Grundlage der Anschuldigungen gegen Noureddine Bhiri ist ein Beitrag in den Sozialen Medien, den er seinen Angaben zufolge nicht geschrieben hat. Dies wurde auch von einem*r von der Anklagebehörde bestellten Sachverständigen bestätigt. Seit seiner Festnahme am 13. Februar 2023 befindet sich Noureddine Bhiri im Gefängnis Mornaguia in Untersuchungshaft.
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Der ehemalige Justizminister und hochrangige Parteifunktionär der Ennahdha, Noureddine Bhiri, ist nach wie vor willkürlich inhaftiert. Er wird aktuell unter politisch motivierten Anschuldigungen wegen eines nicht von ihm verfassten Beitrags in den Sozialen Medien festgehalten. Am 13. Februar 2023 nahmen Sicherheitskräfte Noureddine Bhiri ohne offiziellen Haftbefehl in seinem Haus in Tunis gewaltsam fest. Seine ebenfalls anwesende Frau gab an, dass Sicherheitskräfte Noureddine Bhiri geschlagen und ihn dadurch schwer verletzt hätten. Am 15. Februar 2023 musste er ins Charles-Nicolle-Krankenhaus in Tunis gebracht werden, wo er nach einem Amnesty International vorliegenden medizinischen Bericht mehr als vier Stunden an der Schulter operiert wurde. Nach seiner Festnahme litt Noureddine Bhiri auch unter Atemproblemen und musste ins Krankenhaus La Rabta gebracht werden, wo er vier Tage lang, vom 25. Februar bis zum 1. März 2023, auf der Intensivstation verbrachte. Wie aus einem medizinischen Bericht hervorgeht, der ebenfalls Amnesty International vorliegt, wurden dort vier gebrochene Rippen auf seiner linken Körperseite diagnostiziert. Noureddine Bhiri ist Diabetiker und leidet unter hohem Blutdruck. Für beide Krankheiten nimmt er normalerweise regelmässig Medikamente ein. Seine Gesundheit ist in Gefahr.
Am 14. Februar 2023 wurde Noureddine Bhiri einem*r Ermittlungsrichter*in in Tunis vorgeführt und angeklagt, gemäss Paragraf 72 des Strafgesetzbuchs «versucht zu haben, einen Wechsel der Staatsform herbeizuführen; bzw. die Menschen dazu aufzurufen, mit Waffen gegeneinander vorzugehen; bzw. Unruhen, Mord oder Plünderungen auf tunesischem Boden zu provozieren». Die Anschuldigungen stehen im Zusammenhang mit öffentlichen Beiträgen auf Facebook. Bei der Befragung durch den*die Untersuchungsrichter*in bestritt Noureddine Bhiri wiederholt, den Beitrag in den Sozialen Medien verfasst zu haben. Auch ein*e von der Anklagebehörde bestellte*r technische*r Sachverständige*r kam zu dem Schluss, dass der Beitrag nicht vom Angeklagten verfasst wurde. Das Berufungsgericht wies die Rechtsmittel von Noureddine Bhiri zurück. Damit steht er jetzt wegen eines Beitrags in den Sozialen Medien vor Gericht, den er gar nicht verfasst hat. Doch selbst wenn Noureddine Bhiri der Verfasser des Beitrags gewesen wäre, hätte er gar nicht erst inhaftiert oder strafrechtlich verfolgt werden dürfen. Bei dem von Amnesty International überprüften Beitrag handelt es sich um eine Form der freien Meinungsäusserung, die durch internationale Menschenrechtsnormen geschützt ist, einschliesslich Artikel 9 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker und Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, zu deren Vertragsstaaten Tunesien gehört.
Noureddine Bhiri ist führendes Mitglied von Ennahda, der grössten tunesischen Oppositionspartei, und ehemaliger Justizminister, der von 2011 bis 2013, nach der Amtsenthebung von Präsident Zine el Abidine Ben Ali und nach den Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung, in der Koalitionsregierung tätig war. Er ist Anwalt und Mitglied der tunesischen Anwaltskammer und war zudem lange Vizepräsident von Ennahda, eine politische Partei, die vor dem 25. Juli 2021 die Mehrheit im Parlament innehatte. Damals wurde die Partei von Präsident Kais Saied unter Berufung auf Notstandsbefugnisse gemäss Artikel 80 der Verfassung suspendiert. Seit der Parlamentsauflösung im Juli 2021 kritisiert die Partei Präsident Saieds Machtkonzentration und bezeichnet diesen Schritt als «Putsch».
Die Festnahme von Noureddine Bhiri am 13. Februar 2023 und seine anschliessende Inhaftierung gehen auf kritische Online-Kommentare zurück, die er nach Angaben der Behörden am 8. Januar 2023 auf seiner privaten Facebook-Seite gepostet hatte. Ungefähr zur selben Zeit fand eine Demonstration statt, die von Mitgliedern der oppositionellen Nationalen Erlösungsfront (NSF) organisiert worden war. In dem Beitrag ruft Noureddine Bhiri zum «friedlichen Widerstand gegen den Putsch» auf. Weiter heisst es darin, dass «die Menschen keine Angst vor dem Putsch haben sollten und dass sie Führung brauchen». Gemäss internationaler Menschenrechtsnormen fällt der Facebook-Post unter das Recht auf freie Meinungsäusserung. Das Recht auf freie Meinungsäusserung und das Verbot willkürlicher Inhaftierung sind völkerrechtlich verankert, unter anderem im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker, deren Vertragsstaat Tunesien ist.
Noureddine Bhiri wurde bereits zuvor willkürlich festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Am 31. Dezember 2021 wurden er und Fathi Beldi, ein ehemaliger Beamter des Innenministeriums, von Männern in Zivil festgenommen und zwei Tage lang an einem unbekannten Ort festgehalten. Anschliessend wurden beide Männer von den Behörden unter Hausarrest gestellt. Am 7. März 2022 hob das Innenministerium den Hausarrest auf. Letztendlich erhoben die tunesischen Behörden keine offizielle Anklage gegen die beiden Männer.
Am 25. Juli 2021 löste Präsident Kais Saied das Parlament auf und berief sich dabei auf Notstandsbefugnisse aus der Verfassung von 2014. Seither sind gegen mindestens 74 Oppositionelle und andere vermeintliche Gegner*innen des Präsidenten strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Darunter befinden sich mindestens 44 Personen, denen in Verbindung mit der friedlichen Wahrnehmung ihrer Menschenrechte Straftaten vorgeworfen werden.
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