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16 Tage gegen Gewalt an Frauen Gewalt gegen Frauen auf der Flucht

Medienmitteilung 25. November 2016, London/Bern – Medienkontakt
Amnesty International will am Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (16 days against gender-based violence) besonders auf das Schicksal von Frauenflüchtlingen aufmerksam machen. Mehr als 60 Millionen Menschen sind aktuell auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung. Rund die Hälfte davon sind Frauen, so Schätzungen des Uno-Hochkommissariats für Flüchtlinge. Frauen auf der Flucht sind ständig der Gefahr ausgesetzt, Opfer von Gewalt, Ausbeutung und sexueller Belästigung zu werden.

Alle Illustrationen von Asia Alfasi zur Kampagne 16 Tage gegen Gewalt an Frauen.

Maryam

Maryam [Pseudonym] ist eine Syrerin aus Homs und seit 2013 im Libanon, wo sie aktuell mit ihrer Familie lebt.

Der Libanon hat seit Ausbruch des Konfliktes in Syrien über eine Million Flüchtlinge aus dem grossen Nachbarland aufgenommen. Syrische Frauen leben im Libanon meist in ärmlichen Verhältnissen. Die Behörden schränken ihre Grundrechte – wie beispielsweise die Bewegungsfreiheit – stark ein. Dadurch erhöht sich das Risiko, dass die Frauen wirtschaftlich oder sexuell ausgebeutet werden oder Menschenhändlern zum Opfer fallen. Speziell für Frauenflüchtlinge im Libanon gehören gender-basierte Gewalt, Belästigungen und Ausbeutung zum Alltag.

«Einer meiner Angehörigen starb im August. Die Polizei hat die Anzeige von meiner Schwester und mir aufgenommen. Diese enthielten alle unsere persönlichen Angaben wie Namen, Adressen und Telefonnummern. Nach einer Weile kamen Polizisten zu unserem Haus und fragten, ob wir mit ihnen ausgehen würden. Es waren die gleichen drei Männer, die unsere Aussagen aufgenommen hatten. Weil wir keine legale Niederlassungsbewilligung hatten, bedrängten sie uns und sagten, dass sie uns einsperren würden, wenn wir nicht mit ihnen gehen würden. Dies ging zwei Monate lang so weiter. Dann kam der Grundbesitzer und wollte das Haus, in dem wir wohnten, zurückhaben; also mussten wir ausziehen. Wir wechselten auch unsere Telefonnummern und gaben der Polizei weder unsere neuen Nummern noch unsere neue Adresse. Ich würde nie wieder zu einer Polizeistation gehen, dort wird einem nicht geholfen. 

Ein anderes Mal war ich in einer Nebenstrasse. Ein Auto hielt an und der Fahrer bot mir an, mich an mein Ziel zu fahren. Ich nahm das Angebot an und setzte mich auf den Rücksitz. Der Mann sprach mich an, sagte mir, dass er mir Geld geben würde, wenn ich mit ihm käme, und dass er mich zu einem schönen Haus bringen würde. Er würde alles wieder gutmachen und ersetzen, was ich verloren habe. Er fragte mich, ob ich mich auf den Vordersitz zu ihm setzen würde. Ich versuchte so zu tun, als ob ich nicht erschrocken wäre, und wartete, bis wir in der Nähe von Gebäuden und vielen Fussgängern waren. Dann bat ich ihn anzuhalten, damit ich mich neben ihn setzen könne. Als er anhielt, stieg ich aus und rief Bekannte von mir an, damit sie mich abholen. Er fragte mich nach meiner Nummer, doch ich gab ihm eine falsche.

Belästigungen [von Frauenflüchtlingen] sind ein sehr grosses Problem im Libanon, unabhängig davon, ob eine Frau verheiratet ist oder nicht. Ich werde ständig belästigt. Darum fürchten wir um unsere Kinder. Ich habe eine 16 Jahre alte Tochter. Ich habe Angst, sie auch nur zum nächsten Laden zu schicken. So geht es allen Syrerinnen hier.»

