Weltweit waren 2020 82,8 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung (UNHCR Global Trends Report 2020) – so viele wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr und wiederum 2,9 Millionen mehr als im Vorjahr. Die Millionen Flüchtlinge, die Hunger, Naturkatastrophen und wirtschaftlichem Elend entkommen wollen, sind dabei noch gar nicht mitgezählt. 2021 dürfte sich die Lage tendenziell verschärft haben; neue Zahlen legt das UNHCR voraussichtlich Ende Juni 2021 vor.
... und in der Schweiz
Hohe Schutzquote
Schweiz unattraktiv
Anwendung der Dublin Verordnung im 2021
Wichtigste Herkunftsländer
Afghanistan
Eritrea
Türkei
Syrien
Äthiopien
Flüchtlinge weltweit...
2020 ist das neunte Jahr in Folge, in dem die Zahl der weltweit zur Flucht gezwungenen Menschen gestiegen ist. Heute ist ein Prozent der Weltbevölkerung vertrieben, und es gibt doppelt so viele gewaltsam vertriebene Menschen wie 2011. Die Mehrheit der 82,8 Millionen Geflüchteten wurde in anderen Regionen ihres Herkunftslandes aufgenommen (Intern Vertriebene). Von den 34,4 Millionen Menschen, die ihr Heimatland verlassen mussten, wurden (86%) – fast neun von zehn Geflüchteten, von Ländern aufgenommen, die an Krisen- und Kriegsgebiete grenzen und Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind. Mehr als zwei Drittel aller Menschen, die aus ihrem Herkunftsland geflohen sind, kamen aus nur fünf Ländern: Syrien (6,7 Millionen), Venezuela (4,0 Millionen), Afghanistan (2,6 Millionen), Südsudan (2,2 Millionen) und Myanmar (1,1 Millionen). In absoluten Zahlen hat die Türkei (im siebten Jahr in Folge) mit rund 3,7 Millionen Menschen am meisten Geflüchteten Zuflucht geboten, gefolgt von Kolumbien (1,7 Millionen), Pakistan (1.4 Millionen), Uganda (1,4 Millionen) und Deutschland (1,2 Millionen).
Gemäss dem Staatssekretariat für Migration (SEM) wurden 2021 in Europa etwa 650'000 Asylgesuche gestellt. Dies entspricht den Zahlen von 2018 (650’500). Gegenüber dem Jahr 2020 (498’500) bedeutet dies eine Zunahme um rund 30,4 %, die auf den weitgehenden Wegfall der Reisebeschränkungen zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie zurückzuführen sind. Die Zahl der monatlich in Europa gestellten Asylgesuche stieg seit Frühsommer 2021 wieder kontinuierlich an und erreichte im August den Bereich des Jahres 2018 und 2019.
Von diesen Asylgesuchen wurden nur rund 2% in der Schweiz eingereicht. Die Schweiz leistet somit im europäischen Kontext einen geringen Beitrag zum Schutz von Geflüchteten, während die Lage der Geflüchteten an den europäischen Aussengrenzen immer prekärer wird und die Geflüchteten auf den Fluchtrouten vermehrt illegalen Push-Backs, Gewalt, Abschiebungen und Inhaftierungen ausgesetzt sind:
- In Bosnien-Herzegowina harrten im Januar 2021 etwa 2500 Migrantinnen, Migranten und Asylsuchende in eisiger Kälte aus. Darunter waren 900 Menschen, die im behelfsmässigen Lager in Lipa untergebracht waren. Die bosnischen Behörden stellen ihnen keine angemessene Unterkunft zur Verfügung und die EU-Agenturen setzen auch weiterhin nur auf kurzfristige Lösungen.
- Die Situation der Flüchtlinge in Griechenland ist nach wie vor katastrophal. Amnesty International und #evakuierenJETZT forderten den Bundesrat im März 2021 (leider erfolglos) auf, den Dialog mit den Städten, Gemeinden und Kirchengemeinden aufzunehmen, die ihre Bereitschaft signalisieren, Flüchtlinge von den Ägäischen Inseln aufzunehmen.
