Justizministerin Sommaruga hatte in den vergangenen Tagen angekündigt, dass die Schweiz die Aufnahme besonders verletzlicher Flüchtlinge aus Libyen prüfe und Auffangzentren im benachbarten Niger finanzieren will. Dazu bemerkt Denise Graf, Asylexpertin von Amnesty Schweiz:
«Es ist ein positives Zeichen, dass Bundesrätin Sommaruga Flüchtlinge retten will, die unter schrecklichen Bedingungen in Libyen inhaftiert sind. Aber die europäischen Staaten müssen jetzt endlich konkrete und umfassende Massnahmen zum Schutz der Menschen in Libyen präsentieren».
Ziel des Ministertreffens in Bern ist gemäss offizieller Ankündigung des Gastgeberlandes Schweiz u.a., den Schutz für Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten in Libyen «auszubauen». Es gibt jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass die europäischen Staaten bereit sind, ihren bisherigen Ansatz aufzugeben. Dieser besteht darin, die libyschen Behörden dabei zu unterstützen, Menschen von der Fahrt über das zentrale Mittelmeer abzuhalten und sie in Libyen festzuhalten.
«Die Schweiz und Europa müssen jetzt handeln», fordert Denise Graf. «Die europäischen Staaten haben durch ihre Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache Zehntausende von Männern, Frauen und Kindern in einem Land stranden lassen, wo sie schrecklichen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind und keinen Zugang zu einem Asylverfahren erhalten. Die eingesperrten Flüchtlinge und Migrantinnen müssen freigelassen und an einen sicheren Ort gebracht werden. Dafür braucht es sofortige und verbindliche Schritte, keine ‚Pflästerlipolitik‘ zur Gewissensberuhigung.»
Erpresst, misshandelt und gefoltert
Internationale Beobachter und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International berichten einstimmig von absolut katastrophalen Zuständen für Flüchtlinge und Migranten in Libyen. «Wer auf dem Meer von der libyschen Küstenwache abgefangen wird, ist nicht gerettet, sondern wird in Haftzentren eingesperrt. Dort sind Flüchtlinge und Migranten willkürlicher Haft, Folter und anderen Formen der Misshandlung ausgesetzt, darunter sexuelle Gewalt und Ausbeutung», sagte Matteo de Bellis, Migrationsexperte bei Amnesty International.
De Bellis hat in den vergangenen Jahren mehrere hundert Personen interviewt, die Libyen überlebt haben. « Die Verbrechen geschehen tausendfach. Jetzt, in diesem Moment werden höchstwahrscheinlich Männer und Kinder geschlagen, Frauen vergewaltigt», so Matteo de Bellis. «Es gibt kaum Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen, die in Libyen nicht Opfer sexueller Gewalt wurden.»
Forderungen von Amnesty
- Amnesty International fordert von den europäischen Regierungen, dass sofort legale und sichere Fluchtwege nach Europa geschaffen werden und dass die Schweiz einen signifikanten Beitrag dazu leistet – z.B: in Form von deutlich mehr Resettlement-Plätzen für Flüchtlinge, Familienzusammenführungen oder humanitäre Visa. Zudem sind Studentenvisa, private Sponsorships und Arbeitsvisa für Migrantinnen und Migranten zu prüfen.
- Die europäischen Regierungen müssen ihre Migrationszusammenarbeit mit Libyen und anderen Länder der Region - in Form von finanzieller, institutioneller, materieller, politischer und/oder personeller Unterstützung - neu ausrichten und sich dabei auf den vorrangigen Schutz der Menschenrechte von Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten im Land konzentrieren.
- Europa und Libyen müssen zusammen erwirken, dass die willkürliche Verhaftung von Flüchtlingen und MigrantInnen beendet wird und die Inhaftierten freigelassen werden. Zudem müssen die Gesetze dahingehend geändert werden, dass Menschen, die irregulär ein- und ausreisen oder sich irregulär im Land aufhalten, nicht weiter kriminalisiert werden.
- Libyen muss die Präsenz des UNHCR in Libyen durch eine Absichtserklärung formalisieren, die es dem UNHCR ermöglicht, ihr Mandat uneingeschränkt auszuüben, einschliesslich der Festlegung des Status der Flüchtlinge und ihres Resettlements.