Dank diesem Einsatz erzielten wir konkrete Erfolge: Nassima al-Sada aus Saudi Arabien und Germain Rukuki aus Burundi konnten das Gefängnis verlassen, die METU-Pride Aktivist*innen aus der Türkei wurden freigesprochen. Talia, die Tochter von Idris Khattak durfte ihren Vater in Militärgewahrsam besuchen und Jani Silva weiss, dass sie in ihrer Arbeit nicht allein ist.
Jani Silva aus Kolumbien
© Nubia Acosta
Jani Silva wurde im Herzen des kolumbianischen Amazonasgebiets geboren und hat ihr Leben dem Schutz der Bäume und des Landes gewidmet – der Lebensgrundlage der Bevölkerung. Seit sie 16 Jahre alt ist, setzt sie sich für die Kleinbäuer*innen von Putumayo ein, einer Region im Süden des Landes, die für ihre einmalige Biodiversität bekannt ist.
Jani ist Mitbegründerin der 2008 gegründeten Organisation «Asociación de Desarrollo Integral Sostenible de La Perla Amazónica» (ADISPA). Ihr Ziel ist es, die Umwelt und die Rechte der Menschen zu schützen, die in «La Perla Amazónica» leben, einem kleinbäuerlichen Reservat in Putumayo.
Durch ihre Arbeit geriet Jani in Konflikt mit dem Erdölunternehmen Ecopetrol, das 2006 die Erlaubnis erhielt, in Gebieten tätig zu sein, die sich mit dem Reservat überschneiden. 2009 wurde die Lizenz an das Erdölunternehmen Amerisur übertragen. Seither gab es mindestens zwei Öllecks, die Wasserquellen vergifteten, von denen die örtliche Bevölkerung abhängig ist.
Ihr Engagement hat erschreckende Auswirkungen für Jani. Sie wird verfolgt, von Unbekannten eingeschüchtert und mit dem Tode bedroht. Die Corona-Pandemie hat die Situation noch verschlimmert, weil die Aktivist*innen zu Hause bleiben mussten und weniger geschützt sind.
Doch Jani will nicht aufgeben: «Weil ich mein Land verteidige, haben diese Leute ein Gewehr auf meinen Kopf gerichtet, um mich zu töten», sagt sie. «Aber ich bleibe. Denn wir können nicht weglaufen oder zulassen, dass die Angst uns besiegt.» Amnesty International steht ihr weiterhin zur Seite.
Idris Khattak aus Pakistan
Idris Khattak ist Experte zum Thema «Verschwinden-Lassen» in Pakistan. Er hat dieses völkerrechtliche Verbrechen jahrelang für Amnesty International und Human Rights Watch dokumentiert – bis er selbst am 13. November 2019 «verschwand».
In Pakistan lassen die Behörden regelmässig Menschenrechtsverteidiger wie Idris und andere Kritiker und Kritikerinnen «verschwinden», um sie zum Schweigen zu bringen. Idris befand sich auf dem Heimweg aus der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, als er in seinem Mietwagen angehalten und verschleppt wurde.
«Ich schaue mir Fotos von Papa an und wünsche mir nichts mehr, als dass er zur Tür hereinkommt und wieder bei uns ist», sagt Talia, Idris Khattaks Tochter. «Wir haben Antworten verdient, und er verdient es, von Gesetzen geschützt zu werden.»
Talia (20) erhielt Drohungen, als sie mit Unterstützung durch Amnesty International damit begann, ihren Vater zu suchen und für seine Rückkehr zu kämpfen. Doch Talias Mut zahlte sich aus. Im Juni 2020 gaben die pakistanischen Behörden zu, dass sie Idris in Gewahrsam halten, ein Jahr nach seinem Verschwinden durfte Talia ihren Vater für 20 Minuten besuchen.
Seine Familie befürchtet, dass Idris wegen Spionage vor Gericht gestellt wird. Bei einem Schuldspruch drohen ihm 14 Jahre Gefängnis oder sogar die Todesstrafe. Amnesty International steht Idris und seiner Familie weiterhin zur Seite.
Melike Balkan und Özgür Gür aus der Türkei
Seit Beginn ihres Studiums setzten sich Melike Balkan und Özgür Gür für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi*, Trans und intergeschlechtlichen Personen (LGBTI*) an ihrer Universität ein. Als bekannte Mitglieder der LGBTI*-Solidaritätsgruppe an der Middle East Technical University (METU) in Ankara organisierten sie viele Kundgebungen, Versammlungen und andere Veranstaltungen.