- Zahlreiche Personen, darunter auch Kinder, wurden im Mai 2021 nach der Grenzöffnung durch Marokko von spanischen Sicherheitskräften und der Armee angegriffen und zum Teil sogar ins Meer geworfen.
- Im am 23. Juni 2021 veröffentlichten Bericht von Amnesty International wurde aufgedeckt, wie die griechische Grenzpolizei Menschen auf der Flucht selbst Hunderte Kilometer entfernt von der Grenze gewaltsam aufgreift und in die Türkei abschiebt. Amnesty International fordert angesichts der völkerrechtswidrigen Push-Backs die EU-Grenzschutzagentur Frontex auf, ihre Operationen in Griechenland auszusetzen oder sich ganz aus dem Land zurückzuziehen.
- Mit dem Abzug der NATO-Truppen und dem Vormarsch der Taliban drohte sich die prekäre Sicherheits- und Menschenrechtslage in Afghanistan im Sommer 2021 weiter zu verschlimmern. Trotz der schwierigen Sicherheitssituation in Afghanistan haben die Schweizer Behörden Wegweisungen von afghanischen Asylsuchenden in die Städte Kabul, Herat und Mazar-i-Sharif unter bestimmten Bedingungen lange Zeit für zumutbar gehalten. Am 11. August hat das SEM (Staatssekretariat für Migration) den Vollzug von Wegweisungen nach Afghanistan schliesslich ausgesetzt. Trotz der Machtübernahme der Taliban und einer Petition von verschieden Organisationen, wollte der Bundesrat aber keine grössere Gruppe von afghanischen Geflüchteten aufnehmen. Hinzu kommt, dass Afghan*innen auf der Flucht oft bereits von Nachbarstaaten die Einreise verwehrt bleibt. In Europa und Zentralasien greifen zahlreiche Länder auf rechtswidrige Push-Backs, Inhaftierungen und Abschiebungen zurück.
- Drei Geflüchtete im Alter von 15, 16 und 19 Jahren wollten sich selbst und über hundert Mitmenschen in Sicherheit vor Folter und anderen Misshandlungen in Libyen bringen. Nachdem ihr Boot auf hoher See gekentert war, wurden sie vom Öltanker «El Hiblu 1» gerettet. Dank der Vermittlung der drei Jugendlichen brachte dieser die Geretteten nicht zurück nach Libyen, sondern nach Europa. Doch kurz vor der Ankunft in Malta wurden die «El Hiblu 3» genannten Teenager festgenommen. Der Vorwurf: Sie hätten das Schiff mit Gewalt unter ihre Kontrolle gebracht. Seither warten sie auf ihr Urteil und hoffen auf Gerechtigkeit.
- Am 15. Juli 2021 veröffentlichte Amnesty International einen Bericht, in welchem dokumentiert wurde, wie die jahrzehntelangen Menschenrechtsverletzungen gegen Männer, Frauen und Kinder, die bei der Überquerung des Mittelmeers aufgegriffen und unter Zwang in libysche Haftzentren zurückgebracht werden auch in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 unvermindert weitergingen. Amnesty International legt neue Beweise vor, die die verheerenden Folgen der Zusammenarbeit Europas mit Libyen im Bereich der Migration verdeutlichen.
- Syrische Geheimdienste haben zurückgekehrte Flüchtlinge inhaftiert, gefoltert und verschwinden lassen – das dokumentiert ein Bericht von Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation fordert die internationale Staatengemeinschaft dazu auf, Menschen aus Syrien internationalen Schutz zu gewähren und keine Abschiebungen nach Syrien durchzuführen.
- 32 afghanische Asylsuchende wurden im September 2021 seit mehr als vier Wochen an der Grenze zwischen Polen und Belarus festgehalten. Digitale Recherchen von Amnesty International belegen Verstösse der polnischen Regierung gegen internationales Recht und legen den Verdacht auf illegale Push-Backs nahe.
- Der Kinderrechtsausschuss der UNO rügte im Oktober 2021 die Schweiz wegen der Ausweisung eines palästinensischen Kindes nach Bulgarien. Er stellte fest, dass die Schweiz kaum etwas unternimmt, um eine ordnungsgemässe Umsetzung des Übereinkommens über die Rechte des Kindes zu gewährleisten.
