserung wahrgenommen hat. Die Kritik an der Übernahme von Sondervollmachten durch den Präsidenten am 25. Juli 2021 oder an der Entscheidung der Armee, das Parlament zu schliessen und die Abgeordneten am Betreten der Räumlichkeiten zu hindern, sowie die Bezeichnung «Putsch» für diese Vorgänge sind legitime Kritik, die durch Paragraf 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, an den Tunesien gebunden ist, geschützt ist. Die Verfolgung von Yassine Ayari nach Paragraf 91 des tunesischen Militärjustizgesetzes, welcher die Verleumdung der Armee unter Strafe stellt, verstösst gegen die völkerrechtlichen Verpflichtungen Tunesiens. Sie stellt einen zynischen Versuch dar, Kritiker*innen des Präsidenten zum Schweigen zu bringen und diejenigen einzuschüchtern, die mit der Auflösung des Parlaments durch diesen nicht einverstanden sind.
Gegen Yassine Ayari sind sieben weitere Verfahren vor Zivilgerichten anhängig, die alle auf seine Facebook-Beiträge zurückgehen. Darin äusserte er sich zu korrupten Praktiken und beschuldigte politische Parteien oder deren führende Vertreter*innen des Interessenkonflikts und der Veruntreuung – allesamt rechtlich geschützte Äusserungen, die keine strafrechtliche Verfolgung rechtfertigen. Am 7. September trat Yassine Ayari in einen Hungerstreik, um gegen seine rechtswidrige Inhaftierung und seine Haftbedingungen zu protestieren. Er kritisiert, dass die Gefängnisbehörden ihm nicht erlauben, Briefe von Unterstützer*innen oder seiner Familie zu erhalten.