Die Menschenrechtsanwältin Hoda Abdelmoniem wird seit mehr als fünf Jahren aufgrund ihrer Menschenrechtsarbeit willkürlich festgehalten. Am 31. Oktober 2023 sollte Hoda Abdelmoniem, die am 1. November 2018 festgenommen wurde, nach Verbüssung ihrer ungerechtfertigten fünfjährigen Haftstrafe freigelassen wer-den. Die Haftstrafe war von einem Staatssicherheitsgericht (ESSC) verhängt worden, das sie in einem äusserst unfairen Prozess im März 2023 wegen Terrorismusvorwürfen und anderer falscher Anschuldigungen schuldig gesprochen hatte. Stattdessen wurde sie noch am selben Tag, dem 31. Oktober 2023, einem Staatsanwalt der Staatssicherheit (SSSP) vorgeführt, der sie im Zusammenhang mit einem separaten Fall Nr. 730 aus dem Jahr 2020 verhörte und eine 15-tägige Untersuchungshaft anordnete, bis die Ermittlungen zu den fingierten Terrorismusvorwürfen abgeschlossen sind. Diese gemeinhin als «Rotation» bezeichnete Praxis bedeutet, dass Personen, die aus politischen Gründen inhaftiert sind, in neuen Fällen ähnlicher Anschuldigungen beschuldigt werden, um sie auf unbestimmte Zeit in Haft zu halten, selbst wenn die Staatsanwaltschaft oder ein Gericht ihre Freilassung anordnen oder sie ihre Strafe bereits verbüsst haben. Am 9. Januar 2024 wurde die Untersuchungshaft von Hoda Abdelmoniem erneut um 15 Tage verlängert.
Am 4. Januar 2024 besuchte ihre Familie sie im Gefängnis der Stadt Al-Ashir min Ramadān und erfuhr, dass bei ihr eine Ohrenentzündung diagnostiziert worden war, die ihren Gleichgewichtssinn und ihr Sehvermögen beeinträchtigt. Dies war das erste Mal seit dem 8. Juni 2023, dass die Behörden ihr einen Familienbesuch erlaubten. Hoda Abdelmoniems Gesundheitszustand hat sich während ihrer Inhaftierung immer weiter verschlechtert. Sie hat eine Nervenentzündung (periphere Neuropathie) entwickelt, die ihr starke Schmerzen, Taubheit und das Gefühl elektrischer Ströme in verschiedenen Teilen ihres Körpers verursacht. Sie leidet an mehreren anderen Krankheiten, darunter einem Herzleiden, einer Nierenerkrankung, einer arteriellen Thrombose und Bluthochdruck. Während sie ihrer Familie mitteilte, dass sich ihr Zugang zur medizinischen Versorgung im Gefängnis seit ihrer Verlegung aus dem Qanater-Gefängnis in das Gefängnis der Stadt Al-Ashir min Ramadān im Juni 2023 verbessert hat, verweigern die Gefängnisbehörden ihren Angehörigen weiterhin den Zugang zu ihren medizinischen Unterlagen, der es ihnen ermöglicht hätte, unabhängige medizinische Fachkräfte zu konsultieren. Die Behörden weigern sich auch weiterhin, Hoda Abdelmoniem für eine spezialisierte medizinische Versorgung in ein Krankenhaus ausserhalb des Gefängnisses zu verlegen.
Hoda Abdelmoniem engagierte sich ehrenamtlich als Rechtsberaterin bei der Menschenrechtsorganisation Egyptian Coordination for Rights and Freedoms (ECRF). Sie hat in den vergangenen Jahren Menschen-rechtsverletzungen im Land dokumentiert, darunter auch Fälle des Verschwindenlassens. Des Weiteren ist Hoda Abdelmoniem ein ehemaliges Mitglied des nationalen Menschenrechtsrats und der Anwaltskammer von Ägypten. Am 27. November 2020 verlieh der Rat der Anwaltschaften der Europäischen Gemeinschaft (Council of Bars and Law Societies of Europe – CCBE) seinen Menschenrechtspreis an Hoda Abdelmoniem und sechs weitere in Ägypten inhaftierte Anwält*innen.
Am 1. November 2018 um 1:30 Uhr morgens drangen Sicherheitskräfte unbefugt in die Wohnung von Hoda Abdelmoniem in Kairo ein und durchsuchten sie. Danach verbanden sie der Anwältin die Augen und fuhren gemeinsam mit ihr zum Haus ihrer Mutter. Daraufhin wurde sie drei Wochen lang Opfer des Verschwindenlassens, bis sie zum Verhör vor die Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit (SSSP) gebracht wurde. Anschliessend brachte man sie wieder an einen unbekannten Ort. Am 24. und 28. November 2018 fanden im SSSP-Büro Treffen zwischen Hoda Abdelmoniem und ihrer Familie statt. Vom 2. Dezember 2018 bis zum 14. Januar 2019 wussten ihre Angehörigen und Rechtsbeistände jedoch wieder nichts über ihr Schicksal und ihren Ver-bleib. Am 1. November 2018, dem Tag der Festnahme von Hoda Abdelmoniem, begannen die ägyptischen Behörden eine Serie von Durchsuchungen und nahmen mindestens 31 Menschenrechtsverteidiger_innen fest – zehn Frauen und 21 Männer. Die Menschenrechtsorganisation ECRF, die das Verschwindenlassen von Personen und die zunehmende Anwendung der Todesstrafe dokumentiert sowie Opfern von Menschenrechtsverletzungen Rechtshilfe leistet, ist vom harten Vorgehen der Behörden besonders betroffen, da viele ihrer Mit-glieder festgenommen wurden. In einer am 1. November 2018 veröffentlichten Erklärung kündigte die ECRF die Aussetzung ihrer Menschenrechtsarbeit an. Die Organisation bezeichnete die Situation in Ägypten als unvereinbar mit jeglicher Form der Menschenrechtsarbeit und forderte den UN-Menschenrechtsrat auf einzuschreiten.