- Rund 100 Asylsuchende wurden im November 2021 mehr als zwei Wochen illegal in einem von der EU finanzierten Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Samos festgehalten. Amnesty International fordert, dass die Einhaltung der Grundrechte in den Flüchtlingslagern sichergestellt und die Freiheitsbeschränkungen der Asylsuchenden aufgehoben wird.
- Amnesty International hat im Dezember 2021 veröffentlicht, dass neue Beweise vorliegen, dass belarussische Sicherheitskräfte Asylsuchende, die in Europa Schutz suchen wollen, auf grausame Weise erpressen, foltern und anderweitig misshandeln. Die Menschenrechtsorganisation befragte insgesamt 75 Personen, die zwischen Juli und November 2021 mit dem falschen Versprechen, problemlos in die EU zu gelangen, nach Belarus gelockt wurden. Die Geflüchteten wurden anschliessend über die Grenze nach Polen gedrängt, von wo sie massenweise mit Pushbacks zurückgewiesen wurden.
...und in der Schweiz
Im Jahr 2021 wurden in der Schweiz insgesamt 14’928 Asylgesuche eingereicht (3’887 Gesuche mehr als im 2020). Von den 14’928 Asylgesuchen entfielen 1’232 auf Familienzusammenführungen, 2’704 auf Geburten und 978 auf Mehrfachgesuche. Im 2021 kamen also insgesamt 10’010 Asylsuchende in die Schweiz und stellten einen Asylantrag.
Hohe Schutzquote
Insgesamt wurden im Jahr 2021 in der Schweiz 15’464 erstinstanzliche Asylentscheide getroffen:
Davon haben 5369 Personen Asyl (2020: 5409, -0,7 %) und 3’889 Personen eine vorläufige Aufnahme (2020: 5094, -23,7 %) erhalten. In 3409 Fällen erging ein Nichteintretensentscheid (NEE) (2020: 2622, +30,0 %), vor allem so genannte Dublin-Entscheide. 5'730 Asylgesuche wurden abgelehnt (8'209 im 2020).
Die Anerkennungsquote (Prozentsatz der Asylgewährungen) betrug damit 37% (wenig mehr als letztes Jahr), die Schutzquote (Prozentsatz der Asylgewährungen plus vorläufige Aufnahmen) 60,7 % (etwa gleich wie letztes Jahr). Das heisst auch, dass in der Lesart der Behörden 60% der Asylgesuche als begründet galten.
Schweiz unattraktiv
Wie das SEM selbst sagt, ist die Schweiz im Gegensatz zu den Jahren vor 2016 für mehr potenzielle Asylsuchende nicht mehr Ziel- sondern Transitland. Der Rückgang der Asylgesuchzahlen ist auch auf die Unattraktivität der Schweiz als Zielland zurückzuführen. Diese geht ihrerseits auf die restriktive Asylpolitik des SEM zurück: eine nach wie vor äusserst rigorose Anwendung des Dublin-Abkommens, eine vergleichsweise tiefe Anerkennungsquote für syrische Staatsangehörige als Flüchtlinge, den anhaltend hohen Druck auf die eritreischen Asylsuchenden, schnelle Asylverfahren für Personen aus Ländern mit tiefer Schutzquote wie dem Balkan, Georgien und zahlreichen afrikanischen Ländern wie Guinea, Nigeria, Mali, usw.
So beispielsweise zeigte sich Amnesty International in einer Medienmitteilung vom 25. Januar 2021 Amnesty International besorgt über einen geplanten Ausschaffungsflug aus der Schweiz nach Äthiopien. Amnesty berichtete über das gesamte Jahr 2021 über die Morde, die sexuelle Gewalt und Plünderungen in der Region Amhara und Tigray.
Anwendung der Dublin Verordnung im 2021
Die Schweiz hat im vergangenen Jahr bei 4’936 Personen einen anderen Dublin-Staat um Übernahme angefragt (2020: 4’057 Gesuche), 1’375 Personen konnten im selben Zeitraum in den zuständigen Dublin-Staat überführt werden (2020: 941 Personen).
