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URGENT ACTION USA (Texas) – Briefaktion / Abschlussinfo Begnadigung abgelehnt, Ramiro Gonzales hingerichtet

X-FI UA 052/24-1 I Schlussinfo vom 27. Juni 2024 I AI-Index: AMR 51/8218/2024
Ramiro Gonzales ist am 26. Juni im US-Bundesstaat Texas hingerichtet worden. Er war 2006 wegen eines Mordes zum Tode verurteilt worden, den er 2001 im Alter von 18 Jahren begangen hatte, nachdem er in seiner Kindheit Vernachlässigung und Misshandlung erlebt hatte. Die Gerichte schalteten sich nicht ein, um die Hinrichtung zu verhindern, obwohl ein Sachverständiger der Staatsanwaltschaft seine inkorrekte Aussage vor Gericht seither faktisch widerrufen hat, was die Legitimität des Todesurteils infrage stellte.

Am 24. Juni 2024 stimmte der texanische Begnadigungsausschuss mit sieben zu null Stimmen gegen eine Begnadigung von Ramiro Gonzales. Seine Rechtsbeistände versuchten durch das Einlegen von Rechtsmitteln, den Obersten Gerichtshof der USA zu veranlassen, die Frage der «zukünftigen Gefährlichkeit» im Fall ihres Mandanten zu überprüfen. Sie wiesen darauf hin, dass Ramiro Gonzales 2006 zum Tode verurteilt wurde, «nachdem eine Jury prognostiziert hatte, dass er auch im Falle einer Inhaftierung ‚Gewalttaten begehen‘ würde, die ‚eine anhaltende Bedrohung für die Gesellschaft‘ darstellen würden. Doch diese Vorhersage ist nicht eingetreten. In den 18 Jahren, die Mr. Gonzales im Todestrakt verbracht hat, hat er weder kriminelle Gewalttaten noch andere kriminelle Handlungen begangen [...] Das Risiko, geschweige denn die ‚Wahrscheinlichkeit‘, dass Mr. Gonzales ‚kriminelle Gewalttaten begehen würde, die eine anhaltende Bedrohung für die Gesellschaft darstellen‘ würden, ist schlicht nicht mehr gegeben. Da genau dies jedoch nach texanischem Recht eine notwendige Voraussetzung für die Verhängung der Todesstrafe ist, darf er gemäss der bundesstaatlichen Rechtslage nicht hingerichtet werden. Texas weigert sich jedoch, Mr. Gonzales die Möglichkeit zur Überprüfung seines Falls einzuräumen.» Das texanische Berufungsgericht machte geltend, dass die Feststellung der zukünftigen Gefährlichkeit «zum Zeitpunkt der Verhandlung erfolgt und im Rahmen der Rechtsmittelverfahren nicht erneut geprüft wird». Am 26. Juni lehnte es der Oberste Gerichtshof ab, die Hinrichtung zu stoppen.

Eine Woche vor seinem Tod sagte Ramiro Gonzales in einem Interview: «Als ich in die Todeszelle kam und als Gefahr für die Gesellschaft gebrandmarkt wurde, wollte ich mich ändern, um anderen und mir selbst zu helfen [...] Ich glaube, der Staat hat letztlich Angst davor, die Tatsache anzuerkennen, dass wir rehabilitiert werden können und vom Gefängnis aus einen Beitrag zur Gesellschaft leisten können – denn das widerspricht der Art und Weise, wie sie uns verfolgt haben, wie sie uns vor Gericht als Bedrohung für die Gesellschaft abgestempelt haben.»

Ramiro Gonzales wurde mit der Giftspritze hingerichtet und um 18:50 Uhr Ortszeit für tot erklärt. Mit seinen letzten Worten entschuldigte er sich bei der Familie des Opfers: «Ich kann den Schmerz, den ich Ihnen zugefügt habe, das Leid und das, was ich Ihnen genommen habe und nicht zurückgeben kann, nicht in Worte fassen.»

Sein Rechtsbeistand sagte: «Der Mangel an Rüstzeug, Unterstützung bzw. Orientierungshilfen, die viele von uns für selbstverständlich halten, sowie Missbrauch und Vernachlässigung, wie sie die meisten von uns nie erfahren werden, machten Ramiro zu einem einsamen und orientierungslosen Kind und Teenager. Er traf schlechte Entscheidungen. Er versuchte, der Realität durch Drogen zu entkommen. Und er richtete einen nicht wiedergutzumachenden Schaden an [...]». Aber der Ramiro, den der Staat Texas heute Abend getötet hat, war nicht der Ramiro, der diese Verbrechen vor zwanzig Jahren begangen hat. Der Ramiro, der diese Welt verliess, war in jeder Hinsicht ein zutiefst spiritueller, grosszügiger, geduldiger und bewusster Mensch, der voller Reue war und sich von Liebe leiten liess. Er versuchte, in allen Bereichen seines Lebens Liebe zu verbreiten und zu verkörpern, selbst in der Kargheit und Isolation der Todeszelle, in der er die letzten 18 Jahre verbrachte.

