«The sources of infection» (Infektionsquellen), von Antonio Rodríguez © Antonio Rodríguez
«The sources of infection» (Infektionsquellen), von Antonio Rodríguez © Antonio Rodríguez

Coronavirus und Menschenrechte Zensur und Falschinformationen verschärfen die Gesundheitskrise

Medienmitteilung 19. Oktober 2021, London/Bern – Medienkontakt
Während der Pandemie schränkten viele Regierungen die Arbeit von Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen stark ein. Dadurch wurde der Zugang zu aktuellen Informationen zur globalen Gesundheitskrise erschwert und Fehlinformationen konnten sich leichter ausbreiten, wie aus einem neuen Bericht von Amnesty International hervorgeht.

Der neue Bericht Silenced and Misinformed: Freedom of Expression in Danger During Covid-19 von Amnesty International zeigt auf, wie Zensur und Bestrafung durch Regierungen und Behörden die Qualität der verfügbaren Informationen während der Corona-Pandemie negativ beeinflusst hat. Durch die Pandemie ist eine gefährliche Situation entstanden, in der einige Regierungen neue Gesetze erlassen haben, um die unabhängige Berichterstattung zu unterbinden und Menschen anzugreifen, die die Reaktion ihrer Regierung auf Covid-19 kritisierten oder die Massnahmen hinterfragten.

«Während der Pandemie haben einige Regierungen so heftig wie nie zuvor in die Meinungsfreiheit eingegriffen und dadurch die Menschenrechte der Bevölkerung stark eingeschränkt.» Rajat Khosla, Direktor für Research, Advocacy and Policy bei Amnesty International

«Während der Pandemie haben einige Regierungen so heftig wie nie zuvor in die Meinungsfreiheit eingegriffen und dadurch die Menschenrechte der Bevölkerung stark eingeschränkt. Kommunikationskanäle wurden überwacht und attackiert, in den Sozialen Medien wurde zensiert und Medieneinrichtungen wurden geschlossen – mit verheerenden Folgen für den Zugang der Öffentlichkeit zu lebenswichtigen Informationen über den Umgang mit Covid-19», sagte Rajat Khosla, Direktor für Research, Advocacy and Policy bei Amnesty International.

Mitten in der Pandemie wurden Journalist*innen und Gesundheitspersonal zum Schweigen gebracht und inhaftiert. Dadurch haben viele Menschen keinen Zugang zu Information über Covid-19 und sie wissen nicht, wie sie sich selbst und ihre Gemeinschaften schützen können. Etwa fünf Millionen Menschen haben ihr Leben durch Covid-19 verloren. Der Mangel an Informationen hat wohl auch dazu beigetragen. 

Neue Gesetze schränken Meinungsfreiheit ein

Die chinesische Regierung unterdrückt seit langem das Recht auf Meinungsfreiheit. Am Anfang der Pandemie, bereits im Dezember 2019, versuchten Gesundheitsangestellte und Bürgerjournalist*innen auf den Ausbruch einer unbekannten Krankheit hinweisen und Alarm zu schlagen. Dafür wurden sie von der Regierung ins Visier genommen. Bis Februar 2020 wurden gegen 5511 Personen Ermittlungsverfahren wegen «Fabrikation und absichtlicher Verbreitung falscher und schädlicher Informationen» eingeleitet.

Ein erschreckendes Beispiel ist die Bürgerjournalistin Zhāng Zhǎn, die im Februar 2020 nach Wuhan reiste, um über den Ausbruch von Covid-19 zu berichten. Im Mai 2020 verschwand sie dort. Später wurde bekannt, dass die Polizei sie festgenommen hatte. Ihr wurde vorgeworfen, «Streit angefangen und Ärger provoziert zu haben», weshalb sie zu vier Jahren Haft verurteilt wurde.

Zahlreiche andere Länder, darunter Tansania, Russland und Nicaragua, haben repressive Gesetze erlassen, um das Recht auf freie Meinungsäusserung einzuschränken und Kritiker*innen zum Schweigen zu bringen. Die Gesetze wurden unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung oder im Kontext der Pandemie erlassen.

Die Regierung von Tansania hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von Gesetzen eingeführt, um Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Mitglieder der politischen Opposition mundtot zu machen. Unter der früheren Regierung von Präsident Magufuli leugnete die tansanische Regierung Covid-19. Von März bis Mai 2020 setzten die Behörden Gesetze zum Verbot und zur Kriminalisierung von «Falschnachrichten», sowie andere Massnahmen ein, um die Medienberichterstattung über den Umgang der Regierung mit Covid-19 einzuschränken.

