Favelas in Rio de Janeiro  © Giuseppe Bizzarri / Demotix
Favelas in Rio de Janeiro © Giuseppe Bizzarri / Demotix

Slums: Menschenrechte gelten auch hier

Die Zahl der Menschen, die in Slums wohnen, nimmt auf der ganzen Welt mit alarmierender Geschwindigkeit zu. Gewissen Schätzungen zufolge werden bis zum Jahre 2030 zwei Milliarden Menschen in Slums wohnen. In ländlichen Regionen wird immer weniger investiert, immer häufiger kommt es zu Konflikten, Naturkatastrophen und Zwangsräumungen. Zudem wird immer mehr Boden an Unternehmen verkauft, was die Betroffenen dazu zwingt, in die Nähe von Städten zu ziehen, wo es kaum bezahlbaren Wohnraum gibt.

Täglich werden die Rechte dieser Menschen auf angemessenen Wohnraum, auf Zugang zu sauberem Wasser, zu sanitären Einrichtungen, zu Gesundheitszentren und Schulen mit Füssen getreten. Zwangsräumungen sind eine ständige Bedrohung, ebenso wie die Gewalt seitens der Polizei und krimineller Banden. SlumbewohnerInnen werden in mehrfacher Hinsicht diskriminiert und von der Gesellschaft mit Drogenabhängigen und Kriminellen gleichgesetzt. Sie haben keinen Zugang zum Justizsystem und keine Mitsprachemöglichkeiten, um sich für eine Verbesserung ihrer Situation einzusetzen.

Grundlegende Rechte systematisch mit Füssen getreten: Auch in Europa

Diese Probleme betreffen nicht nur Entwicklungs- oder Schwellenländer. Missachtung von Rechten, Unsicherheit, Marginalisierung, Ausgrenzung und fehlende Mitsprache sind auch in europäischen Städten wie Mailand, Paris oder Genf, in Armenvierteln in den USA oder in Reservaten in Kanada und Australien keine Seltenheit. In Italien haben viele Roma Gemeinschaften keinen Zugang zum Gesundheitssystem und anderen sozialen Einrichtungen, da sie nicht in vom Staat anerkannten Siedlungen wohnen. Zahlreiche Roma Camps wurden in den letzten Jahren zerstört und ihre Bewohner, welche oft aufgrund von Stereotypen Opfer von Diskriminierung sind, gewaltsam vertrieben.

Fehlende Sicherheit und Zwangsräumugen

SlumbewohnerInnen leben in ständiger Unsicherheit und sind oft Opfer von Zwangsräumungen. Viele haben zudem keine Dokumente, die ihnen eine Unterkunft sichern, was das Risiko erhöht, aus ihren Behausungen vertrieben zu werden. Regierungen führen immer häufiger von Gewalt begleitete Massenvertreibungen durch, um Slumgebiete zu verstädtern. Anstelle der informellen Siedlungen entstehen städtische Bauten und nationale Grossprojekte wie beispielsweise Stadien für internationale Sportveranstaltungen in Indien oder Freizeitzentren in Nigeria. Betroffen sind immer die Ärmsten. Die wohlhabenden Bevölkerungsschichten sind nur selten von Zwangsräumungen und nie von Massenvertreibungen betroffen.

Zwangsräumungen haben oft katastrophale Auswirkungen, insbesondere für Menschen, die mehrmals davon betroffen sind. Neben dem Verlust ihrer Unterkunft und ihrem ganzen Besitz, kommt der Verlust des sozialen Netzes, der Arbeit und des Zugangs zu, wenn auch nur spärlicher, Einrichtungen und Dienstleistungen wie Schulen und Gesundheitszentren hinzu. Die Lebensbedingungen sind nach einer Zwangsräumung meist schlimmer als zuvor.

Fehlende oder überteuerte Dienstleistungen

Für die Behörden sind Slums Gebiete, in denen keine Gesetze gelten. Vorschriften zur Kontrolle der Wohnqualität finden nur selten Anwendung. Dies hat zur Folge, dass SlumbewohnerInnen proportional gesehen höhere Mieten bezahlen als diejenigen in den Stadtquartieren. Das Gleiche gilt für den Zugang zu sauberem Wasser und zu Elektrizität. Beides wird häufig von der Stadtverwaltung nicht zur Verfügung gestellt und muss teuer von Privatlieferanten bezogen werden. Der Slum von Kibera in Nairobi, Kenia, ist von einem Kanalsystem durchzogen. Die BewohnerInnen sind jedoch gezwungen ihr Wasser bei Unternehmern zu beziehen, welche es zu einem Preis verkaufen, der bis zu 30-mal so hoch ist wie normal. Zudem sind Gesundheit und Bildung durch fehlende oder schlechte Einrichtungen massiv beeinträchtigt. Das Ausmass an Mangelernährung und die Höhe der Kindersterblichkeitsrate in den Slums der Entwicklungsländer sind vergleichbar mit der Situation in ländlichen Gebieten.

Frauen besonders betroffen

Frauen sind in informellen Siedlungen besonderen Gefahren ausgesetzt. Ungenügende Infrastruktur wie schwache oder nicht vorhandene Strassenbeleuchtung, grosse Distanzen zum Wasserholen oder Einkaufen sowie fehlende Polizeipräsenz führen in den Slums zu einem höheren Risiko, Opfer von Gewalt und sexuellen Übergriffen zu werden. Zudem werden Klagen über häusliche Gewalt von der Polizei oft nicht ernst genommen. Amnesty International hat in Brasilien einige Interviews mit Betroffenen geführt, die über Schwierigkeiten beim Versuch, sich aufgrund häuslicher Gewalt bei der Polizei Gehör zu verschaffen, berichten. In den Gebieten, in denen es nur wenige sanitäre Einrichtungen gibt, müssen Frauen an versteckten Orten oder bei Einbruch der Dunkelheit ihre Notdurft verrichten, um beim Toilettengang ein wenig Intimsphäre zu haben. Genau dies erhöht jedoch das Risiko von gewaltsamen Übergriffen oder sexueller Belästigung.

Werden Sie aktiv!

Amnesty International fordert die Regierungen dazu auf:

  • alles dafür zu tun, wenn nötig auch völkerrechtskonforme Gesetze zu erlassen, um Zwangsräumungen zu verhindern und ihnen somit endgültig ein Ende zu setzen
  • den SlumbewohnerInnen den gleichen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen zu gewähren wie dem Rest der Bevölkerung
  • den SlumbewohnerInnen die Möglichkeit zu geben, an allen Projekten mitzuwirken, mittels derer eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen angestrebt wird.