© Louisiana National Guard
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Coronavirus-Krise Wie die Menschenrechte uns schützen können

26. März 2020
Wie wichtig Menschenrechte sind, zeigt sich besonders in Krisenzeiten. Die Coronavirus-Pandemie macht es deutlich: Menschenrechte sind das Fundament unseres Zusammenlebens und stehen für das, was es jetzt so dringend braucht: Menschlichkeit, Mitgefühl und Solidarität.

Angesichts der globalen Gesundheitskrise ist es von zentraler Bedeutung, dass die Menschenrechte von Anfang an integraler Bestandteil aller Massnahmen in Bezug auf die Prävention und die Behandlung der Coronavirus-Infektion sind. Dies, um die öffentliche Gesundheit besser zu schützen und um die am stärksten gefährdeten Gruppen und Einzelpersonen zu unterstützen.

Aussergewöhnliche Situationen erfordern aussergewöhnliche Massnahmen. Staaten können zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bestimmte Menschenrechte einschränken. Solche Einschränkungen sind aber nur dann zulässig, wenn es eine gesetzliche Grundlage dafür gibt, wenn sie notwendig und verhältnismässig sind, und wenn sie in nichtdiskriminierender Weise durchgeführt werden. Zudem müssen die Eingriffe den Kerngehalt des jeweiligen Menschenrechts wahren.

Amnesty International beobachtet die Reaktionen der Regierungen auf die Krise genau. Denn die Massnahmen, die die Staaten auf die Pandemie nun beschliessen und umsetzen, wirken sich auf die Menschenrechte von Millionen von Menschen aus.

Hier folgt ein kurzer Überblick, wie die Menschenrechte uns schützen können und welche Verpflichtungen die Regierungen im Zusammenhang mit der Pandemie haben.

Recht auf Gesundheit

Das Recht auf Gesundheit ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthalten (Artikel 25). Die meisten Staaten haben zudem mindestens einen Menschenrechtsvertrag ratifiziert, der sie verpflichtet, das Recht auf Gesundheit zu garantieren (z.B. Uno-Pakt I, Artikel 12). Das bedeutet unter anderem, dass sie verpflichtet sind, alle notwendigen Schritte zur Vorbeugung, Behandlung und Bekämpfung von Krankheiten zu unternehmen. Im Zusammenhang mit einer sich ausbreitenden Epidemie bedeutet dies präventiv sicherzustellen, dass Pflege, Güter und Dienstleistungen für alle verfügbar sind; sie müssen die Voraussetzungen schaffen, um für jede Person im Krankheitsfall die Nutzung medizinischer Einrichtungen und die Inanspruchnahme ärztlicher Dienstleistungen gewährleisten zu können.

In Hongkong, einem der ersten Orte, die von Covid-19 betroffen waren, stellte eine lokale NGO fest, dass sich fast 70 Prozent der Familien mit niedrigem Einkommen die von der Regierung empfohlene Schutzmaterialien nicht leisten konnten. Wenn die Staaten die Verwendung bestimmter Güter befürworten, müssen sie sicherstellen, dass jeder und jede Zugang zu ihnen hat.

Zugang zu Informationen

Die Staaten müssen sicherstellen, dass alle Menschen Zugang zu verständlichen, zeitnahen und aussagekräftigen Informationen über Art und Umfang der Gesundheitsbedrohung und über mögliche Massnahmen zur Risikominderung haben. Dies ist ein zentraler Teil des Rechts auf Gesundheit, das von gewissen Regierungen aber ignoriert wird.

In Wuhan in China, wo das Virus erstmals gemeldet wurde, teilten ÄrztInnen im Dezember 2019 ihren KollegInnen  ihre Befürchtungen wegen Kranken mit schweren Atemwegsbeschwerden mit. Diese ÄrztInnen wurden umgehend ausgegrenzt und von den lokalen Behörden wegen «Verbreitung von Gerüchten» gerügt.

Die Behörden der indischen Region Jammu und Kaschmir haben trotz einer wachsenden Zahl von Infektionen eine weitere Einschränkung der Internetdienste angeordnet. Dies macht es für die Menschen äusserst schwierig, Zugang zu wichtigen Informationen über die Verbreitung des Virus zu erhalten und zu erfahren, wie sie sich schützen können.

Jede Person hat das Recht informiert zu werden über die Bedrohung, die von Covid-19 für ihre Gesundheit ausgeht, über die Massnahmen zur Risikominderung und über die laufenden Gegenmassnahmen. Wenn dies nicht gewährleistet ist, werden die Bestrebungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit unterminiert und damit die Gesundheit gefährdet.

Recht auf Arbeit

Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen sind unverhältnismässig stark von der Pandemie betroffen, die bereits massive Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Wirtschaft hat. WanderarbeiterInnen und Personen, die im informellen Sektor tätig sind, werden durch Covid-19 und die Massnahmen zur Kontrolle dieser Pandemie in ihren Rechten auf und am Arbeitsplatz besonders beeinträchtigt.

In Katar wurden nach einem Coronavirus-Ausbruch Teile des Industriegebiets von Doha abgeriegelt. Tausenden von WanderarbeiterInnen droht die Gefahr, sich in den lagerartigen Massenunterkünften mit dem Virus anzustecken.

Die Regierungen müssen dafür sorgen, dass alle Menschen Zugang zu sozialer Sicherheit haben, sollten sie im Fall einer Erkrankung nicht arbeiten können. Diese Garantie ist wichtig, um die Menschen dabei zu unterstützen, sich an die von den Staaten angeordneten Massnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu halten.