In den USA wurden bisher im Jahr 2023 acht Hinrichtungen vollzogen, davon zwei in Texas. Seit 1976 wurden in den USA 1.590 Todesurteile vollstreckt, 588 davon in Texas. Seit 2014 sind in Texas zehn Menschen für Taten hingerichtet worden, die sie im Alter von 18 Jahren begangen hatten.

In Artikel 10(3) des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) heisst es: «Der Strafvollzug schliesst eine Behandlung der Gefangenen ein, die vornehmlich auf ihre Besserung und gesellschaftliche Wiedereingliederung hinzielt.» Der UN-Menschenrechtsausschuss, der die Umsetzung des IPbpR überwacht, sagte: «Artikel 6(6) gibt eindeutig zu verstehen, dass Vertragsstaaten, die die Todesstrafe noch nicht komplett abgeschafft haben, in absehbarer Zeit auf ihre vollständige Abschaffung in Gesetz und Praxis hinarbeiten sollten.» Die USA haben den IPbpR im Jahr 1992 ratifiziert.

Amnesty International lehnt die Todesstrafe grundsätzlich und uneingeschränkt ab.

Vielen Dank allen, die sich für Ramiro Gonzales eingesetzt haben.


 

Ramiro Gonzales (Häftlingsnummer 999513) soll am 26. Juni 2024 im US-Bundesstaat Texas hingerichtet werden. Er war zum Tode verurteilt worden, weil er im Januar 2001 eine 18-jährige Frau vergewaltigt und ermordet hatte. Zum Tatzeitpunkt war er 18 Jahre und zwei Monate alt und hatte eine Kindheit voller Vernachlässigung und Missbrauch hinter sich. Ein*e Neuropsycholog*in sagte damals vor Gericht aus, dass Ramiro Gonzales «sich im Grunde selbst grossgezogen hat» und die emotionale Reife eines 13- oder 14-Jährigen aufwies.

Der Oberste Gerichtshof der USA erklärte im Jahr 1982, dass «junges Alter mehr ist als reine Chronologie. Es ist eine Zeit und ein Zustand im Leben, in dem Menschen am anfälligsten sind für Beeinflussung und negative psychologische Entwicklungen». Als der Oberste Gerichtshof im Jahr 2005 schliesslich ein Hinrichtungsverbot für Menschen unter 18 Jahren verhängte, wies er darauf hin, dass «die Merkmale, die einen Jugendlichen von einem Erwachsenen unterscheiden, am 18. Geburtstag nicht einfach verschwinden». In den vergangenen Jahren hat die neurowissenschaftliche Forschung weitere Nachweise dafür geliefert, dass sich das Gehirn auch über das 20. Lebensjahr hinaus noch weiterentwickelt, so auch die Bereiche des Gehirns, die für Impulskontrolle und vernünftiges Urteilsvermögen zuständig sind.

Bei der Gerichtsverhandlung sagte ein von der Staatsanwaltschaft bestellter Psychiater aus, dass Ramiro Gonzales in Zukunft kriminelle Gewalttaten begehen könnte, dass er eine «antisoziale Persönlichkeitsstörung» aufwies und wenig oder keine Aussicht auf Rehabilitation habe. Er präsentierte den Geschworenen zudem Statistiken über eine sehr hohe Rückfallquote in Fällen sexualisierter Gewalt. Im Jahr 2022 räumte der Psychiater ein, dass diese Statistiken schwere Mängel aufwiesen, und widerrief faktisch seine Aussage. Er räumte ein, dass «Herr Gonzales [zum Tatzeitpunkt] gerade erst 18 geworden war. Seither ist viel Zeit vergangen, und mit zunehmender Reife hat er sich sowohl geistig als auch emotional stark verändert». Seiner Meinung nach «stellt Ramiro Gonzales keine zukünftige Gefahr für die Gesellschaft dar».

Der heute 41-jährige Ramiro Gonzales hat während seiner Zeit im Todestrakt keine einzige Gewalttat begangen. Er hat seine Verbrechen gestanden und Reue gezeigt. Er liest viel, bildet sich weiter und ist ein begabter Künstler.

Seit 1976 wurden in den USA 1.588 Menschen hingerichtet, 587 davon (37%) in Texas. 78 der in Texas exekutierten Personen (13%) waren zum Zeitpunkt der ihnen vorgeworfenen Straftat erst 18 oder 19 Jahre alt. Seit 2014 wurden in Texas neun Menschen für Taten hingerichtet, die sie im Alter von 18 Jahren begangen hatten. Amnesty International lehnt die Todesstrafe grundsätzlich und uneingeschränkt ab.