Während die Behörden in Nicaragua zunächst versuchten, die Auswirkungen der Pandemie herunterzuspielen und diejenigen einzuschüchtern, die Bedenken äusserten, nutzten sie Covid-19 im Oktober 2020, um das «Sondergesetz über Internetkriminalität» einzuführen. Es dient den Behörden zur Bestrafung von Kritiker*innen und zur Unterdrückung der freien Meinungsäusserung.

Russland erweiterte im April 2020 das bestehende Falschnachrichtengesetz und hat begonnen, «die öffentliche Verbreitung von bekanntermassen falschen Informationen» zu bestrafen. Obwohl diese Gesetzesänderungen als Teil der Massnahmen gegen Covid-19 deklariert wurden, werden sie vermutlich auch nach Ende der Pandemie in Kraft bleiben.

«Es ist klar, dass diese Restriktionen der Meinungsfreiheit nicht nur zeitlich begrenzte, ausserordentliche Massnahmen zur Bewältigung einer vorübergehenden Gesundheitskrise sind.»

«Es ist klar, dass diese Restriktionen der Meinungsfreiheit nicht nur zeitlich begrenzte, ausserordentliche Massnahmen zur Bewältigung einer vorübergehenden Gesundheitskrise sind. Sie sind Teil eines Angriffs auf die Menschenrechte, der seit mehreren Jahren weltweit stattfindet», sagt Rajat Khosla. «Die Einschränkung der Meinungsfreiheit ist gefährlich und darf nicht zur neuen Normalität werden. Solche Beschränkungen müssen unverzüglich aufgehoben werden, damit der freie Informationsfluss gesichert ist und damit das Recht auf Gesundheit aller geschützt ist.»

Fehlinformationen behindern Impffortschritt

Die Unmenge an Fehlinformationen stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Rechte auf freie Meinungsäusserung und auf Gesundheit dar.Social-Media-Unternehmen tun zu wenig, um die Verbreitung falscher und irreführender Informationen zu verhindern. Dadurch wird es für Einzelpersonen zunehmend schwieriger, sich eine fundierte Meinung zu bilden und auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Fakten Entscheidungen über die eigene Gesundheit zu treffen.

«Während wir Regierungen und Pharmaunternehmen auffordern, Impfstoffe an alle Menschen auf der ganzen Welt zu verteilen und für alle verfügbar zu machen, müssen auch Staaten und Betreiberfirmen Sozialer Medien dafür sorgen, dass die Öffentlichkeit ungehinderten Zugang zu genauen, evidenzbasierten und aktuellen Informationen hat. Dies ist ein entscheidender Schritt, um die durch Fehlinformationen hervorgerufene Zurückhaltung bei der Impfung zu verringern», sagt Rajat Khosla.

Bislang wurden weltweit 6,52 Milliarden Impfdosen verabreicht, doch in einkommensschwachen Ländern haben nur 2,5 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Dosis erhalten. «Wir fordern die Staaten und Pharmaunternehmen auf, bis zum Jahresende einen drastischen Kurswechsel vorzunehmen und alles zu tun, um ab sofort zwei Milliarden Impfstoffdosen an Länder mit geringem und niedrigem mittlerem Einkommen zu liefern. Zudem muss der Zugang zu sicheren, zuverlässigen Informationen gewährleistet werden.»

Amnesty International fordert alle Staaten auf, die Pandemie nicht länger als Vorwand zu benutzen, um die unabhängige Berichterstattung zu unterdrücken. Die Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäusserung müssen aufgehoben werden und der Öffentlichkeit müssen glaubhafte, zuverlässige und zugängliche Informationen zur Verfügung stehen, damit sie umfassend über die Pandemie informiert ist  Zensur bringt nichts bei der Bekämpfung von Fehlinformationen – freie und unabhängige Medien sowie eine starke Zivilgesellschaft hingegen schon.

Das zerstörerische Geschäftsmodell von Big Tech (Amazon, Apple, Google, Facebook und Microsoft), das eine der Hauptursachen für die Verbreitung von Falsch- und Desinformationen im Internet ist, muss überarbeitet werden. Die Betreiberfirmen der Sozialen Medien müssen aufhören, den Kopf in den Sand zu stecken und Massnahmen gegen die virale Verbreitung von Fehlinformationen ergreifen., indem sie sicherstellen, dass ihre Geschäftsmodelle die Menschenrechte nicht weiter gefährden.