Registrierung von Flüchtlingen in Berlin ©Julia Weiss
Registrierung von Flüchtlingen in Berlin ©Julia Weiss

Frauen auf der Flucht Opfer von sexueller Gewalt, Belästigung und Ausbeutung

18. Januar 2016
Auf ihrer Flucht aus Syrien und dem Irak sind viele Frauen Gewalt, Ausbeutung und sexueller Belästigung ausgesetzt, durch Schmuggler, durch männliche Flüchtlinge, aber auch durch europäische Sicherheitsleute. Regierungen und Hilfsorganisationen müssen für besseren Schutz dieser Frauen sorgen.

Amnesty International hat in Deutschland und Norwegen 40 Frauen und Mädchen befragt, die von der Türkei nach Griechenland und von dort über die Balkanroute nach Westeuropa flüchteten. Alle schilderten, dass sie sich auf der Flucht bedroht und unsicher gefühlt hätten. Viele berichteten, dass sie in nahezu allen Ländern, durch die ihre Reise führte, physische Gewalt und finanzielle Ausbeutung erlebt hätten. Sie wurden von Schmugglern, Sicherheitsmännern oder männlichen Flüchtlingen belästigt oder gar zu sexuellen Handlungen gedrängt.

«Nachdem sie die Schrecken des Krieges im Irak oder in Syrien durchlebt haben, haben diese Frauen alles aufs Spiel gesetzt, um ihre Kinder und sich selbst in Sicherheit zu bringen», sagt Tirana Hassan von Amnesty International. «Doch auf der Flucht erleben sie durchs Band abermals Gewalt und Ausbeutung und erhalten kaum Unterstützung oder Schutz.»

Schlafen inmitten von Männern

Frauen berichteten auch, dass sie dieselben Waschräume und Toiletten hätten benutzen müssen wie die Männer. Eine der Befragten schilderte, wie in einem Aufnahmezentrum in Deutschland einige Männer die Frauen immer beobachteten, wenn sie auf die Toilette gingen. Manche Frauen versuchten sich mit extremen Massnahmen zu schützen, etwa indem sie nichts mehr assen und tranken, um schon gar nicht auf die Toilette gehen zu müssen.

«Wenn sich diese humanitäre Krise irgendwo sonst auf der Welt abspielte, würden umgehend praktische Massnahmen zum Schutz der am meisten gefährdeten Gruppen, wie allein reisende Frauen oder Familien mit weiblichem Oberhaupt, erwartet. Im Minimum hiesse dies nach Geschlechtern getrennte, gut beleuchtete Toiletten und separate, sichere Schlafplätze für Frauen und Mädchen. Dass Frauen und Kinder, die aus einer der gefährlichsten Weltregionen geflüchtet sind, stattdessen sogar auf europäischem Boden noch in Gefahr sind, ist eine Schande.»

«Wirksame Hilfeleistungen für Flüchtlinge müssen auch Massnahmen umfassen, um die besonders gefährdeten Frauen und Mädchen zu schützen und ihr Grundrecht auf Sicherheit und Schutz vor Übergriffen zu gewährleisten.»

Ungenügende Versorgung von Schwangeren

Amnesty sprach unter anderem mit sieben schwangeren Flüchtlingen. Sie sagten, dass sie nicht genügend Nahrung und keine medizinische Grundversorgung erhalten hätten und an Grenzübergängen und Kontrollstellen gestossen und gedrückt worden seien. Eine Syrerin, die mit ihrem Kind, das sie noch stillte, und mit ihrem Mann auf der Flucht war, schilderte, sie hätte in den Camps in Griechenland zu viel Angst gehabt, inmitten von Männern zu schlafen. Sie sei zudem tagelang unterwegs gewesen, ohne zu essen.

Ein Dutzend der befragten Frauen berichteten, sie seien in europäischen Transitlagern betatscht, geschlagen und anzüglich angestarrt worden. Eine 22-jährige Irakerin erzählte Amnesty, als sie Deutschland gewesen sei, hätte ein uniformierter Sicherheitsmann ihr Kleider angeboten - im Austausch gegen «Zeit mit ihr allein».

«Ohnehin sollte niemand gezwungen sein, diese gefährlichen Fluchtrouten nach Europa auf sich zu nehmen, und am effizientesten liessen sich Übergriffe und Ausbeutung vermeiden, wenn Europa sichere und legale Zugangswege schaffen würde. Doch wer schon keine andere Wahl hat, sollte auf der Flucht wenigstens nicht noch weiteren Erniedrigungen, Risiken und Gefährdungen ausgesetzt sein!»

Sexuelle Ausbeutung durch Schmuggler

Menschenschmuggler wissen um die besondere Verletzlichkeit allein reisender Frauen auf der Flucht und nützen diese oft aus. Wenn die finanziellen Mittel für die Weiterreise nicht reichen, kommt es oft zu Versuchen sexueller Nötigung. So berichteten drei der befragten Frauen, dass Schmuggler und deren Helfer sie und andere Frauen belästigt und ihnen im Tausch gegen Sex einen verbilligten Tarif oder kürzere Wartezeiten offeriert hätten.

«Im Hotel in der Türkei sagte einer der Männer, der mit dem Schmuggler zusammenarbeitete, ein Syrer, wenn ich mit ihm schlafen würde, müsste ich weniger oder gar nichts bezahlen», erzählt die 23-jährige Hala aus Aleppo. «Meiner Freundin, die mit mir aus Aleppo gekommen war, ging in der Türkei das Geld aus. Der Mann offerierte ihr, mit ihm Sex zu haben [im Tausch gegen einen Platz auf dem Boot]. Sie sagte natürlich nein, deshalb ist sie jetzt immer noch dort.»

Schmutz und Gewalt in Flüchtlings- und Transitlagern

Befragte Frauen berichteten auch über schmutzige Verhältnisse in vielen Transitlagern, wo es an Lebensmitteln und ganz besonders an entsprechendem Schutz für Schwangere fehlte. Die Toilettenanlagen waren oft erbärmlich, und Frauen scheuten sich, sie aufzusuchen, weil sie nicht nach Geschlecht getrennt waren. Frauen berichteten, wie sie beim Gang zur Toilette beobachtet wurden. Sie erfuhren auch direkte Gewalt von anderen Flüchtlingen und von Polizeibeamten, besonders wenn die Verhältnisse immer enger wurden und die Sicherheitskräfte eingriffen.

Rania, eine 19-jährige Frau aus Syrien, die als Schwangere auf der Flucht war, berichtete von ihrer Erfahrung in Ungarn. «Die Polizei verlegte uns an einen anderen Ort, der noch schlimmer war. Er war voller Käfige, und es kam keine Luft rein. Wir wurden eingesperrt. Wir blieben dort zwei Tage lang. Wir erhielten zwei Mahlzeiten pro Tag. Die Toiletten waren noch grässlicher als in den anderen Camps, ich hatte den Eindruck, sie liessen sie uns zuleide extra so. Am zweiten Tag schlug ein Polizist eine Frau aus Aleppo, weil sie bat, weggehen zu dürfen… Ihre Schwester versuchte sie in Schutz zu nehmen, sie konnte Englisch. Sie hiessen sie den Mund halten, sonst würde auch sie geschlagen.»