Caroline (links) im Gespräch mit der Interviewerin Kim Sandy Pittet.
Caroline (links) im Gespräch mit der Interviewerin Kim Sandy Pittet.

Inklusions-Initiative / Porträts Ein Wille aber kein Weg im Arbeitsmarkt

Von Kim Sandy Pittet, 1. Mär7 2024
Caroline ist Autistin. Ihre Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt zeigen, in welchen Bereichen die Inklusion von Menschen mit Autismus noch fehlt. Sie hofft, dass die Inklusions-Initiative zustande kommt, damit mehr Menschen mit Behinderungen ihr Potenzial zeigen können.

Sobald es um die Inklusions-Initiative geht, sind die Forderungen von Caroline klar: «Es hat immer noch zu wenig Arbeitgeber*innen, die sich darauf einlassen, Menschen mit Behinderungen einzustellen. Es muss jetzt in der Politik etwas geschehen, denn warten wir noch länger, wirkt sich das auch auf das momentane und zukünftige Berufsleben junger Menschen aus.» Die 30-jährige Autistin weiss, wovon sie spricht. Denn obwohl sie ihre KV-Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat, ist sie erneut arbeitslos. «Viele Menschen mit Behinderungen haben keinen Job, weil sie mit einer Behinderung leben.»

Dabei hat Caroline den regulären Bildungsweg souverän absolviert. Den Eltern und Lehrpersonen fiel während der Schulzeit zwar auf, dass sie für gewisse Dinge mehr Zeit brauchte und ihr einzelne Fächer nicht lagen, jedoch fanden sie daran nichts bedenklich. So hatte sie beispielsweise aufgrund der Motorik Schwierigkeiten im Sportunterreicht oder hatte Mühe in der Mathematik. Nach der Ausbildung zur Kauffrau war es für die junge Frau schwierig, eine Stelle zu finden, was eine längere Arbeitslosigkeit zur Folge hatte. «Symptome des Autismus-Spektrums, die davor nicht derart sichtbar waren, zeigten sich nun viel stärker», erinnert sich Caroline. Erst dadurch habe man gemerkt, dass etwas nicht stimme. Der Leidensdruck wurde schliesslich so gross, dass sie psychologische Hilfe benötigte. So lernte sie auch Islam kennen, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in der Tagesklinik die Kunsttherapie besuchte. «Islam sprach mich an, weil ich eine bestimmte Manga-Figur zeichnete», sagt Caroline. Diese Figur sei unter «Nerds» sehr bekannt, weshalb die Leidenschaft für Manga und Anime die beiden Frauen verband. Rasch hätten sie sich besser kennengelernt und dabei festgestellt, wie ähnlich sie sich in gewissen Aspekten sind und wo sie ähnliche Probleme haben. «Das hat uns beiden sehr geholfen.»

In dieser Zeit liess sich Caroline abklären und erhielt mit 23 Jahren die Diagnose Asperger-Autismus. Es komme oft vor, dass Autismus bei Frauen erst so spät diagnostiziert werde, erklärt die Bernerin. Ihr selbst wird mit der Diagnose vieles bezüglich ihrer Probleme und an ihrem Verhalten klarer. So beinflussen bei Caroline ein Teil der autistischen Symptome die Kommunikation: Sie legt beim Sprechen längere Pausen ein oder sucht nach Worten. In ihrem Kopf hat sie die perfekte Formulierung zwar bereit, es hapert aber daran, diese auszudrücken. «Da braucht es von meinem Gegenüber einfach etwas mehr Geduld, denn Stress verstärkt diesen Mechanismus umso mehr», erklärt sie.

