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URGENT ACTION Tunesien – Briefaktion / Frist abgelaufen Ex-Minister zu zehn Jahren Haft verurteilt

UA 002/22-3 I Mitmachen bis 1. Februar 2025 I (UA-Update vom: 01.11.2024) I AI-Index: MDE 30/8708/2024
Am 18. Oktober 2024 wurde Noureddine Bhiri, ein ehemaliger Justizminister und führendes Mitglied der Partei Ennahdha, zu zehn Jahren Haft verurteilt. Grundlage der Anschuldigungen gegen ihn ist ein Beitrag in den Sozialen Medien, den er seinen Angaben zufolge nicht geschrieben hat. Noureddine Bhiri wurde auf Grundlage von Paragraf 72 des tunesischen Strafgesetzbuchs beschuldigt, «versucht zu haben, einen Wechsel der Staatsform herbeizuführen und Menschen gegeneinander aufzuhetzen». Er hat bereits 18 Monate in willkürlicher Haft im Gefängnis Mornaguia verbracht und wurde nun allein wegen seiner friedlichen politischen Opposition zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Die tunesischen Behörden müssen Noureddine Bhiri unverzüglich freilassen und das gegen ihn verhängte Urteil aufheben, da seine Inhaftierung allein auf der friedlichen Ausübung seiner Menschenrechte beruht.

Der ehemalige Justizminister und hochrangige Parteifunktionär der Ennahdha, Noureddine Bhiri, ist nach wie vor willkürlich inhaftiert. Die Strafkammer des erstinstanzlichen Gerichts in Tunis hat ihn wegen politisch motivierter und konstruierter Vorwürfe im Zusammenhang mit einem Beitrag in den Sozialen Medien, den er seinen Angaben zufolge nicht geschrieben hat, für schuldig befunden und zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Nach einem von der Anklagebehörde bestellten technischen Gutachten kam ein vom Gericht ernannter Ausschuss zu dem Schluss, dass der Noureddine Bhiri zur Last gelegte Beitrag nicht von ihm verfasst wurde. Doch selbst wenn Noureddine Bhiri der Verfasser des Beitrags gewesen wäre, hätte er gar nicht erst inhaftiert oder strafrechtlich verfolgt werden dürfen. Denn bei dem von Amnesty International überprüften Beitrag handelt es sich um eine Form der freien Meinungsäusserung, die durch internationale Menschenrechtsnormen geschützt ist, einschliesslich Artikel 9 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker und Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, zu deren Vertragsstaaten Tunesien gehört.

Den Rechtsbeiständen von Noureddine Bhiri zufolge war das Urteil Folge eines unfairen Gerichtsverfahrens, das gegen die Rechtsstaatlichkeit und die Verfahrensrechte verstiess. So reichten seine Rechtsbeistände Klage gegen den*die Ermittlungsrichter*in ein, der*die Noureddine Bhiri nach seiner Festnahme befragt und die Verlegung von Noureddine Bhiri ins Krankenhaus trotz erkennbarer Spuren von Schlägen zunächst verweigert hatte. Am 13. Februar hatten Sicherheitskräfte Noureddine Bhiri gewaltsam festgenommen und ihm dabei schwere Schulterverletzungen zugefügt. Er verbrachte mehrere Tage in verschiedenen medizinischen Einrichtungen, wo er unter anderem an der Schulter operiert und wegen gebrochener Rippen und Atemproblemen behandelt wurde. Die Staatsanwaltschaft ignorierte die Folterberichte der Rechtsbeistände von Noureddine Bhiri, darunter auch Berichte über die Verweigerung der medizinischen Versorgung durch den*die Ermittlungsrichter*in.

