© Daniel Schludi (Unsplash)
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Coronavirus und Menschenrechte Pharmaunternehmen haben bei der Impfgerechtigkeit versagt

Medienmitteilung 14. Februar 2022, London/Bern – Medienkontakt
Die führenden Corona-Impfstoffentwickler haben versagt, eine faire Verteilung der Impfdosen zu gewährleisten. Noch immer sind nur etwas mehr als vier Prozent der Menschen in Ländern mit geringem Einkommen geimpft. Amnesty International appelliert einmal mehr an die Pharmaunternehmen, Impfstofflieferungen an Länder mit geringem Einkommen zu priorisieren.

Pharmaunternehmen sind den nachdrücklichen Forderungen im Jahr 2021, die gerechte Verteilung von Corona-Impfstoffen zu garantieren, nicht nachgekommen. Stattdessen erhoben die führenden Corona-Impfstoffentwickler ein Monopol auf Technologien, lobbyierten gegen die Freigabe von geistigem Eigentum, verlangten hohe Preise für Impfstoffe und priorisierten Lieferungen an wohlhabende Länder. Das zeigt eine neue Analyse von Amnesty International.

Zehn Milliarden Corona-Impfstoffdosen wurden im vergangenen Jahr produziert. Das sind mehr als genug, um das Ziel einer globalen Impfquote von 40 Prozent zu erreichen, welches die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für das Ende des Jahres 2021 festgelegt hat. Doch der neue Bericht «Money calls the shots: Pharma’s response to the Covid-19 vaccines crisis» von Amnesty International legt offen, dass nur etwas mehr als 4 Prozent der Menschen, die in Ländern mit geringem Einkommen leben, bis Ende 2021 einen vollständigen Impfschutz erhalten hatten.

Mehr als 1,2 Milliarden Menschen aus Ländern mit geringem oder niedrigen mittlerem Einkommen hätten bis zum Jahresende 2021 geimpft werden können», Danièle Gosteli, Verantwortliche für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty Schweiz

«Mehr als 1,2 Milliarden Menschen aus Ländern mit geringem oder niedrigen mittlerem Einkommen hätten bis zum Jahresende 2021 geimpft werden können, wenn einkommensstarke Länder und Impfstoffproduzenten ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen ernstgenommen hätten», sagte Danièle Gosteli, Verantwortliche für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty Schweiz. «Die Pharmaunternehmen spielten eine wichtige Rolle in dieser sich entwickelnden Menschenrechtskatastrophe: Sie liessen diejenigen im Stich, die am meisten Unterstützung gebraucht hätten. Die Pharmaunternehmen hätten 2021 eine vorbildliche Rolle übernehmen können. Stattdessen stellten sie ihren Profit über Menschenleben. Wenn 2022 das letzte Jahr dieser Pandemie sein soll, dann muss sofort ein anderer Kurs eingeschlagen werden. Nur dann kann das von der WHO gesteckte Ziel einer globalen Impfquote von 70 Prozent bis im Juli 2022 erreicht werden.»

Noch immer weit von fairer Verteilung entfernt

Im Jahr 2021 prognostizierten Pfizer, Biontech und Moderna einen Umsatz von bis zu 54 Milliarden US-Dollar, lieferten aber weniger als 2 Prozent ihrer Impfdosen an Länder mit geringem Einkommen. Die chinesischen Unternehmen Sinovac und Sinopharm lieferten jeweils nur 0,5 Prozent bzw. 1, 5 Prozent ihrer Impfstoffdosen an Länder mit geringem Einkommen.

Johnson & Johnsons und AstraZenecas Lieferquoten waren besser, denn über 50 Prozent ihres Impfdosenbestandes wurden an Länder, die entweder ein geringes oder niedriges mittleres Einkommen haben, verteilt. Viele dieser Dosen waren Spenden von einkommensstarken Ländern und damit nicht Teil von Kaufverträgen.

Dennoch weigern sich beide Unternehmen weiterhin ihre Technologie und geistiges Eigentum mittels Initiativen, die von der Weltgesundheitsorganisation koordiniert werden, freizugeben. «Trotz der Milliarden US-Dollars an öffentlichen Fördermitteln stellen diese Unternehmen weiterhin ihre Geldgier über ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen. Bis heute sind mehr als 5,6 Millionen Menschen an Covid-19 gestorben. Wie viele Varianten müssen wir noch erleben, bis den einkommensstarken Ländern und Pharmaunternehmen klar wird, dass Menschen in Ländern mit geringem Einkommen Zugang zu Impfungen haben müssen?», sagt Danièle Gosteli.