Ada

Ada [Pseudonym] ist eine Nigerianerin aus Eziowelle. Sie kam im Mai 2015 nach Libyen, im Dezember desselben Jahres floh sie dann weiter nach Italien.

Frauenflüchtlinge auf den Routen nach und durch Libyen riskieren, Opfer von sexueller und genderbasierter Gewalt zu werden. Migrantinnen und Frauen auf der Flucht werden in Haftzentren festgehalten, die vom libyschen Innenministerium betrieben werden. Sie berichten von Misshandlungen, Folter und sexuellen Übergriffen von den ausschliesslich männlichen Gefängniswärtern.

«In Nigeria ging ich nicht zur Schule. Ich war zehn Jahre alt, als ich meine Eltern verlor und mein Onkel mich zu sich nach Portacourt nahm. Er schlief ständig mit mir. Ich wurde schwanger und hatte vier Abtreibungen. Mein Onkel wollte nicht, dass ich ausgehe, ich durfte das Gelände nicht verlassen. Er hatte eine Waffe und er drohte mir mit dem Tod, falls ich über das Vorgefallene sprechen würde. Jedes Mal wenn er mit mir schlief, gab er mir etwas Geld. Irgendwann erzählte ich einer anderen Frau, was mein Onkel mit mir machte. Sie sagte mir, dass ich weglaufen solle. Ich gab ihr mein Geld und sie half mir bei der Flucht, gab mir ein Mobiltelefon und eine SIM-Karte. Sie arrangierte für mich, dass ich im April 2015 mit einigen anderen Leuten nach Libyen fliehen konnte.

Wir kamen im Mai in Libyen an. Einige Männer entführten uns und brachten uns zu einem Haus in Sabah. Sie wollten Geld von uns. Ich sagte ihnen, dass ich keines hätte.

Sie schliefen jede Nacht mit allen entführten Frauen. Sie verschleppten immer mehr Menschen. Eines der neu angekommenen Mädchen fragte mich, warum ich ständig weinen würde. Ich antwortete ihr, dass ich nicht wegkönne und seit sieben Monaten gefangen sei. Sie fand jemanden, der mich loskaufte, und sie sagte, dass ich mit ihr nach Italien gehen solle. Wir wurden mit dem Auto zu einem anderen Ort gebracht. Von da mussten wir während der Nacht stundenlang laufen, um den Strand zu erreichen. Als ich das Meer und das Boot sah, bekam ich Angst. Es war ein aufblasbares Schlauchboot. Sie stiessen uns vorwärts und riefen ‚Weiter, weiter!’. Über hundert von uns waren auf dem Boot, es war sehr eng und unbequem.

Zwei Tage später kam ich in Italien an. Ich weiss nicht mehr, wie wir dort hinkamen. Ich weinte, als die Italiener uns gerettet haben. Wir haben alle überlebt. Als wir am Hafen von Crotonel ankamen, sahen wir so viele Polizisten, dass ich Angst bekam. Von dort brachten sie uns zu einem anderen Zentrum, wo ich vier Tage blieb. Soldaten bewachten uns. Dann wurden wir mit Bussen ins Empfangszentrum nach Bari gebracht. An beiden Orten wurde ich nach meinem Vor- und Familiennamen und meiner Nationalität gefragt, doch meine Gedanken waren ganz woanders. Ich konnte mich nicht einmal an die Namen meiner Eltern erinnern.

Ich erzählte meine Geschichte und gab meine Fingerabdrücke ab. Jetzt suche ich Schutz. Ich mag es, wie ich in Italien lebe, ohne von jemandem belästigt zu werden. Aber ich muss oft an meine Eltern denken. Ich möchte in Italien bleiben und italienisch lernen. Ich liebe die Menschen in Italien.»