Für mehr Hintergrundinformationen bitte die Überschrift anklicken:
Die erschreckende Zunahme von willkürlichen Hinrichtungen bei Drogendelikten gibt Anlass zur Sorge: Mehr als die Hälfte aller Hinrichtungen (481) wurden im Zusammenhang mit Drogendelikten vollstreckt, eine Steigerung von 89 Prozent gegenüber 2022 und 264 Prozent gegenüber 2021. Da die iranischen Behörden sich weigern, Statistiken zur Todesstrafe zu veröffentlichen, ist nicht genau bekannt, wie viele weitere Personen bereits zum Tode verurteilt wurden oder wegen Drogendelikten, die die Todesstrafe nach sich ziehen würden, strafrechtlich verfolgt werden. Angesichts öffentlicher Bekanntmachungen wie denen zu landesweiten Festnahmen im Zusammenhang mit Drogendelikten ist jedoch zu befürchten, dass Tausende von Personen zum Tode verurteilt wurden, von der Hinrichtung bedroht sind oder im Zusammenhang mit Drogendelikten, die die Todesstrafe nach sich ziehen würden, strafrechtlich verfolgt werden. Die Angst vor weiteren Hinrichtungen im Zusammenhang mit Drogendelikten hat zugenommen, da die Zahl solcher Hinrichtungen seit dem Amtsantritt von Präsident Ebrahim Raisi im Jahr 2021 eklatant gestiegen ist. Hinzu kommt die jüngste Kritik an den Reformen des Antidrogengesetzes von 2017 – die zu einem Rückgang der Hinrichtungen im Zusammenhang mit Drogendelikten in den Jahren 2018 bis 2020 geführt hatten – durch hochrangige Staatsbedienstete. Im Januar 2024 billigte ein Parlamentsausschuss einen neuen Entwurf zur Reform dieses Gesetzes, der im Falle seiner Verabschiedung die Bandbreite der Drogendelikte, die mit der Todesstrafe geahndet werden, erweitern wird. Internationale Menschenrechtsnormen verbieten die Todesstrafe für Drogendelikte und andere Straftaten, die nicht die Kriterien von «schwersten Verbrechen» erfüllen, d. h. Straftaten, die eine vorsätzliche Tötung beinhalten.
Die Verhängung der Todesstrafe für Drogendelikte wirkt sich unverhältnismässig stark auf arme und marginalisierte Gemeinschaften aus und trägt zu einem Kreislauf aus Armut und Ungerechtigkeit bei, der ihre Diskriminierung weiter verfestigt. Auf die unterdrückte belutschische Minderheit entfielen im Jahr 2023 insgesamt 29 Prozent der Hinrichtungen im Zusammenhang mit Drogendelikten, obwohl sie nur etwa fünf Prozent der iranischen Bevölkerung aus-macht. Diese Hinrichtungen erfolgten häufig im Geheimen, ohne dass die Familien und Rechtsbeistände der betroffenen Personen benachrichtigt wurden. Die für Drogendelikte zuständigen Revolutionsgerichte sind nicht unabhängig, denn sie stehen unter dem Einfluss von Sicherheits- und Geheimdiensten. Personen, die vor solchen Gerichten angeklagt werden, wird systematisch das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren verweigert, einschliesslich des Rechts auf eine angemessene Verteidigung, auf eine angemessene Möglichkeit, die Rechtmässigkeit ihrer Inhaftierung anzufechten, auf die Unschuldsvermutung, auf das Recht, sich nicht selbst zu belasten, auf eine angemessene Überprüfung und auf eine faire und öffentliche Anhörung. Ausserdem stützen sich die Revolutionsgerichte immer wieder auf durch Folter erzwungene «Geständnisse», um Personen schuldig zu sprechen und zum Tode zu verurteilen.
2023 verzeichnete Amnesty International mindestens 853 Hinrichtungen, die iranische Gefängnisse zu Schauplätzen von Massentötungen machten. Mehr als die Hälfte (481) dieser Hinrichtungen stand im Zusammenhang mit Drogendelikten. Die Anwendung der Todesstrafe richtete sich unverhältnismässig stark gegen die unterdrückte belutschische Minderheit im Iran. Von den mindestens 172 Hinrichtungen belutschischer Menschen erfolgten 138 im Zusammenhang mit Drogendelikten. Dies sind 29 Prozent aller Hinrichtungen wegen Drogendelikten im Iran. Die belutschische Minderheit lebt überwiegend in Sistan und Belutschistan, einer Provinz, die angesichts mangelnder Investitionen der Zentralregierung zu den ärmsten und unterentwickeltsten Provinzen im Iran gehört. Die iranischen Behörden haben die eigentlichen Ursachen für die Beteiligung an Drogendelikten, wie wirtschaftliche Benachteiligung oder systemische Marginalisierung, stets vernachlässigt. Hinrichtungen wegen Drogendelikten, insbesondere von Angehörigen der belutschischen Minderheit, erfolgten ausserdem häufig im Geheimen, ohne dass den Familien ein letzter Besuch gestattet wurde. Die Angehörigen erfahren meist erst dann von einer Hinrichtung, wenn sie von den Gefängnisbehörden aufgefordert werden, den Leichnam abzuholen. Nach Angaben von belutschischen Menschenrechtsaktivist*innen haben die Behörden am 30. Juli und am 1. August 2023, im Laufe von nur zwei Tagen, mindestens elf belutschische Männer wegen Drogendelikten heimlich hingerichtet, ohne ihre Familien vorher zu benachrichtigen oder diesen einen letzten Besuch zu gestatten.