Noureddine Bhiri ist führendes Mitglied von Ennahda, der grössten tunesischen Oppositionspartei, und ehemaliger Justizminister, der von 2011 bis 2013, nach der Amtsenthebung von Präsident Zine el Abidine Ben Ali und nach den Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung, in der Koalitionsregierung tätig war. Er ist Anwalt und Mitglied der tunesischen Anwaltskammer und war zudem lange Vizepräsident von Ennahda, eine politische Partei, die vor dem 25. Juli 2021 die Mehrheit im Parlament innehatte. Damals wurde die Partei von Präsident Kais Saied unter Berufung auf Notstandsbefugnisse gemäss Artikel 80 der Verfassung suspendiert. Seit der Parlamentsauflösung im Juli 2021 kritisiert die Partei Präsident Saieds Machtkonzentration und bezeichnet diesen Schritt als «Putsch».
Die Behörden nehmen insbesondere Mitglieder von Ennahdha, der grössten tunesischen Oppositionspartei, ins Visier und untersagen der Partei, in ihren Niederlassungen Versammlungen abzuhalten. Sie haben gegen mindestens 21 führende und andere Mitglieder von Ennahdha strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet und mindestens zwölf festgenommen. Am 30. Oktober 2023 verurteilte das Berufungsgericht in Tunis Rached Ghannouchi, den Vorsitzenden von Ennahdha und ehemaligen Sprecher des aufgelösten Parlaments, wegen öffentlicher Bemerkungen unter dem Antiterrorgesetz von 2015 zu 15 Monaten Haft.
Die Festnahme von Noureddine Bhiri am 13. Februar 2023 und seine anschliessende Inhaftierung gehen auf kritische Online-Kommentare zurück, die er nach Angaben der Behörden am 8. Januar 2023 auf seiner privaten Facebook-Seite gepostet hatte. Ungefähr zur selben Zeit fand eine Demonstration statt, die von Mitgliedern der oppositionellen Nationalen Erlösungsfront (NSF) organisiert worden war. Von einem der Rechtsbeistände von Noureddine Bhiri wurde Amnesty International eine Kopie des Facebook-Beitrags zur Verfügung gestellt. In dem Beitrag wird zum «friedlichen Widerstand gegen den Putsch» aufgerufen. Weiter heisst es darin, dass «die Menschen keine Angst vor dem Putsch haben sollten und dass sie Führung brauchen». Noureddine Bhiri bestreitet allerdings, den Beitrag verfasst zu haben. In jedem Fall jedoch stellt der Facebook-Beitrag, der online nicht mehr ver-fügbar ist, eine Form der freien Meinungsäusserung dar, die durch internationale Menschenrechtsnormen geschützt ist.
Noureddine Bhiri ist Diabetiker und leidet seit langem unter Bluthochdruck. Für beide Krankheiten nimmt er normalerweise regelmässig Medikamente ein, die er offenbar derzeit nicht erhält. Internationale Menschenrechtsnormen, insbesondere der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker garantieren allen Menschen die Rechte auf freie Meinungsäusserung, friedliche Versammlung, Vereinigungsfreiheit und Freiheit der Person.
Noureddine Bhiri wurde bereits zuvor willkürlich festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Am 31. Dezember 2021 wurden er und Fathi Beldi, ein ehemaliger Beamter des Innenministeriums, von Männern in Zivil festgenommen und zwei Tage lang an einem unbekannten Ort festgehalten. Anschliessend wurden beide Männer von den Behörden unter Hausarrest gestellt. Am 7. März 2022 hob das Innenministerium den Hausarrest auf. Letztendlich erhoben die tunesischen Behörden keine Anklage gegen die beiden Männer.
Am 25. Juli 2021 löste Präsident Kais Saied das Parlament auf und berief sich dabei auf Notstandsbefugnisse aus der Verfassung von 2014. Mehr als 70 Personen, darunter Oppositionelle, Rechtsbeistände, Journalist*innen und Menschenrechts-verteidiger*innen, waren seit Ende 2022 Gegenstand unfairer Strafverfolgungen und/oder willkürlicher Inhaftierungen. Im Mai 2024 waren mindestens 40 Personen im Zusammenhang mit der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte, einschliesslich der Rechte auf freie Meinungsäusserung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, noch immer willkürlich inhaftiert.
Nach einem Präsidentschaftswahlkampf, der geprägt war von Angriffen auf Journalist*innen, Aktivist*innen und Oppositionelle, forderte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Turk, die tunesische Regierung am 15. Oktober 2024 auf, die Menschenrechte zu respektieren.

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