Die Odyssee der Ungewissheiten beginnt

Mit der Diagnose kommt auch die Frage auf, ob eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt für Caroline überhaupt noch möglich ist. «Ich habe gewisse Einschränkungen, wie eben diejenige, dass ich bei einigen Dingen etwas mehr Zeit benötige», erklärt sie. Im zweiten Arbeitsmarkt hingegen wäre sie zumeist unterfordert. Mit Hilfe der Invalidenversicherung versucht sich Caroline in verschiedenen Arbeitsplätzen und nimmt an Eingliederungsmassnahmen teil. Doch sie findet danach keine Anschlusslösung und ist wieder stellenlos.

Mit etwas Glück bekommt Caroline ein Nischenpraktikum bei Amnesty International. Nischenarbeitsplätze sind Arbeitsplätze, die sich an den Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bedürfnissen der jeweiligen Arbeitnehmer*innen ausrichten. So hat Caroline wenig Kontakt mit Mitgliedern und weiterem Publikum, erhält mehr Zeit für gewisse Aufgaben sowie einen ruhigen Arbeitsplatz. «Teilweise braucht es gar nicht mal so viel, damit eine Person mit Autismus eine gute Arbeit leisten kann», sagt sie. Aber es brauche die Bereitschaft und das Entgegenkommen der Arbeitgebenden sowie das Verständnis der Mitarbeiter*innen. «So wie andere eine Raucherpause benötigen, benötige ich manchmal eine Rückzugszeit», meint sie schmunzelnd.

Kommunikation als Schlüsselfaktor

Für Caroline ist die offene Kommunikation gegenüber potenziellen Arbeitgeber*innen fundamental. Dies beginne bereits beim Bewerbungsschreiben. Lange Zeit war sie unsicher, ob sie ihre Behinderung erwähnen solle, oder ob dies bereits ein allfälliges Bewerbungsgespräch verhindern würde. Dann habe sie sich aber doch dazu entschieden, denn schliesslich sei die Behinderung ein Teil von ihr. Anschliessend komme es darauf an, ob die Arbeitgeber*innen bereit seien, die notwendigen Anpassungen zu machen. «Da fühlt man sich so, als würde man eine Extrawurst verlangen, die eigentlich keine ist», sagt Caroline.

Es gebe aber nach wie vor viele Arbeitgeber*innen, die das notwendige Bewusstsein nicht hätten: Sie hätten zu wenig Kenntnisse über die Behinderungen und die daraus entstehenden Bedürfnisse von Betroffenen und würden deshalb ablehnend reagieren. «Meistens werde ich auf den zweiten Arbeitsmarkt verwiesen. Man geht davon aus, dass ich im ersten Arbeitsmarkt wie alle anderen funktionieren müsse und dass keine Extrabehandlung in Form von Anpassungen möglich sei», erzählt Caroline. Eine weitere Erfahrung seien die Vorurteile über Autist*innen. So würden beispielsweise keineswegs alle Autist*innen für Mathe-Genies gehalten. «Ich finde, die Arbeitgeber*innen müssten uns zumindest eine Chance geben und es probieren. Auch wenn es dann mit der einen oder anderen Person nicht klappt»

Ein Arbeitsmarkt der Zukunft

Momentan ist Caroline auf Stellensuche. Möglichkeiten für eine niederschwellige Weiterbildung gibt es für sie kaum. Die Lösung sieht Caroline in einem ‘diversen’ Arbeitsmarkt: «Es braucht nicht nur einen ersten und zweiten Arbeitsmarkt, sondern auch einen Arbeitsmarkt dazwischen.» Die Schweiz habe vor Jahren die Uno-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet, die unter anderem auch den Bereich Arbeit einschliesse. Die Forderungen diesbezüglich stünden klipp und klar darin, so Caroline: «Die Schweiz ist verpflichtet, diese Konvention umzusetzen. Doch fehlt es bis heute noch an vielem, bis dies Realität ist». Sie hat grosse Hoffnung in die Inklusions-Initiative und deren Umsetzung. «Man sagt immer, IV-Bezüger*innen würden dem Staat auf der Tasche liegen. Doch würde man sie besser in den Arbeitsmarkt integrieren und Unterstützung bieten, wäre das für alle günstiger.»