Am 30. November 2020 erfuhr ihre Familie von Verwandten anderer Gefangener, dass Hoda Abdelmoinem wegen starker Schmerzen zunächst auf die Krankenstation des Gefängnisses gebracht und dann in ein externes Krankenhaus eingeliefert worden war. Ihre Familienangehörigen haben keinen Zugang zu ihrer Krankenakte und haben daher keine konkreten Informationen über den Gesundheitszustand der Menschenrechtsanwältin. Von den Familien anderer Insassinnen haben sie jedoch erfahren, dass eine Niere von Hoda Abdelmoinem versagt habe und die andere Niere nur noch schlecht arbeite. Am 1. Dezember 2020 erklärte hingegen das Innenministerium, dass Hoda Abdelmoinem angemessen medizinisch versorgt worden sei und sie keine schweren gesundheitlichen Probleme habe. Bei einer Gerichtsanhörung am 11. Oktober 2021 sagte Hoda Abdelmoniem den Richter*innen, dass ihr im Gefängnis eine Herzkatheteruntersuchung verschrieben wurde und dass eine*r der Mediziner*innen ihre Freilassung aus medizinischen Gründen beantragt habe.
Am 23. August 2021 wurde Hoda Abdelmoniem zusammen mit dem Menschenrechtsverteidiger und Gründer der ECRF, Ezzat Ghoniem, mit Aisha al-Shater, der Tochter von Shairat al-Shater, einem führenden Mitglied der Muslimbruderschaft, und dem Rechtsanwalt Mohamed Abu Horira sowie 27 weiteren Angeklagten vor ein Notstandsgericht (ESSC) gestellt. Die Vorwürfe gegen sie lauteten unter anderem «Mitgliedschaft in einer terroristischen Gruppe» (der Muslimbruderschaft), «Verbreitung von Falschnachrichten» über Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte über eine Facebook-Seite, «Finanzierung einer terroristischen Vereinigung» und Besitz von Flugblättern zur Förderung der Ziele der terroristischen Vereinigung. Am 5. März 2023 verurteilte ein Notstandsgericht 30 Angeklagte zu Haftstrafen zwischen fünf Jahren und lebenslänglich. Eine Angeklagte wurde freigesprochen. Das Gericht entschied ausserdem, die 30 verurteilten Angeklagten auf die «Terrorismusliste» zu setzen, was zur Folge hat, dass ihre Vermögenswerte eingefroren werden, sie Reiseverboten unterliegen, und sie noch fünf Jahre nach ihrer Entlassung unter Bewährung stehen. Hoda Abdelmoniem wurde wegen Mitgliedschaft, Finanzierung und Unterstützung einer «terroristischen Vereinigung» und anderer fingierter Anschuldigungen im Zusammenhang mit ihrer Menschenrechtsarbeit zu fünf Jahren Haft verurteilt, auf die «Terrorismusliste» gesetzt. Ihr wie auch den anderen 30 Angeklagten wurde das Recht auf eine angemessene Verteidigung, das Recht, sich nicht selbst zu belasten, und das Recht auf eine echte Überprüfung durch ein höheres Gericht verweigert. Vor Notstandsgerichten verhängte Urteile sind nicht anfechtbar. Nur der Präsident ist befugt, Urteile zu genehmigen, aufzuheben oder umzuwandeln oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens anzuordnen.
Am 8. Juni 2023 erfuhr die Familie von Hoda Abdelmoniem, dass sie aus dem Frauengefängnis Al-Qanater in das Gefängnis der Stadt Al-Ashir min Ramadān verlegt worden war, und konnte sie dort erstmals seit August 2022 wieder besuchen. Hoda Abdelmoniem sagte ihrer Familie, dass man ihr im Frauengefängnis Al-Qanater vor der Verlegung alle Habseligkeiten weggenommen habe, auch Medikamente und ein Radio. Ohne das Radio kann sie keine Nachrichten mehr hören.
Am 25. Oktober 2021 kündigte Präsident Abdel Fattah al-Sisi an, dass er den seit 2017 geltenden Ausnahmezustand nicht verlängern werde. Durch diesen Ausnahmezustand war die Einrichtung der Staatssicherheitsgerichte (ESSC) erst möglich geworden. Paragraf 19 des Gesetzes über den Ausnahmezustand sieht vor, dass laufende Verfahren auch nach der Aufhebung des Ausnahmezustands fortgesetzt werden können. Zu den Verstössen gegen das Recht auf ein faires Verfahren gehören das Recht auf angemessene Zeit und Einrichtungen für die Vorbereitung der Verteidigung, das Recht auf Kommunikation mit einem Rechtsbeistand eigener Wahl und das Recht auf eine öffentliche Anhörung. Darüber hinaus lehnen die Richter am ESSC routinemässig Anträge von Rechtsbeiständen auf Fotokopien von Fallakten ab, die in einigen Fällen mehr als 2.000 Seiten umfassen, und weisen sie stattdessen an, diese im Gericht einzusehen.
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