Tawfik Ghanem befindet sich seit dem 21. Mai 2021 willkürlich in Haft, und dies nur aufgrund seiner legitimen Medienarbeit als ehemaliger Regionaldirektor der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı. Nach der damaligen Festnahme wurde Tawfik Ghanem Opfer des Verschwindenlassens durch die ägyptischen Behörden. Man hielt ihn fünf Tage lang fest und befragte ihn zu seiner Arbeit bei Anadolu Ajansı. An-schliessend wurde der Journalist der Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit (SSSP) in Kairo vorgeführt, die 15 Tage Untersuchungshaft auf der Grundlage von «Verbreitung falscher Nachrichten», «Missbrauch der sozia-len Medien» und «terrorismusbezogener Anklagen» mit dem SSSP-Aktenzeichen 238/2021 anordnete. Seitdem haben die Behörden seine Untersuchungshaft mehrmals verlängert, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, die Rechtmässigkeit seiner Inhaftierung anzufechten. Seine Untersuchungshaft dauert inzwischen mehr als die in Ägypten maximal zulässigen zwei Jahre an.
Seit seiner Festnahme verweigern ihm die Behörden das Recht, einen Rechtsbeistand seiner Wahl zu konsultieren und sich angemessen zu verteidigen. Seit Januar 2022 werden die Sitzungen zur Verlängerung der Untersuchungshaft online abgehalten, wobei sein Anwalt im Gerichtssaal anwesend ist und Tawfik Ghanem per Video und in Anwesenheit von Gefängniswärtern aus dem Gefängnis zugeschaltet wird. Selbst als er vor Januar 2022 zur Anhörung über die Verlängerung seiner Haft vor Gericht gebracht wurde, konnte er seinen Anwalt nicht unter vier Augen sprechen, da er entweder in einem überfüllten Wartebereich mit anderen Gefangenen oder in einem Glaskäfig im Gerichtssaal festgehalten wurde.
Tawfik Ghanem wird inzwischen im Gefängnis Badr 1 etwa 70 km nordöstlich von Kairo festgehalten und hat keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung. Nach Angaben seiner Familie hat er seit seiner Festnahme etwa 20 Kilogramm abgenommen und leidet an mehreren altersbedingten Krankheiten, da-runter Diabetes und eine vergrösserte Prostata. Vor seiner Festnahme wurde bei ihm eine seltene und schmerzhafte Knochenkrankheit diagnostiziert. Die Krankheit greift die Gelenke an und erfordert regelmässige Physiotherapie, die im Gefängnis nicht angeboten wird. Ausserdem leidet er an einer Hautkrankheit und -reizung. Trotzdem haben die Gefängnisbehörden seiner Familie mehrfach untersagt, ihm die benötigten Medikamente und andere notwendige Dinge wie medizinische Seife zu bringen. Um überhaupt eine Behandlung zu erhalten, ist er gezwungen, sich hauptsächlich auf den Rat der mit ihm inhaftierten Ärzte zu verlassen. Bislang wurde er weder innerhalb noch ausserhalb des Gefängnisses in einem Krankenhaus behandelt, obwohl seine Familie mehrfach darum gebeten hatte – sogar auf eigene Kosten –, um eine angemessene Diagnose und Behandlung sicherzustellen.
Nach seiner ersten Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit (SSSP) im Mai 2021 wurde Tawfik Ghanem in das Tora-Untersuchungsgefängnis verlegt, wo er bis Dezember 2021 blieb. Seinen Angehörigen zufolge verweigerten ihm die dortigen Gefängnisbehörden ein Bett, und er musste trotz seiner Knochenkrankheit auf zwei Decken auf dem Boden schlafen. Seine Haftbedingungen verschlechterten sich weiter, als er im Dezember 2021 in das Gefängnis Abou Zaabal verlegt wurde, in dem er zwei Jahre lang inhaftiert blieb. Nach seiner Verlegung untersagten die Behörden ihm etwa zwölf Monate lang den Zugang zu Büchern und Zeitungen und schränkten die Besuche seiner Familie stark ein. Während seines zweiten Jahres in Abu Zaabal verbesserte sich die Situation zwar, doch hatte er während seiner gesamten Haftzeit dort keinen direkten Zugang zu Tageslicht und konnte sich nur in einem Innenbereich bewegen.
Seit dem 1. Januar 2024 wird er im Gefängnis Badr 1 in einer Zelle mit acht anderen Personen täglich 23 Stunden eingesperrt und darf die Zelle nur für eine Stunde Bewegung pro Tag verlassen. Die Zelle hat keinen Ventilator, wodurch es in den Sommermonaten darin unerträglich heiss ist. An Feiertagen bleibt die Zelle 24 Stunden am Tag geschlossen. Seine Familie darf ihn einmal im Monat besuchen. Seinen Angehörigen zufolge werden ihm und anderen Gefangenen, die aus politischen Gründen inhaftiert sind, von der Gefängnis-verwaltung gelegentlich grundlegende Dinge wie Bücher, Zeitungen, Stifte und Hygieneartikel vorenthalten. Angehörige dürfen ihren inhaftierten Familienmitgliedern auch keine persönlichen Gegenstände wie Kleidung mitbringen.
