Flucht aus Libyen auf einem Boot. © UNHCR/F. Noy
Flucht aus Libyen auf einem Boot. © UNHCR/F. Noy

Seenotrettung im Mittelmeer Seenotrettung im Mittelmeer: Europa muss handeln, um das Sterben zu stoppen

Medienmitteilung veröffentlicht: Bern, 22. April 2015. Medienkontakt
Ein neuer Amnesty-Bericht dokumentiert, wie Europas Untätigkeit die Zahl der Toten steigen liess. Überlebende berichten im Bericht von den erlebten Schrecken. Eine Amnesty-Delegation besucht von Donnerstag bis Sonntag Lampedusa und Sizilien. Forderungen auch an Bundespräsidentin Sommaruga.

Einen Tag vor dem EU-Sondergipfel in Brüssel veröffentlicht Amnesty International am 22. April 2015 die Resultate ihrer aktuellsten Recherchen zur Situation im Mittelmeer. Der Bericht «Europe's sinking shame: The failure to save refugees and migrants at sea» (Englisch, 24 Seiten) dokumentiert Hintergründe der jüngsten Flüchtlingskatastrophen und zeigt schonungslos auf, wie die europäische Politik mit dem Wechsel von «Mare Nostrum» zur Operation «Triton» zum drastischen Anstieg der Toten beigetragen hat. Wenn sich die Zahl der Toten des letzten Schiffsunglücks vom Wochenende des 18./19. Aprils bestätigt, dann sind 2015 schon mindestens 1700 Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeer gestorben, zehnmal mehr als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres.

«Diese Zahlen strafen auch jene Lügen, die behaupten wollten, ein umfassenderes Seenotrettungssystem wie «Mare Nostrum» führe zu noch mehr Flüchtlingen, die von Schleppern aufs Meer geschickt würden», sagt Cyrielle Huguenot, Migrations-Expertin von Amnesty International Schweiz. «Seit dem Ende der Operation Mare Nostrum haben deutlich mehr Migranten und Flüchtlinge versucht Europa zu erreichen, nicht weniger.»

Italienische Marine wäre bereit

Der Bericht beruht auf zahlreichen Gesprächen mit Überlebenden der drei ersten grossen Bootskatastrophen dieses Jahres, bei denen am 22. Januar, am 8./9. Februar und am 4. März jeweils Hunderte ums Leben kamen. Weitere Gespräche wurden mit Angehörigen der Küstenwache und der involvierten Behörden geführt.

Massimiliano Lauretti, ein Kapitän der italienischen Marine, sagte Amnesty, mit den Erfahrungen von Mare Nostrum könne eine humanitäre Mission in wenigen Tagen wieder aufgenommen werden. «Die italienische Marine steht bereit. Wir haben gut eingespielte Abläufe. Wir haben Erfahrung aufgebaut. Wenn wir beauftragt werden, können wir eine humanitäre Operation in sehr kurzer Zeit wieder starten, in etwa 48 bis 72 Stunden.»

Appelle an Europa und die Schweiz

Amnesty appelliert an die europäischen Regierungschefs, unverzüglich den Aufbau einer multinationalen umfassenden Seenotrettung im Mittelmeer an die Hand zu nehmen. Hinreichende Kapazitäten zu Wasser und in der Luft müssen entlang der am meisten benutzen Seerouten eingesetzt werden, um Menschenleben zu retten. Bis dieses System funktioniert, müssen die europäischen Regierungen Italien und Malta die nötige finanzielle und logistische Unterstützung gewähren, damit diese ihre eigenen Seenotrettungskapazitäten aufstocken können.

Die Schweizer Sektion von Amnesty International wendet sich heute in einem Brief an Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga mit folgenden Forderungen:

  • Ein Engagement der Schweiz für die Schaffung eines von allen europäischen Staaten getragenen humanitären Such- und Rettungssystems im Mittelmeer. Auch die Schweiz soll ihren finanziellen Beitrag daran leisten, dass Flüchtlinge, die in internationalen Gewässern auf dem Mittelmeer in Seenot geraten, die nötige Hilfe erhalten.
  • Eine grössere Solidarität mit den ärmeren Ländern an den Grenzen des Schengen-Raumes. Das Dublin-System kann nur überleben, wenn es von Solidarität getragen wird und die Verantwortung nicht einfach an die Grenzländer in Südeuropa und auf dem Balkan abgeschoben wird.
  • Ein Engagement für sichere und legale Einreiserouten nach Europa und in die Schweiz, insbesondere durch erleichterte Visa-Erteilung, erhöhte Flüchtlingskontingente und eine Erweiterung der Familienzusammenführung.
  • Erteilung eines Mandats an das Staatssekretariat für Migration (SEM), die Informationstätigkeit zu intensivieren, um die Ablehnung in der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen und Migrantinnen/Migranten zu reduzieren.