Die Dublin-Verordnung führt zu einer äusserst ungleichen Aufteilung der Verantwortlichkeiten im Asylwesen unter den europäischen Ländern. Da die Mehrheit der Asylsuchenden über den Seeweg nach Europa gelangt, sind es die Länder an den Aussengrenzen der Europäischen Union, wie Italien und Griechenland, denen die Bearbeitung der Mehrheit der Asylgesuche übertragen wird. Die Schweiz profitiert damit von ihrer geografischen Lage: Die meisten Asylsuchenden, die bis auf Schweizer Boden gelangen, mussten vorher ein anderes europäisches Land durchqueren und haben kein Visum für die Schweiz. Somit können sie in dieses Land zurückgeschickt werden.
Wichtigste Herkunftsländer
Das wichtigste Herkunftsland von Asylsuchenden in der Schweiz im Jahr 2021 war Afghanistan. Die Zahl der Asylgesuche afghanischer Staatsangehöriger hat sich von 1'681 (2020) auf 3’079 verdoppelt. Damit ist Eritrea erstmals seit 2010 nicht mehr wichtigstes Herkunftsland.
Weitere wichtige Herkunftsländer waren die Türkei mit 2'330 (2020: 1’201), Eritrea mit 2'028 (2020: 1’917), Syrien mit 1'021 (2020: 904) sowie Algerien mit 1'012 (2020: 988) Asylgesuchen.
Afghanistan
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan verlassen viele Menschen das Land aus Angst vor Repressalien. Insbesondere für Frauen und Mädchen, Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Anwält*innen sowie für angehörige der ehemaligen afghanischen Behörden und Sicherheitskräfte herrscht ein Klima der Angst. Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass unter der Herrschaft der Taliban die Menschenrechte nicht gewährleistet sind. Ein weiteres Problem ist die prekäre wirtschaftliche und humanitäre Lage. Auch in den Nachbarländern Iran und Pakistan ist die Situation für aus Afghanistan Geflüchtete prekär.
Nach der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan wurden wichtige Einrichtungen für Frauen und Mädchen, die geschlechtsspezifische Gewalt überlebt haben, zerstört. Die Taliban haben Frauenhäuser geschlossen und Gefangene aus dem Gefängnis entlassen, darunter viele, die wegen geschlechtsspezifischer Gewalt verurteilt wurden. Viele Überlebende, aber auch Mitarbeiter*innen von Frauenhäusern, Anwält*innen, Richter*innen, Regierungsbeamte und andere Personen, die sich für den Schutz von Frauen und Mädchen vor häuslicher Gewalt eingesetzt haben, sind nun an Leib und Lebenbedroht.
Angesichts der humanitären Krise stehen Nothilfe und sichere Fluchtwege im Vordergrund. Amnesty International setzt sich ausserdem für Visaerleichterungen für afghanische Geflüchtete, beschleunigte Familienzusammenführungen und ein zusätzliches Resettlement-Kontingent für humanitäre Notlagen ein. Da eine baldige Verbesserung der Situation in Afghanistan ist nicht absehbar ist muss das SEM Asylgesuche von afghanischer Geflüchteter, möglichst rasch entschieden werden, um sie nicht zu lange in einer Warteschlaufe zu belassen. Afghanischen Geflüchteten, die in der Schweiz aktuell das Asylverfahren durchlaufen, soll dabei grundsätzlich Asyl oder zumindest eine vorläufige Aufnahme gewährt werden. Afghanischen Geflüchteten, die bereits einen negativen Entscheid erhalten haben und sich noch in der Schweiz befinden, sollen Wiedererwägungsgesuche und Zweitasylgesuche ermöglicht werden, damit diese Personen einen regulären Aufenthaltsstatus erhalten.
Abschiebungen nach Afghanistan verletzen nach Ansicht von Amnesty International das Non-Refoulement-Gebot und verstossen gegen Völkerrecht. Dies bedeutet, dass für die betroffenen Personen in Afghanistan ein ernsthaftes Risiko von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen besteht.