Amnesty International hat von anderen Menschenrechtsorganisationen und weiteren informierten Quellen erfahren, dass sich eine grosse, nicht genau bekannte Anzahl von Gefangenen (mindestens Dutzende) im Gefängnis Badr 1 seit Anfang Juni im Hungerstreik befinden, um gegen ihre grausamen und unmenschlichen Haftbedingungen zu protestieren. Ausgelöst wurde der Hungerstreik offenbar durch den starken Anstieg der Temperaturen auf über 40 °C, die Weigerung der Gefängnisbehörden, den Gefangenen Ventilatoren zur Verfügung zu stellen, und die von der Regierung als Reaktion auf die Energiekrise landesweit eingeführten täglichen Stromabschaltungen. Die Häftlinge protestieren auch gegen den fehlenden Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung und gegen die von ihnen und ägyptischen Menschenrechtsaktivisten als erniedrigend empfundenen Leibesvisitationen, die von den Gefängnisbeamten durchgeführt werden, wenn die Häftlinge ihre Zellen verlassen, um beispiels-weise an einer Sitzung zur Verlängerung der Untersuchungshaft teilzunehmen oder die Gefängnisklinik aufzusuchen. Weitere häufig genannte Beschwerden betreffen die Misshandlung von Familienangehörigen bei Gefängnisbesuchen, einschliesslich der Tatsache, dass sie gezwungen werden, stundenlang in der Sonne zu warten, die Kürzung der Zeit für Aktivitäten, die den Gefangenen ausserhalb der Zelle zugestanden wird, sowie die Einschränkung von Familienbesuchen. Einige der Hungerstreikenden protestieren auch gegen ihre lange Untersuchungshaft, die in manchen Fällen die nach ägyptischem Recht zulässige Höchstdauer von zwei Jahren überschritten hat. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen haben die Verantwortlichen des Gefängnisses Badr 1 als Reaktion auf den Hungerstreik zusätzliche Strafmassnahmen ergriffen und etwa 50 Gefangene in weiter entfernte Gefängnisse im Gouvernement al-Minya (etwa 280 km südlich von Kairo) und im Gouvernement al-Wadi al-Jadid (etwa 620 km südwestlich von Kairo) verlegt. Aktivist*innen zufolge verhängten die Gefängnisbehörden Strafmassnahmen gegen die verbleibenden Gefangenen im Gefängnis Badr 1, die an dem Hungerstreik beteiligt waren oder ihn unterstützten, und schnitten ihnen absichtlich den Zugang zu Strom und Wasser ab, was einen Verstoss gegen das absolute Verbot von Folter und anderen Misshandlungen darstellt. Amnesty International geht davon aus, dass sich Tawfik Ghanem aufgrund seines Diabetes nicht im Hungerstreik befindet.
Seit 2016 nehmen die ägyptischen Behörden zunehmend Einfluss auf die Medienlandschaft und verstärken ihr Vorgehen gegen Journalist*innen, die es wagen, von der Regierungsmeinung abzuweichen. Seitdem haben die Behörden Dutzende von Journalist*innen und anderen Medienschaffenden, die kritische Ansichten geäussert hatten, willkürlich festgenommen und inhaftiert, wegen vermeintlicher Terrorismusvorwürfe strafrechtlich verfolgt oder aus ihrer Funktion entlassen. Die Sicherheitskräfte führen Razzien bei den wenigen verbliebenen unabhängigen Online-Medienplattformen in Ägypten durch und haben bereits Hunderte von Websites gesperrt. Mit der Verabschiedung drakonischer Medien- und Internetgesetze im Jahr 2018 wurden den Behörden weitere weitreichende Befugnisse eingeräumt. So können sie Medieninhalte regulieren, die freie Meinungsäusserung von Journalist*innen einschränken und wegen kritischer Inhalte im Internet Haftstrafen verhängen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Urgent Action befanden sich noch mindestens 14 Journalist*innen in Haft, nachdem sie wegen «Verbreitung falscher Nachrichten», Zugehörigkeit zu einer «terroristischen» Gruppe oder «Missbrauch Sozialer Medien» verurteilt worden waren oder gegen sie ermittelt wurde. Die Behörden blockieren weiterhin mindestens 600 Websites, die Nachrichten oder Informationen zu Menschenrechten und anderen Themen enthalten. Im Jahr 2023 sperrten die Behörden die Website der NGO Cairo Institute for Human Rights Studies sowie die Nachrichtenseiten von Soulta 4 und Masr 360. Mitarbeiter*innen von Mada Masr, einer unabhängigen Medienplattform, sehen sich weiterhin politisch motivierter Verfolgung und Ermittlungen ausgesetzt, unter anderem im Zusammenhang mit der Veröffentlichung eines investigativen Berichts über den Grenzübergang Rafah im Oktober 2023. Unter den 820 Personen, die im Jahr 2023 ohne ordnungsgemässes Verfahren auf die «Terrorliste» der Regierung gesetzt wurden, befinden sich auch Journalist*innen, denen so die bürgerlichen und politischen Rechte vorenthalten werden.
In seiner beruflichen Laufbahn als Journalist hat Tawfik Ghanem mehrere Medienorganisationen geleitet, darunter Media International, die zehn Jahre lang die Website Islam Online betrieb. Sein letzter Posten bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2015 war der des Regionaldirektors der Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı in Kairo.
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