Die Solidaritätsgruppe hatte regen Zulauf an Studierenden. Doch gleichzeitig nahm in der Türkei die offen zur Schau gestellte Homofeindlichkeit zu und die Meinungsfreiheit wurde immer stärker eingeschränkt. 2019 löst die Polizei ein von ihr organisiertes Pride-Sit-In gewaltsam auf, nahm mindestens 23 Studierende, darunter auch Melike und Özgur sowie ein Mitglied des Lehrpersonals fest und stellten sie vor Gericht. Den Aktivist*innen drohten bis zu drei Jahren Haft.
Im Oktober 2021 sprach ein Gericht in Ankara Melike Balkan, Özgür Gür und alle anderen Angeklagten endlich frei. Dazu haben wir mit dem Briefmarathon beigetragen.
Germain Rukuki aus Burundi
Germain Rukuki ist ein Menschenrechtsverteidiger aus Burundi, dem seine Arbeit zum Verhängnis wurde. Er arbeitete für die Anti-Folter-Organisation ACAT-Burundi (Action by Christians for the Abolition of Torture) als im April 2015 in Burundi eine politische Krise ausbrach: Der damalige Präsident kündigte an, für eine dritte Amtszeit kandidieren zu wollen. Dieses Vorhaben widersprach der geltenden Verfassung des Landes und es folgten landesweite Demonstrationen.
Seitdem gehen die Behörden hart gegen die Zivilgesellschaft und die Medien vor. Viele Menschenrechtsverteidiger*innen sahen sich bereits gezwungen, das Land zu verlassen. Viele der im Land Verbliebenen werden wegen ihrer Menschenrechtsarbeit zu Unrecht strafrechtlich verfolgt. 2016 wurde die ACAT verboten.
Germain wurde im Juli 2017 verhaftet und im April 2018 zu 32 Jahren Gefängnis verurteilt. Das Gericht sprach Germain wegen haltloser Vorwürfe wie «Untergrabung der staatlichen Sicherheit» und «Rebellion» schuldig. Im Juli 2020 entschied der Kassationsgerichtshof, dass sein Fall aufgrund des unfairen Prozesses neu verhandelt werden muss. Im Juni 2021 reduzierte ein Berufungsgericht die Haftstrafe auf ein Jahr und Germain konnte das Gefängnis endlich verlassen.
Nassima al-Sada aus Saudi-Arabien
Viele Jahre lang hat sich Nassima al-Sada dafür eingesetzt, dass Frauen in Saudi-Arabien frei leben können. Doch ihr Engagement hat dazu geführt, dass sie ihre eigene Freiheit verloren hat. Sie ist eine von vielen bekannten Aktivistinnen, die gefordert haben, dass Frauen Auto fahren und alltägliche Angelegenheiten ohne Erlaubnis eines männlichen «Vormunds» regeln dürfen.
Die saudi-arabischen Vormundschaftsgesetze schreiben vor, dass Frauen die Erlaubnis eines Mannes benötigen, wenn sie das Haus verlassen oder andere grundlegende Dinge tun wollen. Während diese Gesetze etwas gelockert wurden, sassen die Frauen, die gegen das Vormundschaftssystem gekämpft haben während mehr als zwei Jahren im Gefängnis. «Warum sollte ein minderjähriger Junge der Vormund einer erwachsenen Frau sein?» schrieb Nassima 2016. «Warum gibt es kein Alter, ab welchem eine Frau als erwachsen gilt und die Verantwortung für ihre Entscheidungen und ihr Leben selbst trägt? Warum sollte ein Mann für ihr Leben verantwortlich sein?»
Nassima wurde wegen ihres friedlichen menschenrechtlichen Engagements im Juli 2018 inhaftiert. Im Gefängnis wurde sie gefoltert. Von Februar 2019 bis Februar 2020 war sie allein in einer Zelle eingesperrt, ohne jeglichen Kontakt zu ihren Mitgefangenen. Am 27. Juni 2021 konnte Nassima al-Sada das Gefängnis unter Auflagen, darunter ein Reiseverbot, verlassen. Amnesty International steht ihr weiterhin zur Seite.