In mehreren europäischen Ländern sowie auch in der Schweiz gilt ein Bürgerkrieg nicht als Asylgrund, da es sich nicht um eine zielgerichtete Verfolgung handelt (Art. 3 AsylG). Personen, die durch einen bewaffneten Konflikt vertrieben werden, erhalten deshalb normalerweise eine vorläufige Aufnahme (F-Ausweis). Das trifft auch auf viele afghanische Asylsuchende zu. Aber auch innerhalb einer Bürgerkriegssituation kann es zu zielgerichteter Verfolgung kommen, weshalb eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall wichtig ist.
Die meisten Asylsuchenden aus Afghanistan erhalten den Status der vorläufigen Aufnahme. Im Jahr 2021 haben in insgesamt 2’755 abgeschlossenen Fällen 446 Afghan*innen Asyl erhalten, 1’468 wurde eine vorläufige Aufnahme gewährt, 51 erhielten eine Ablehnung ohne vorläufige Aufnahme. Die verbleibenden Asylgesuche wurden zumeist mit einem Dublin-Nichteintretensentscheid entschieden, was bedeutet, dass ein anderer Staat im Schengen-Dublin-Raum für das Gesuch zuständig ist.
Eritrea
In Eritrea sind die freie Meinungsäusserung und die Religionsfreiheit stark eingeschränkt. Hauptfluchtgrund ist aber nach wie vor der unbegrenzte «Nationaldienst». Wehrdienstleistende werden nach wie vor gezwungen, auf unbestimmte Zeit im obligatorischen Militärdienst zu bleiben. 2016 hat die Schweiz ihre Asylpraxis verschärft. Zwei äusserst fragwürdige Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts bezeichneten Rückführungen als zumutbar – trotzdem das Gericht selbst die Informationslage als unsicher bezeichnete und den Nationaldienst als Zwangsarbeit qualifizierte. Daraufhin leitete das Staatsekretariat auch die Überprüfung bestehender vorläufiger Aufnahmen ein. Dies führte auch zu einer Rüge des Anti-Folterkomitees der UNO.
Für abgewiesene Asylsuchende aus Eritrea ist in jedem Einzelfall eine sorgfältige Prüfung von allfällig vorhandenen Vollzugshindernissen bezüglich der Wegweisung nach Eritrea vorzunehmen. Gemäss Koordinationsurteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom Juli 2018 stellt jedoch selbst eine drohende Einberufung in den eritreischen Nationaldienst grundsätzlich kein Vollzugshindernis dar. Zeigt die Prüfung des Einzelfalls jedoch, dass im Falle einer Rückkehr von einer existenzbedrohenden Situation auszugehen ist, wird die Person wegen Unzumutbarkeit des Vollzugs ihrer Wegweisung nach Eritrea vorläufig aufgenommen.
Gemäss Asylgesetz, Praxis SEM und Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) vermag eine Wehrdienstverweigerung oder Desertion an und für sich die Flüchtlingseigenschaft nicht zu begründen. Eine asylsuchende Person ist jedoch dann als Flüchtling anzuerkennen, wenn mit der Dienstverweigerung oder Desertion eine Verfolgung im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 und 2 AsylG verbunden ist.
Die meisten Asylsuchenden aus Eritrea erhalten entweder den Status als anerkannte Flüchtlinge oder den Status der vorläufigen Aufnahme. Im Jahr 2021 haben in insgesamt 2’138 abgeschlossenen Fällen 1’444 Eritreer*innen Asyl erhalten, 424 wurde eine vorläufige Aufnahme gewährt, 175 erhielten eine Ablehnung ohne vorläufige Aufnahme. Die verbleibenden Asylgesuche wurden zumeist mit einem Dublin-Nichteintretensentscheid entschieden, was bedeutet, dass ein anderer Staat im Schengen-Dublin-Raum für das Gesuch zuständig ist.
- Urteil CAT vom Dezember 2018: Der Uno-Ausschuss gegen Folter ist zum Schluss gekommen, dass die Schweizer Asylbehörden mit einem Wegweisungsentscheid nach Eritrea die Anti-Folter-Konvention verletzt haben.
- Die eritreischen Behörden akzeptieren nach wie vor keine zwangsweise Rückkehr ihrer Staatsbürger. Eine freiwillige Rückreise ist jedoch möglich (https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/asyl/eritrea/faq.html#minimize1638580234184 ).