Das Gesundheitspersonal ist für die Bewältigung dieser Pandemie zentral und erbringt trotz hoher persönlicher Risiken und Gefährdung von Familienangehörigen weiterhin ihre Dienstleistungen. Die Regierungen müssen das Gesundheitspersonal schützen und entsprechende Massnahmen ergreifen. Dazu gehören die Bereitstellung geeigneter, qualitativ hochwertiger und persönlicher Schutzausrüstung, Information, Schulung und psychosoziale Unterstützung für das gesamte Personal. Auch Menschen in anderen Berufen, beispielsweise Betreuungspersonal in Institutionen wie Altersheimen, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt und müssen geschützt werden. 

Präventionsmassnahmen

Quarantänen und Reiseverbote, die das Recht auf die Bewegungsfreiheit beeinträchtigen, müssen notwendig und verhältnismässig sein und sind nur dann zulässig, wenn sie in nichtdiskriminierender Weise umgesetzt werden. Sie müssen von begrenzter Dauer sein und regelmässig überprüft werden. Wenn es mehrere Formen von Einschränkungen gibt, die angeordnet werden können, sollte die am wenigsten restriktive gewählt werden. Die gleichen Vorbehalte gelten gegenüber neuen Überwachungsmassnahmen, die die Auswertung persönlicher Daten erfordern, so beispielsweise die Analyse von Mobilfunkdaten.

Verletzliche Gruppen

Die Behörden sind aufgerufen, besonders verletzliche Menschen vor einer Ansteckung mit Covid-19 zu schützen. Dazu gehören ältere Menschen und Menschen mit bereits bestehenden Erkrankungen (wie Asthma, Diabetes, Herzkrankheiten).

Es gibt weitere marginalisierte Personengruppen, die spezielle Hindernisse überwinden müssen oder die Bedürfnisse haben, die bei Massnahmen zum Schutz vor dem Virus beachtet werden müssen. So ist es beispielsweise für Menschen, die in Armut leben oder obdachlos sind, weit schwieriger, Präventivmassnahmen umzusetzen, als für andere. Besonders verletzlich sind auch inhaftierte Personen, Asylsuchende, MigrantInnen mit einem irregulären Aufenthaltsstatus, Menschen in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen sowie Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen.

Die Behörden müssen diesen Gruppen bei der Planung ihrer Massnahmen und Strategien besondere Aufmerksamkeit widmen, damit sie ohne Diskriminierung Zugang zu den gleichen Dienstleistungen wie die übrige Bevölkerung haben und ihre besonderen Bedürfnisse berücksichtigt werden können.

Frauen und Mädchen

Gewisse Massnahmen können spezifische und unverhältnismässige Auswirkungen auf Frauen und Mädchen haben. Obwohl bisher keine detaillierten Informationen über die geschlechtsspezifischen Folgen der Covid-19-Pandemie vorliegen, weiss man von früheren Ausnahmesituationen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, dass Frauen auf besondere Weise betroffen sind. Sie leisten den Grossteil der Versorgung sowohl im informellen als auch im sozialen Bereich und im Gesundheitssektor, und haben deshalb ein grösseres Risiko, Krankheiten ausgesetzt zu sein. Zudem gibt es geschlechtsspezifische Ungleichheiten beim Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen und bei der Entscheidungsfindung. Daher müssen alle Massnahmen auf  geschlechtsspezifische Auswirkungen hin geprüft werden, um sicherzustellen, dass die Rechte von Frauen und Mädchen geschützt sind und sie angemessene Unterstützung erhalten.

Besonders akut ist zurzeit die erhöhte Gefahr von häuslicher Gewalt. Laut ExpertInnen verfielfacht die Einschränkung der Bewegungsfreiheit die Anzahl der Fälle von häuslicher Gewalt. Dienste für die Betreuung von Frauen und Mädchen, die geschlechtsspezifische Gewalt erfahren, müssen weiterhin funktionieren, damit ihr Schutz in dieser besonders gefährdeten Zeit gewährleistet ist. 

Stigmatisierung und Diskriminierung

Medienberichten zufolge sind Menschen aus Wuhan in China mit weit verbreiteter Diskriminierung und Belästigung konfrontiert. Dazu gehört, dass sie von Hotels abgewiesen oder in ihren eigenen Wohnungen eingeschlossen wurden. Auch aus anderen Ländern gab es Berichte über antichinesische oder antiasiatische Fremdenfeindlichkeit. US-Präsident Donald Trump hat Covid-19 wiederholt als «chinesisches Virus» bezeichnet und versucht, die Angst der Leute auszunutzen, um rassistische und diskriminierende Massnahmen zu rechtfertigen, wie die pauschale Abweisung von Asylsuchenden an der Grenze zu Mexiko. Es gibt keine Entschuldigung für Rassismus oder Diskriminierung. Regierungen auf der ganzen Welt müssen einen Null-Toleranz-Ansatz gegenüber rassistischen Angriffen auf alle Menschen verfolgen.

Die Regierungen müssen während einer solchen Pandemie entschieden handeln, um die Gesundheit aller Menschen zu schützen und den Zugang aller zu Pflege und Sicherheit ohne Diskriminierung zu gewährleisten. Dies gilt auch für Asylsuchende und MigrantInnen, unabhängig von ihrem Status.

Die Welt kann diese Situation nur durch Solidarität und Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg bewältigen. Covid-19 sollte uns vereinen, nicht trennen.