Vor dem Jahr 2017 haben die iranischen Behörden jährlich Hunderte von Menschen wegen Drogendelikten hingerichtet. Die weltweite Empörung über die Hinrichtung von 638 Menschen im Jahr 2015 und 328 Menschen im Jahr 2016 wegen Drogendelikten führte im Oktober 2017 zu einer Reform des iranischen Antidrogengesetzes. Diese sah eine höhere Menge an beschlagnahmten Drogen für die Verhängung der obligatorischen Todesstrafe vor. Im Januar 2018 setzte die damalige Oberste Justizautorität im Rahmen der Reformen Hinrichtungen bei Drogendelikten aus und ordnete Überprüfungen für eine mögliche Umwandlung der Todesurteile an. Die Zahl der Hinrichtungen sank daraufhin auf 25 im Jahr 2018, 30 im Jahr 2019 und 23 im Jahr 2020. Angesichts der Übernahme der Präsidentschaft durch Ebrahim Raisi im August 2021 und der anschliessenden Ernennung von Gholamhossein Ejei zur Obersten Justizautorität waren diese Verbesserungen jedoch nur von kurzer Dauer. Seither werden die Reformen von 2017 von den obersten Justizbehörden und Angehörigen der Drogenbekämpfungsbehörde öffentlich kritisiert. Diese Kritik geht einher mit Bemühungen der Exekutive, der Justiz und der Legislative, ein neues Antidrogengesetz zu erlassen, das im Falle seiner Verabschiedung die Bandbreite der beschlagnahmten Drogen erweitern würde, deren Besitz die Todesstrafe nach sich ziehen würde. Im April 2022 gab der Direktor für Rechtsangelegenheiten der Drogenbekämpfungsbehörde, Mohammad Tarahomi, bekannt, dass ein Erlass des Religionsführers des Iran, Ali Khamenei, wonach die «Antidrogengesetze im Parlament aktualisiert und reformiert werden sollen», die Justiz und die Drogenbekämpfungsbehörde veranlasst habe, gemeinsam ein neues Antidrogengesetz mit 115 Paragrafen auszuarbeiten. Im Dezember 2022 legte die Regierung dem Parlament einen fünf Paragrafen umfassenden Gesetzesentwurf vor. Dieser ging auf Anweisungen von Präsident Ebrahim Raisi zurück, einigen Abschnitten des Gesetzes Vorrang einzuräumen, sowie auf seine öffentlichen Aufrufe, den «erbarmungslosen Kampf gegen die Drogen» zu intensivieren. Anfang Januar 2024 hatte der Rechts- und Justizausschuss des Parlaments die allgemeinen Grundsätze des Gesetzes gebilligt. Nach den Massenprotesten der Bewegung «Frauen Leben Freiheit» setzten die iranischen Behörden verstärkt die Todesstrafe als Mittel politischer Unterdrückung ein, um Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen und Schweigen und Gehorsam durch brutale Gewalt zu erzwingen. Die Zahl der Hinrichtungen 2023 ist die höchste seit 2015 und um 48 Prozent höher als 2022 und um 172 Prozent höher als 2021.
Die Anwendung der Todesstrafe bei Drogendelikten und die Verhängung von obligatorischen Todesurteilen verstösst gegen das Völkerrecht und internationale Standards. Artikel 6 Absatz 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, den der Iran ratifiziert hat, sowie Garantie Nr. 1 der UN-Garantien zum Schutz der Rechte von Personen, denen die Todesstrafe droht, die mit der Re-solution 1984/50 des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen angenommen wurden, sehen vor, dass in Ländern, in denen die Todesstrafe noch nicht abgeschafft wurde, die Verhängung der Todesstrafe auf «schwerste Verbrechen» beschränkt werden muss. Dem UN-Menschenrechtsausschuss zufolge zählen als «schwerste Verbrechen» nur Verbrechen, die eine vorsätzliche Tötung beinhalten. Verbrechen, die nicht unmittelbar und vorsätzlich zum Tode führen, darunter Drogendelikte, können, obwohl schwerwiegender Natur, im Rahmen von Artikel 6 niemals zur Verhängung der Todesstrafe herangezogen werden. Die Verhängung der obligatorischen Todesstrafe ist auch nach dem Völkerrecht verboten. Der UN-Menschenrechtsausschuss vertritt den Standpunkt, dass die automatische Anwendung der Todesstrafe eine willkürliche Verletzung des Rechts auf Leben darstellt, wenn die Todesstrafe verhängt wird, ohne die persönlichen Umstände der Angeklagten oder die Umstände der speziellen Verbrechen zu berücksichtigen. Amnesty International hat ausserdem wiederholt den Wirtschafts- und Sozialrat und seine Unterorgane, darunter auch das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), aufgefordert, die Abschaffung der Todesstrafe zu einem integralen Bestandteil aller Programme zur Förderung drogenpolitischer Reformen, zur Verbrechensverhütung und zur Verbesserung der Strafrechtssysteme weltweit zu machen.
Amnesty International lehnt die Todesstrafe grundsätzlich und ohne Ausnahme ab. Sie verletzt das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebene Recht auf Leben und ist die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen. Amnesty International ruft seit langem alle Länder, die an der Todesstrafe festhalten, einschliesslich des Iran, auf, ein Hinrichtungsmoratorium zu erlassen, als ersten Schritt hin zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe.
Werden Sie aktiv:
Die Frist zum Mitmachen ist abgelaufen.
Falls es neue Informationen und/oder weitere Aktionsvorschläge gibt, werden wir diese umgehend hier veröffentlichen.