Türkei
In der Türkei hat sich die Menschenrechtslage in letzter Zeit wieder verschlechtert: Das Recht auf freie Meinungsäusserung gerät immer mehr unter Druck und kritische Medienschaffende sowie Menschenrechtsverteidiger und Aktivistinnen werden ins Gefängnis gesteckt. Militär und Polizei gehen in den Kurdengebieten ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung vor und die Rechte der LGBTI* und von Flüchtlingen werden systematisch verletzt. Mit der Rolle der Türkei im Syrien-Konflikt verschärft sich die Menschenrechtssituation zusätzlich.
Die türkische Justiz missachtete auch 2020 internationale Standards für faire Gerichtsverfahren und nutzte weit gefasste Antiterrorgesetze, um Handlungen zu bestrafen, die durch internationale Menschenrechtsnormen geschützt sind. Präsident Recep Tayyip Erdoğan und mehrere Regierungsmitglieder bekräftigten homofeindlichen Aussagen eines hochrangigen Staatsbeamten. Die Regierungspartei drohte mit einem Austritt aus dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention).
Im Jahr 2021 wurden 2‘422 Asylgesuche von Türk*innen entschieden: 1’964 erhielten Asyl, 136 erhielten eine vorläufige Aufnahme. In 224 Fällen wurden Asylgesuche abgelehnt und keine vorläufige Aufnahme gewährt. In 83 Fällen tritt das SEM nicht auf das Asylgesuch ein.
Syrien
In Syrien dauern in einigen Gegenden Kampfhandlungen an. Die syrischen Behörden halten weiterhin Zehntausende Menschen in willkürlicher Haft fest, darunter Aktivist*innen, Rechtsanwält*innen und Journalist*innen. Rückkehrer*innen wurden von den syrischen Geheimdiensten inhaftiert, gefoltert und verschwinden gelassen. Nach Ansicht von Amnesty International ist Syrien kein sicheres Rückkehrland. Die Situation für syrische Geflüchtete in der Türkei und im Libanon hat sich drastisch verschlechtert.
Wie bereits zu Afghanistan erwähnt gilt in mehreren europäischen Ländern sowie auch in der Schweiz ein Bürgerkrieg nicht als Asylgrund, da es sich nicht um eine zielgerichtete Verfolgung handelt (Art. 3 AsylG). Viele Asylsuchenden aus Syrien erhalten daher eine vorläufige Aufnahme. Eine sorgfältige Prüfung der Gesuche ist aber trotzdem in jedem Einzelfall vorzunehmen. Im Jahr 2021 haben in insgesamt 1’154 abgeschlossenen Fällen 600 Syre*innen Asyl erhalten, 378 wurden eine vorläufige Aufnahme gewährt, 77 erhielten eine Ablehnung ohne vorläufige Aufnahme. Die verbleibenden Asylgesuche wurden zumeist mit einem Dublin-Nichteintretensentscheid entschieden, was bedeutet, dass ein anderer Staat im Schengen-Dublin-Raum für das Gesuch zuständig ist.
Äthiopien
Politische Spannungen prägen die Menschenrechtslage in Äthiopien bereits seit mehreren Jahren. Amnesty International berichtete von Übergriffen des Militärs zwischen 2018 und 2019 in mehreren Regionen, insbesondere in Oromia und Tigray. Seit November 2020 befinden sich die Regionen im Norden Äthiopiens (Tigray, Oromia) in einem offenen bewaffneten Konflikt mit der Zentralregierung. Der Konflikt ist geprägt von gravierenden Menschenrechtsverletzungen, insbesondere auch sexueller Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Ethnische Spannungen im ganzen Land nehmen zu. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht.
Im Jahr 2021 wurden 179 Asylgesuche von Äthiopier*innen entschieden: 44 erhielten Asyl, 59 erhielten eine vorläufige Aufnahme. In 32 Fällen wurden Asylgesuche abgelehnt und keine vorläufige Aufnahme gewährt. In 28 Fällen tritt das SEM nicht auf das Asylgesuch ein.