Das Wissenschafts- und Analytikunternehmen Airfinity hat zudem folgende Untersuchungsergebnisse bereitgestellt: 

  • Im Jahr 2021 produzierte AstraZeneca knapp 2,4 Milliarden Impfdosen und verteilte davon 1,7 Prozent an Länder mit geringem Einkommen und 70 Prozent an Länder mit niedrigem mittlerem Einkommen. Dies ist verglichen mit der Einschätzung im Bericht vom September 2021 ein Anstieg.
  • Johnson & Johnson produzierte 2021 rund 300 Millionen Impfdosen und lieferte davon 20 Prozent an Länder mit geringem Einkommen und 31 Prozent an Länder mit niedrigem mittlerem Einkommen. Das ist verglichen mit der vorherigen Einschätzung ein deutlicher Anstieg.
  • Moderna produzierte 2021 insgesamt 673 Millionen Impfdosen und lieferte 2 Prozent davon an Länder mit geringem Einkommen und 23,5 Prozent an Länder mit niedrigem mittlerem Einkommen. Dies ist zwar ein bedeutender Anstieg im Vergleich mit den Daten der vorherigen Einschätzung, der Wert reicht dennoch nicht aus, um einer fairen Verteilung gerecht zu werden.
  • Pfizer/Biontech produzierte 2021 insgesamt 2,4 Milliarden Impfdosen und lieferte davon 1 Prozent an Länder mit geringem Einkommen, sowie 14 Prozent an Länder mit niedrigem mittlerem Einkommen. Verglichen mit vorherigen Einschätzungen handelt es sich um einen leichten Anstieg, jedoch liegt der Wert deutlich unter dem Ziel von 50 Prozent, das Amnesty International formuliert hatte.
  • Sinopharm produzierte rund 2,2 Milliarden Impfdosen im Jahr 2021, wovon die Mehrheit in China verteilt wurde. Das Unternehmen lieferte 1,5 Prozent von ihren Impfdosen an Länder mit geringem Einkommen und 24 Prozent an Länder mit niedrigem mittlerem Einkommen. Dies liegt unter dem Wert, der für eine faire Impfstoffverteilung benötigt wird.
  • Sinovac produzierte über 2,4 Milliarden Impfdosen im Jahr 2021. Davon wurde die Mehrheit in China verteilt. Das Unternehmen lieferte 0,4 Prozent ihrer Impfdosen an Länder mit geringem Einkommen und 20,5 Prozent an Länder mit niedrigem mittlerem Einkommen.

Der Bericht von Amnesty International zeigt ausserdem, dass die Pharmakonzerne ihr geistiges Eigentum sowie ihr technisches Wissen nicht freigeben. Damit wird der Zugang zu Impfstoffen aktiv behindert und gegen die Lockerung des Rechts auf geistiges Eigentum lobbyiert.  

«Der Kampf um Impfgerechtigkeit ist noch längst nicht vorbei», sagte Danièle Gosteli. «Wir werden weiterhin an Pharmaunternehmen appellieren, Impfstofflieferungen an Länder mit geringem Einkommen zu priorisieren, um das von der WHO gesetzte Ziel einer globalen Impfquote von 70 Prozent bis Juli2022 zu erreichen. Jeder Mensch muss die gleiche Chance haben, eine Impfung zu erhalten.»  

Amnesty International appelliert zudem an die Unternehmen, ihr geistiges Eigentum freizugeben, indem offene und nicht-exklusive Lizenzen herausgegeben werden und die Konzerne sich am Covid-19 Technology Access Pool (C-ATP) beteiligen. Dieser wurde gegründet, um die Freigabe von offenen und nicht-exklusiven Lizenzen zu unterstützen, um alle Geschäftsbedingungen offenzulegen und die Impfdosen mit Preisen zu versehen, die den Zugang zu Corona-Impfstoffen erleichtern.

«Investor*innen verzeichneten enorme finanzielle Erfolge, während durch die Covid-19-Pandemie über Millionen Menschen auf der Welt ein unvorstellbares Leid hineinbrach.» Danièle Gosteli

«Investor*innen haben eine immense Rolle in dieser globalen Krise gespielt. Sie verzeichneten enorme finanzielle Erfolge, während durch die Covid-19-Pandemie über Millionen Menschen auf der Welt ein unvorstellbares Leid hineinbrach. Dennoch wurde nichts unternommen, um zu gewährleisten, dass ihre Investitionen keine Menschenrechte verletzen würden», sagt Danièle Gosteli. «Wir appellieren an Investor*innen, ihre Vorgehensweise zu hinterfragen und ihren erheblichen Einfluss zu nutzen, um die Pharmaunternehmen unter Druck zu setzen, die Hindernisse zu fairem Zugang zu Impfstoffen aus dem Weg zu räumen und Transparenz voranzutreiben.»