Angesichts fehlender Informationen zur Situation des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny ist Amnesty International zutiefst besorgt. Berichten zufolge sollen sich die Gefängnisbehörden geweigert haben, das Schicksal und den Aufenthaltsort von Alexej Nawalny bekannt zu geben. Bisher verbüsste Alexej Nawalny seine Haftstrafe in der Hochsicherheits-Strafkolonie IK-6 im Gebiet Wladimir 240 km östlich von Moskau. Alexej Nawalny ist nicht nur zu Unrecht inhaftiert, die jeweilige Gefängnisverwaltung unterzieht ihn auch ständig einer immer härteren Behandlung. Seit dem 5. Dezember gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm. Es besteht die Möglichkeit, dass er sich wie angekündigt auf dem Weg in eine andere Strafkolonie befindet. Verlegungen von Häftlingen unterliegen in Russland oftmals der Geheimhaltung, doch die Behörden sind dazu verpflichtet, die entsprechenden Informationen unverzüglich zur Verfügung zu stellen. Amnesty International hat bereits in der Vergangenheit die grausamen und unmenschlichen Praktiken der russischen Behörden bei Gefangenentransporten dokumentiert. In Russland ist die Verlegung von Gefangenen ein mit Menschenrechtsverletzungen einhergehendes Verfahren, das sich über Wochen und in manchen Fällen Monate hinziehen kann. Die Familie und Rechtsbeistände erhalten keine Informationen über das Schicksal und den Aufenthaltsort der Gefangenen, bis sie ihren endgültigen Bestimmungsort erreicht haben. Diese Vorgehensweise kommt dem Verschwindenlassen gleich.
Am 1. Dezember hatten die Behörden eine neue Anklage gegen Aleksej Navalny erhoben, diesmal gemäss Teil 2 des Paragrafen 214 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation («Vandalismus, der durch Hass motiviert oder von einer Gruppe von Personen begangen wird»).
Die Haftbedingungen von Alexej Nawalny kommen Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gleich und haben zu einer ständigen Verschlechterung seines Gesundheitszustands geführt. Es ist bekannt, dass Alexej Nawalny bereits 23 Mal in eine SHIZO-Strafisolationszelle verlegt wurde. In dieser Zelle waren ihm Besuche und Telefonate mit seinen Angehörigen untersagt. Alexej Nawalny hat nach dem Gesetz ein Recht auf Besuche, doch seine Familie darf ihn bereits seit über einem Jahr nicht mehr besuchen. In der Strafzelle ist die Zeit zum Essen auf 12-15 Minuten begrenzt und der Kauf zusätzlicher Lebensmittel im Gefängnisladen nicht möglich. Diese Behandlung gefährdet das Leben und die Gesundheit von Alexej Nawalny, sowohl physisch als auch psychisch. Diese wiederholten Bestrafungen von Alexej Nawalny durch die Gefängnis-behörden sind Vergeltungsmassnahmen für seine legitimen politischen Aktivitäten und seinen zivilgesellschaftlichen Aktivismus. Es ist offensichtlich, dass damit bezweckt wird, seine Bedingungen im Gefängnis noch weiter zu verschärfen – obwohl er gar nicht erst hätte inhaftiert werden dürfen.
Alexej Nawalny ist ein prominenter russischer Oppositionspolitiker, Korruptionsgegner und Kritiker von Präsident Wladimir Putin und der russischen Regierung. Im August 2020 wurde er mit einem später von Expert*innen als das militärische Nervengift Nowitschok identifizierte Mittel vergiftet. Die russischen Behörden gestatteten, dass er noch im Koma zur Behandlung nach Berlin evakuiert wurde.
Nach seiner Genesung kehrte Alexej Nawalny am 17. Januar 2021 nach Moskau zurück und wurde sofort willkürlich festgenommen. Ihm wurde vorgeworfen, gegen die Bewährungsauflagen im Rahmen einer früheren politisch motivierten Verurteilung ohne Freiheitsentzug verstossen zu haben. Diese Bewährungsstrafe wurde am 4. Februar 2021 durch eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten ersetzt. Am 22. März 2022 wurde er wegen weiterer willkürlicher und politisch motivierter Vorwürfe, darunter Betrug, zu weiteren neun Jahren Haft und am 4. August 2023 zu insgesamt 19 Jahren Haft verurteilt, unter anderem wegen Finanzierung und Anstiftung zum «Extremismus» und «Rehabilitierung der Nazi-Ideologie».
Alexej Nawalny wurde in jeder Strafvollzugsanstalt, in der er seit seiner Festnahme untergebracht war, einer harten Behandlung unterzogen. Er verbüsste seine Strafe bisher in der Hochsicherheits-Strafkolonie IK-6 im Gebiet Wladimir, sollte aber nach seinem jüngsten Urteil in eine Strafkolonie mit «Sonderregime» verlegt werden, es sei denn, das Urteil wird im Berufungsverfahren aufgehoben. In der zukünftigen Strafkolonie sollen noch strengere Gefängnisregeln gelten als bisher. Während seiner Haft wurde Alexej Nawalny wiederholt wegen angeblicher Verstösse gegen die Gefängnisregeln in eine Strafzelle gesteckt, darunter 23 Mal in die so genannte SHIZO-Strafisolationszelle, in der er keine Be-suche oder Briefe empfangen durfte, keinen Sport treiben oder draussen spazieren gehen konnte und keine Möglichkeit hatte, im Gefängnisladen zusätzliche Lebensmittel zu kaufen.
Laut den UN-Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen (Mandela-Regeln) handelt es sich um verlängerte Einzelhaft, wenn Gefangene 15 Tage oder länger mindestens 22 Stunden täglich keinen sinnvollen Kontakt mit anderen Gefangenen haben dürfen. Verlängerte Einzelhaft ist ein Verstoss gegen das Verbot von Folter und anderer Misshandlung.
Die gesetzliche Höchstdauer, für die ein Gefangener in SHIZO untergebracht werden kann, liegt in Russland bei 15 Tagen. Alexej Nawalny hatte bis zum 27. September 2023 jedoch bereits zwölf Monate in einer so genannten Einzelstrafzelle (EPKT) verbracht. Die EPKT ist die strengste und längste Form der Disziplinarstrafe für einen Gefangenen und ist Inhaftierten mit «systematischen Verstössen» gegen die Gefängnisregeln vorbehalten. Es ist nicht bekannt, ob Alexej Nawalny während dieser Zeit allein in der Zelle untergebracht war oder sie mit anderen Gefangenen teilte.
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Medienmitteilung 16. Februar 2024:
Gewissensgefangener Alexej Nawalny in Haft gestorben – Amnesty fordert Sonderverfahren der Uno